Um sich jedoch eine Idee über den Ausgang des Konflikts machen zu können, muss zuerst mit dem manichäischen Bild, wie es die hiesige Meinungsmache zeichnet, aufgeräumt werden. Es handelt sich nicht um verzweifelt nach Demokratie ringende Volksmassen, die mit einem islamofaschistischen Regime zusammenstoßen, gegen jenes die opportunistischen westlichen Staatskanzleien überdies nur zögerlich Unterstützung gewähren würden. So lautet nicht nur das Narrativ der Medien, sondern auch großer Teile der ehemaligen Linken, der iranischen mit eingeschlossen, sowie der Neocons. Hayes Stephen F.: 2010: Regime Change in Iran. Engagement Didn‘t Work, in: Weekly Standard, Nr. 16, 2010.
Tatsächlich verläuft der Bruch mitten durch die Eliten der Islamischen Republik selbst. Die Spitzen der Opposition sind jene, die über ein Vierteljahrhundert die Geschicke des Staates gelenkt haben. Wir sprechen über einen Großteil des schiitischen Klerus gemeinsam mit der Wirtschaftselite verkörpert durch den reichsten Mann des Landes, den ehemaligen Präsidenten und amtierenden Vorsitzenden des Schlichtungsrates, Ayatollah Hashemi Rafsanjani.
Der soziopolitischen Krise des Systems in den 1990er Jahre versuchte die heutige Opposition mit vorsichtigen liberalen Reformen hin zum Westen (angelehnt an die IWF-Rezepte) beizukommen, ohne jedoch ihre Herrschaft gefährden zu wollen. Im Gegenteil, es ging ihnen um die Stabilisierung des Systems. Für einige Jahre erhielten sie dafür breite Unterstützung, doch die sozialen als auch die politischen Hoffnungen des Volkes wurden schwer enttäuscht. Die Reformer scheiterten schließlich.
Das ermöglichte den Aufstieg Ahmadinejads, der eben gerade nicht aus dem klerikalen Establishment stammt. Er kombinierte den sozialen Protest des Volkes mit der Erneuerung des für die Islamische Republik konstitutiven Antiimperialismus und einem radikalen Kulturkonservatismus. Im Bündnis mit den Revolutionsgarden (Pasdaran), denen er gleichzeitig überhand nehmenden Einfluss auf die Wirtschaft des Landes gegen die klerikalen Profiteure verschaffte, konnte er die alte Elite in Schach halten. Wir haben diese Konstellation bereits analysiert, die Ahmadinejads Wahlerfolge als durchaus plausibel erscheinen lassen. Langthaler, Wilhelm: … und es gibt ihn doch. Antiimperialistischer Impetus des Iran, in: intifada, Nr. 29, 2009.
Unter diesem Gesichtspunkt wirken der Ruf Rafsanjanis nach mehr Demokratie und Mussavis präventive Selbststilisierung zum Märtyrer nicht allzu glaubwürdig. Vielmehr scheint dem einfachen Volk klar, dass es jenen mehr um den Erhalt ihrer Positionen geht, um nicht überhaupt Pfründe zu sagen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass alle grünen Demonstranten Anhänger Rafsanjanis und Mussavis wären. Tatsächlich geht die Bewegung weit darüber hinaus und tendiert zu Positionen, die die Islamische Republik überhaupt in Frage stellen. Getragen vom städtischen, gebildeten Mittelstand könnte sie auf sich allein gestellt, ohne die Unterstützung der Rafsanjani-Fraktion (ganz zu schweigen ohne jene des Westens) niemals die Bedeutung erlangen, die sie heute hat – nämlich als offene Herausforderung der herrschenden Koalition Ahmadinejad-Pasdaran.
In der gegebenen Konstellation, bei der immer die Parteinahme seitens des Westens mitgedacht werden muss, kann die grüne Bewegung keine fortschrittliche Rolle spielen – so legitim einzelne demokratische Forderungen auch sein mögen. Sie dient gewollt oder ungewollt der Koalition Rafsanjani-Westen gegen Ahmadinejad, der das antiimperialistische Moment des Regimes verkörpert. Ahmadinejads Niederlage würde unweigerlich zur Etablierung eines Regimes führen (ob islamisch oder nicht ist sekundär), das zumindest US-freundlicher wäre, wenn nicht eine gänzliche Marionette. Die Unterstützung, die der Iran dem Widerstand nicht nur im Libanon und in Palästina zuteil werden lässt, wäre dahin.
