Als die Antiimperialistische Koordination (AIK) unmittelbar nach der US-Präsidentenwahl vor den Hoffnungen in Obama warnte Obamania, Warum wir antiamerikanisch bleiben, 10.11.08, www.antiimperialista.org, mussten wir in gewohnter Weise große Einsamkeit in Kauf nehmen. Unser Argument: Der Imperativ der Weltmachtinteressen macht jeden Präsidenten zu seinem Werkzeug, ob er will oder nicht. Just als die große Euphorie schon vorbei war, verlieh man Obama noch den Nobelpreis, so als wollte man einen Geist beschwören, dessen man nicht mehr habhaft werden kann. Nicht die Linke, sondern seine Gegner in den Eliten begannen zu witzeln, dass ihm die Auszeichnung dafür verliehen worden wäre, weil er eben noch nichts machen habe können.
Nun, ein Jahr nach seinem Amtsantritt ist klar, dass der globale Krieg der USA um ihre Weltherrschaft fortgeführt wird, wenn auch nicht mit der gleichen missionarischen Verve.
Symbol dafür ist Afghanistan, wohin der „Friedenspräsident“ weitere 30.000 Truppen entsendet. Damit reicht das „war theater“ am Hindukusch von der Dimension an den Irak heran, nicht nur was die Truppenstärke der westlichen Besatzer betrifft, sondern auch hinsichtlich des Niveaus des Widerstands.
Im Irak kamen die USA mit einem blauen Auge davon, aber nur weil sie die Macht mit dem persischen Rivalen teilen – und sich gleichzeitig damit die Probleme auf einer anderen Baustelle ihres Weltreichs vergrößern. Die Analogie für Afghanistan wäre die Einbindung der Taliban, was nicht ausgeschlossen werden kann, denn eine rein militärische Lösung ist unmöglich. Doch der zu zahlende Preis wäre noch höher als im Irak, denn es käme einer direkten Anerkennung des Widerstands gleich. Gratis werden die USA die Schluchten des Hindukusch also nicht mehr verlassen können. Die Frage ist vielmehr der Zeitrahmen und die Kosten der Rekonfiguration des regionalen Bündnissystems. Mit guter Wahrscheinlichkeit kommt dabei ein Sieg nach Punkten für den Widerstand heraus.
Bereits jetzt strauchelt der alte US-Verbündete Pakistan unter der Last des Krieges. Aber ein Zurück zum alten Zustand gibt es nicht. Es ist nicht nur der politische Islam, dessen Pate Pakistan war, zum Hauptfeind der USA aufgestiegen, Washington hat mit New Delhi nicht nur Freundschaft geschlossen, sondern sieht es als einziges mögliches Gegengewicht zu China. Die ehemalige Sonderstellung Pakistans als wichtigster US-Verbündeter in der Region ist weg. Neben dem von Islamabad wohl oder übel zu unterstützenden US-Krieg wird auch die Wucht der Wirtschaftskrise zur Schwächung der Staatsmacht im „Land der Reinen“ (Pakistan) beitragen.
Nahost bleibt indes das größte Pulverfass. Hamas hält trotz schleichendem Völkermord in Gaza durch. Im Libanon musste die Hisbollah an der Macht beteiligt werden. Im Jemen kämpft das prowestliche Regime an drei Fronten: gegen die schiitischen Houthis, gegen die alte südjemenitische Führung und gegen die Salafiten (siehe auch den Beitrag in dieser Ausgabe der Intifada). Die Wirtschaftskrise könnte letztlich auch auf der anderen Seite des Golfs von Aden einen „failed state“ hervorbringen. Und selbst der wichtigste Staat der Region, Ägypten, steht vor dem Kollaps. Es ist nicht gesagt, dass die Inthronisierung von Mubarak II. gelingen wird, denn der Druck aus dem Volk ist gewaltig. Der Wind der Krise könnte die lokalen Brandherde in einen großen Krieg verwandeln.
Auch in Asien wächst der Volkswiderstand – ein Beispiel dafür ist der Aufschwung der Naxaliten (maoistische Guerilla) in Indien und vor allem in Nepal. Die Eliten stehen mit dem Gewehr in Anschlag. In Lateinamerika konnte sich Evo Morales in Bolivien stärken und die antiimperialistische Öldiplomatie Chávez’ hat es vielen ehemaligen Vasallen der USA erlaubt die Umklammerung etwas zu lockern.
Trotz der Tatsache, dass der Widerstand noch zersplittert ist, geht er aus Bushs Krieg konsolidiert hervor und auch Obama muss ihm vehement entgegentreten. Das ist der Kern der Bilanz des verstrichenen Jahrzehnts. Es sind die offensichtlichen Schwierigkeiten der USA in der Entfaltung und Konsolidierung des American Empire, die das globale Moment zum Multipolarismus hervorbringen. Dazu hat der antiimperialistische Widerstand wesentlich beigetragen, auch wenn vorerst jene Staaten wie China, Russland oder Brasilien die Hauptrolle spielen, die in keiner Weise antikapitalistisch sind.