Die Tatsache, dass Mussavi sich in besonders harscher Art und Weise hinter das Atomprogramm stellt, sagt uns in erster Linie, wie groß die Unterstützung für die harte Linie ist. Die Dynamik macht seine Koalition dennoch zu jenen, die gegenüber dem Westen nachgeben würden. Erinnern wir uns an Jugoslawien. Kostunica attackierte Milosevic, weil dieser angeblich die serbischen nationalen Interessen nicht ausreichend vertreten würde. Er trug maßgeblich zu seinem Sturz bei, der schließlich zu einem prowestlichen Regime führte, mit dem der Westen Schlitten fährt.
Warum die Härte?
Alle Vermittlungsversuche innerhalb des Apparats scheinen bisher gescheitert zu sein, obwohl es Stimmen und Versuche in diese Richtung gab – zuletzt von Mohsen Rezai, dem ehemaligen Kommandanten der Pasdaran und unterlegenen Präsidentschaftskandidaten. Rezaei: Mousavi‘s ‚retreat‘ can help bring unity, auf www.presstv.ir, 2.1.2010. Rafsanjani und Mussavi sind bisher hart geblieben und verweigern Ahmadinejad die Anerkennung als Präsident. Damit beschädigen sie zunehmend die Position des ungewählten Staatsoberhauptes Khameini. Im Schutz der Opposition aus dem Apparat konnte auch die Opposition auf der Straße Kontinuität und Hartnäckigkeit zeigen. Damit stellen sie ein echtes Problem für die herrschende Koalition dar.
Im Gegensatz zum westlichen Medienapparat, von dem man meinen könnte, er glaube die Niederlage Ahmadinejads herbeischreiben zu können, verfügt letzterer unseres Erachtens über die strategisch besseren Karten. Der Spagat der Opposition zwischen Loyalität gegenüber der Islamischen Republik und Anlehnung an den Westen ist nicht hegemoniefähig.
Die Proteste haben an Schwung und Beteiligung stark abgenommen. Gegen ein paar Zehntausend Demonstranten ist leicht vorgegangen. Von einem Zerfall des Staatsapparates kann daher keine Rede sein. Und mit Leichtigkeit mobilisierte Ahmadinejad Hunderttausende zu Gegendemonstrationen auf die Straßen. Ahmadinejad mag gemeint haben mit dosierter Repression und Versöhnungsangeboten hinter den Kulissen den offenen Riss kitten zu können. Diese Option scheint aufgrund der Ablehnung durch die Führer der Opposition nun immer unwahrscheinlicher zu werden.
Freilich behält auch die Opposition einen Trumpf im Talon, der sie an die Islamische Republik bindet. Sie genießt die Unterstützung weiter Teile des Klerus. So sehr Ahmadinejad sich vom Klerus auch absetzen mag, ohne diesen verlöre die gesamte Islamische Republik ihre Legitimation. Wagen wir für einen Augenblick ein Gedankenexperiment: Ein islamisches Regime ohne oder sogar gegen den Klerus, gestützt auf eine eigenartige Koalition aus Antiimperialismus der Volksmassen sowie ihrem Anspruch auf soziale Gerechtigkeit, den Revolutionsgarden und ihrem Business-Imperium und zu guter letzt den radikalsten religiösen Eiferern? Das wird nicht reichen. Ein solches Regime wäre zu schwachbrüstig, es fehlte an Hegemonie, um dem inneren und äußeren Feind, also dem Rest der Welt, trotzen zu können.
Wenn also der finale Befreiungsschlag gegen die Rafsanjani-Gruppe nicht möglich ist, muss von der Fortsetzung des Machtkampfes ausgegangen werden. Ahmadinejad wird wohl versuchen müssen, nicht nur mittelmäßige Figuren, sondern auch einige Führer der Opposition exemplarisch auszuschalten, um die Gegner politisch zu enthaupten. In der Folge könnte er dann mit versöhnlichen Gesten versuchen größere Teile des Apparats einschließlich des Klerus wieder ins Boot zu holen. Letztlich gibt es die Fraktionskämpfe seit Entstehung der Islamischen Republik und dieser Pluralismus der Tendenzen bleibt für sie konstitutiv.