Der neuralgische Punkt der Geopolitik bleibt der Iran, wo der Antiimperialismus von unten mit staatlichen Machtansprüchen zumindest teilweise zusammenfällt. Hielten die USA nicht dagegen, wäre das Projekt des American Empire als absolute Vorherrschaft der USA dahin. Ist einmal der erste Dominostein zum Multipolarismus angestoßen, so lässt sich nicht absehen, wie sich der Impuls fortbewegen wird. Daher wird Washington Himmel und Hölle in Gang setzen, um sein Reich zu erhalten.
Die Weltwirtschaftskrise gießt Öl ins Feuer. Noch verzögern die massiven staatlichen Interventionen über die öffentliche Verschuldung den sozialen Absturz. Doch die Schuldenberge werden nicht gratis abgebaut werden. Der Angriff nicht nur auf die Unterklassen, sondern auch auf wichtige Teile der bisher politisch tragenden Mittelschichten ist unvermeidlich, quasi als zweiter Teil der Krise. Er wird nicht nur den antiimperialistischen Widerstand beflügeln, sondern den Konflikt auch wieder in die Zentren des Kapitalismus tragen, selbst in die USA.
China als Retter des Kapitalismus?
Nur in China scheinen die Uhren anders zu ticken. Selbst in der Weltwirtschaftskrise kratzen die Wachstumsraten knapp an der Zweistelligkeit. In den westlichen Medien wechseln sich die Horrorszenarien angesichts der chinesischen Konkurrenz (Lachnummer: „China kümmert sich nicht um Menschenrechte und unterstützt Diktatoren, während der Westen aufgrund seiner Werte das Nachsehen hat“) mit der Hoffnung ab, dass der chinesische Motor die Weltwirtschaft wieder hochziehen könne. Ist der staatlich gelenkte Kapitalismus tatsächlich die Lösung? Behalten Deng und Keynes gegen Lenin und Friedman Recht?
Dass sich das Gewicht Chinas als Fabrik der Welt erhöht hat, darüber kann kein Zweifel bestehen. Wir wollen aber daran erinnern, dass dieser Aufstieg nur im Rahmen der neoliberalen Globalisierung und des weltweiten Freihandelsregimes möglich war. Doch gerade deswegen wird sich das Reich der Mitte nicht von der Krise dieses Regimes fernhalten können, trotz aller staatlichen Lenkung. Dank der gigantischen staatlichen Rettungsmaßnahmen in den Zentren konnte der Zusammenbruch der Nachfrage auf halben Weg aufgefangen werden. Doch die die Krise verursachenden Elemente sind immer noch vorhanden. Die Zerstörung der massiven Überkapazitäten erfolgte noch nicht. Die produktiven Investitionen sind angesichts des globalen Nachfragelochs und geringen Renditeerwartungen niedrig. Die staatlich initiierte Liquidität treibt die spekulative Tendenz an, auch in China. Eine zweite Blase baut sich auf, unter der es kein Netz mehr gibt. Platzt diese abermals,– und man kann davon ausgehen –, dann ist auch China dran.
Jetzt schon gehört China zu jenen Ländern, in denen das Millionenheer der Lohnsklaven am meisten rebelliert. Bis dato vermag der Rausch des materiellen Fortschritts für den wachsenden Mittelstand diese Schreie zu ersticken. Wenn einmal die Kehrseite der glitzernden Wolkenkratzer von Shanghai massenhaft in die kollektive Wahrnehmung tritt, dann könnte es zu einem klassischen Klassenkampf gegen die Kommunistische Partei kommen. Ist nicht gerade China als Fabrik der Welt der dafür prädestinierte Ort?
Als größter staatlicher Gläubiger hat sich China an den US-Weltkapitalismus gebunden. Fast eine Trillion chinesischer Dollar stecken in US-Staatspapieren (von insgesamt 2400 Milliarden Reserve-Dollars, fast alle in den USA veranlagt). Diese Werte sind in ihrer großen Masse de facto nicht wandelbar. Würde China sich aus dem Bond-Markt zurückziehen, müssten die USA für ihre Staatsschuld nicht nur höhere Zinsen zahlen, sondern auch die Stabilität der US-Währung wäre in Frage gestellt.
Überhaupt basiert die Weltwirtschaft auf dem Dollar, in dem die meisten Werte notieren. Letzter Garant dafür ist der US-Staat, von dem angenommen wird, dass er für seine Schulden unter allen Umständen geradestehen kann. In der Krise, die sich zuerst im Kreditsektor manifestierte, wird das noch wichtiger. Insbesondere der US-Staat garantiert für insolvente private Schuldner, um die Gläubiger nicht in den Bankrott zu reißen. Die USA können zusätzlich Geld schöpfen und damit den Dollar sowie folglich auch die Schulden entwerten. Die Last tragen die Gläubiger. Das geht aber nur bis zu einem gewissen Maß. Darüber hinaus würde die Flucht aus dem Dollar als Weltwährung einsetzen. Falls der Dollar abstürzt, bricht die ganze kapitalistische Weltwirtschaft zusammen, China mit eingeschlossen. Alle in Dollar notierenden Werte wären auf einen Schlag zunichte oder zumindest stark entwertet. Selbst wenn die Vormachtstellung der USA dann ein jähes Ende finden würde, verlöre China genauso seine Rolle als Fabrik der Welt. Chinas Entwicklungsmodell hat das Reich der Mitte zum kleineren siamesischen Zwilling der USA gemacht.