Über die Konstatierung eines Vorteils für die herrschende Koalition Ahmadinejad-Pasdaran, haben weitere Prognosen wenig Sinn und Wert. Entscheidender Faktor in diesem Konflikt stellt die Konfrontation mit dem Westen dar.
Ultima ratio: Krieg
Mit Jahresende 2009 lief ein wichtiges Ultimatum des Westens hinsichtlich der Urananreicherung ab. Der Iran will sein Uran nicht hergeben, um es in Russland und Frankreich bis zur Verwendbarkeit weiter anreichern zu lassen. Sein plausibles Argument: zu oft wurden sie vom Westen in der Atomfrage betrogen. Auf den iranischen Gegenvorschlag ging man nicht einmal ein: Quasi als Unterpfand für das aus der Hand gegebene Material, verlangte Teheran bereits vorab einen Teil des Endprodukts. Porter, Gareth: Der kurze Moment der Möglichkeit. Wie die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm scheiterten, in: Le Monde diplomatique, Nr. 9062, 2009, S. 4-5.
Dem Westen geht es primär darum, halbwegs überzeugende Argumente zu produzieren, die ein weiteres Drehen an der Sanktionsspirale möglich machen. Davon wird wohl die unmittelbar nächste Zeit geprägt sein. Hauptaufgabe dabei ist es, die „internationale Gemeinschaft“ hinter den Westen zu bringen, d. h. vor allem China und Russland dazu zu bewegen, zumindest gewisse Schritte gegen den Iran mitzutragen. Diese zögern jedoch gute Miene zum bösen Spiel zu machen, trotz Zuckerbrot und Peitsche aus Washington. Geht es im Grunde doch darum ihren multipolaren Anspruch dadurch zunichte zu machen, dass man Teheran in die Knie zwingt. Auf diesem Weg der Diplomatie und der Sanktionen gibt es für den Westen jedenfalls eine gewisse Grenze, über die er nur alleine hinausgehen kann. Diese scheint eher früher als später erreicht.
Entscheidender Faktor für die Politik des Westens wiederum bleibt die Entwicklung im Iran selbst. Der Machtkampf innerhalb der Islamischen Republik gibt den Herren der Welt Hoffnung auf einen „regime change“. Doch allein mit medialem Dauerfeuer lässt sich kein unliebsames Regime kippen, das über breite Unterstützung in den subalternen Klassen verfügt. Da wird der große transatlantische Bruder und sein engster Verbündeter in Nahost schon etwas nachhelfen müssen.
Die nahe liegende Variante ist ein begrenzter israelischer Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen. Dieser dient schon seit geraumer Zeit als Rute im Fenster der US-Diplomatie. Erst im Dezember 2009 drohte Obama gegenüber dem chinesischen Präsidenten Hu, dass er Israel nicht mehr lange an der Leine würde halten können. Obama told China: I can‘t stop Israel strike on Iran indefinitely, auf www. .haaretz.com, 17.12.2009. Solange Russland entgegen seinen vertraglichen Verpflichtungen kein modernes Luftabwehrsystem an den Iran liefert, scheint Israel militärtechnisch durchaus in der Lage einen solchen Schlag durchzuführen. Langthaler, Wilhelm: Obama: ‚Können Israel nicht ewig vom Angriff auf den Iran abhalten‘, auf www.antiimperialista.org, 22.12.09.
Die Auswirkungen auf den Ringkampf in Persien sind von niemand wirklich abzusehen. Einerseits wäre die Zerstörung des Atomprogramms ohne ernsthafte Gegenwehr eine nationale Schmach größten Ausmaßes. Das zählt in einem Land, das geschlossen hinter den Nuklearprogramm sowie den Ambitionen auf eine Regionalmachtrolle steht. Doch wer den politischen Preis für die abzusehende Teilniederlage zu tragen haben wird, lässt sich schwer sagen. War es nicht Ahmadinejad, der ständig vor der Gefahr einer israelischen Aggression gewarnt hatte? Nachdem die Zerstörung der Nuklearanlagen keine direkten Auswirkungen auf das Funktionieren der Gesellschaft hätte (im Gegensatz zu den das soziale Gefüge zerrütteten Angriffen auf Jugoslawien oder den Irak), könnte die Folge auch eine weitere Steigerung des Hasses auf die USA & Co sein und damit eine weitere Stärkung der antiimperialistischen Kräfte im Iran.