Das bedeutet nicht automatisch, dass China politisch den USA in allem folgt. China will Multipolarität in Form eines langsamen, möglichst bruchlosen Übergangs im Rahmen des globalen Kapitalismus. Still und leise versucht Peking seine Macht auszubauen. Doch es wird früher oder später an Grenzen stoßen, nämlich jene von den USA gesetzten, die eine solche schleichende Kräfteverschiebung zu verhindern trachten. Dass die Krise vor allem den USA schadet, ist eine ganz falsche Annahme, solange China das Entwicklungsmodell Dengs weiterverfolgt. Die globale und vor allem amerikanische Nachfrage müsste durch den chinesischen Binnenkonsum ersetzt werden. Das würde den größten sozialen Sprung der chinesischen Massen nach oben erfordern, für den es in der Weltgeschichte keinen Vergleich gibt. Damit wäre aber auch Chinas größter Wettbewerbsvorteil, namentlich die geringen Lohnkosten, dahin.
Wie man es dreht und wendet, ein bruchloser Ausgang aus den sich anstauenden politischen und wirtschaftlichen Widersprüchen scheint unwahrscheinlich. Der globale Konflikt ist also gleichermaßen wahrscheinlich wie die Fortsetzung der Krise. Der Ausgang ist völlig offen. Wenn sich die zwei ungleichen aber an einander gebundenen kapitalistischen Giganten in die Haare kriegen, könnte der Spielraum für den dritten Pol, etwa einen antiimperialistisch-antikapitalistischen größer werden.
Ruhe vor dem Sturm
Eines ist bei allen Unwägbarkeiten sicher: Geschüttelt von der Krise ist Europa zum geopolitischen Abstieg verdammt. Bereits heute übt es völlige Unterordnung unter den großen, transatlantischen Bruder. Auf umso heftigere Konflikte müssen wir uns angesichts des drohenden Verlusts der konsumistischen Mittelstandsgesellschaft einstellen und vorbereiten. Diese werden nicht organisch antikapitalistisch sein, denn die Versuchung des Chauvinismus ist groß. Das zeigt die zunehmende Islamophobie, die heute – als Ersatzfunktion zum alten Antisemitismus gegen den inneren, kommunistischen Feind – als Identitätsstiftung gegen den Feind von außen, den fremden Antiimperialismus, fungiert. Doch ein Spielraum für eine antikapitalistische Opposition, sei sie auch nur eine Minderheit, wird sich auftun. Das ist immer noch besser als jetzt, wo es keinerlei antagonistische Opposition gibt.
Um siegen zu können, um die Eliten zu entthronen, bedarf es für die antikapitalistischen Kräfte in Europa des strategischen Bündnisses mit dem globalen Antiimperialismus, der letztlich seit der Oktoberrevolution verkannter Motor der Geschichte ist. Auf sich alleine gestellt würden die antikapitalistischen Kräfte in Europa zu schwach bleiben. Nur im Rahmen dieses globalen Bündnisses kann der Sturm gegen die Eliten erfolgreich in Richtung eines neuen gemeinschaftlichen Systems gelenkt werden. Ansonsten droht nicht nur die Selbstzerfleischung der Plebejer (siehe den Aufstand der schwarzen Sklaven in Rosarno, Süditalien, die sich gegen die Ärmsten der Weißen zur Wehr setzen müssen), sondern in der Folge eine neue autoritäre Herrschaft der Eliten („gepanzerte Demokratie gegen die äußeren und inneren Barbaren“) flankiert von chauvinistischen Unterschichten.
Noch ist es ruhig, zumindest in den kapitalistischen Zentren. Der Niedergang des politischen Aktivismus setzt sich ungebrochen fort. „Nach mir die Sintflut“ lautet das Motto. Doch die Sintflut kann tatsächlich kommen, in einigen Regionen der Welt steht das Wasser schon sehr hoch.
Jedoch soll diese Ruhe genützt werden. Denn der Sturm wird nicht automatisch einen Aufschwung des politischen Aktivismus mit sich bringen, wie wir ihn aus den 1970er Jahren kennen. Genauso wenig wird er die Formen annehmen, die aus der Zeit der überkommenen Polarität Bürgertum-Proletariat bekannt sind. Daher ist jeder Dogmatismus zum Scheitern verurteilt. Intelligenz und Innovation eines radikalen, revolutionären Antagonismus sind gefragt. Gerade heute ist nicht der Zeitpunkt die Waffen zu strecken. Im Gegenteil, seit langem gibt es wieder Licht am Ende des Tunnels, auch wenn man es noch nicht deutlich sieht.