Selbst durch den dünnen Jordan ist seit dem 28. September 2000 viel Wasser hinuntergeflossen. Die palästinensische Intifada kennzeichnete das Ende der Clintonschen Phase des amerikanischen Friedens und den Beginn einer neuen Offensive eines US-Imperialismus, der sich ohne ernst zu nehmenden Gegner auf der Weltkarte sah. Für die Palästinenser/innen bedeutete dies eine neue offene Konfrontation, bei der sie bald nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit standen und somit wehrlos einer zügellosen israelischen Offensive ausgesetzt waren.
Die Intifada war die Reaktion der Palästinenser/innen auf das Scheitern der siebenjährigen Verhandlungen über eine permanente Lösung im Rahmen des Oslo-Prozesses. Israel weigerte sich nach wie vor, auf die palästinensischen Hauptforderungen bezüglich Land, Wasser, Jerusalem, Grenzen und Flüchtlinge einzugehen und entleerte damit die Zweistaatenlösung jeden Inhalts. Das war praktisch das Ende des Oslo-Prozesses. Kurz darauf endeten auch die Präsidentschaften von Clinton und Barak und die Palästinenser/innen waren mit den rechtsextremen Regierungen von Bush und Sharon konfrontiert.
Innere Widersprüche
Die Intifada begann auf ähnliche Weise, wie Aufstände in Palästina immer begonnen haben: eine israelische Provokation, die eine Reaktion herbeiführt, der mit Brutalität begegnet wird. Diese Kettenreaktion von Protest und Repression wird unter bestimmten Umständen zu einem Daueraufstand. Die Intifada wies auch die typische Morphologie der palästinensischen Bewegung in ihren beiden Teilen, dem Militarismus und der Massenbewegung, auf.
Die Welle von Massenprotesten wurde von den palästinensischen Organisationen aufgenommen und relativ früh bezeichnete man sie offiziell als „Intifada“, was auf den Willen zu einem dauerhaften Aufstand hindeutet. Allerdings beinhaltete dieser Aufstand gleich von Beginn an fatale innere Widersprüche, die auch die Grenzen seines möglichen Erfolges kennzeichneten:
1. Bürokratisierung und Entfremdung:
Während die erste Intifada von 1987 die Frucht einer Akkumulation war, in deren Rahmen in den besetzten Gebieten innerhalb von zwanzig Jahren eine Massenbewegung ausreifte, entstand diese zweite Intifada in der Phase starker Bürokratisierung der politischen Bewegung. In den Jahren nach dem Oslo-Abkommen zog die ohnehin bürokratisierte PLO in die besetzten Gebiete ein und übernahm von der israelischen Besatzung die Verwaltungs- und Sicherheitsaufgaben. Die Kader der einheimischen Massenorganisationen wurden ebenfalls in den Verwaltungs- und Sicherheitsapparat der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA) integriert und somit aufgelöst. Die islamischen Massenorganisationen litten unter Repression und zogen sich verstärkt zurück. Die jüngere Generation, die den neuen Aufstand trug, stand in keiner Kontinuität mit der früheren Massenbewegung. Sie zeichnete sich zwar durch tapferen Einsatz aus, litt aber verstärkt an mangelnder Politisierung.
2. Fehlen eines politischen Programms:
Bis zum Oslo-Abkommen orientierte sich die Massenbewegung am politischen Programm der PLO. Die Anerkennung der PLO als politische Vertretung der Palästinenser/innen galt selbst als eine Forderung der Bewegung. Das Oslo-Abkommen lag weit unterhalb der Forderungen der Bewegung. Die daraus geborene PNA liquidierte systematisch die PLO als politische Vertretung aller Palästinenser/innen. Es gelang ihr jedoch nicht, wie das der Oslo-Prozess vorsah, zum Staat im Westjordanland und in Gaza zu werden. Die wachsende islamische Bewegung opponierte zwar gegen das Oslo-Abkommen, da es eine Kapitulation darstelle, und lehnte die Zweistaatenlösung ab; sie bot jedoch kein alternatives politisches Programm an. Arafat und seine Führungsriege waren vollkommen auf die Zweistaatenlösung eingestellt und hatten kein Alternativ- oder Notstandsprogramm. Hingegen trainierte die israelische Armee während der 1990er Jahre, um exakt dem Szenario einer neuen Intifada zu begegnen.
Die Intifada war daher ein Ausdruck der Wut der Palästinenser/innen, artikulierte sich jedoch in keinem neuen Programm. Dies war spätestens im Februar 2001 zu sehen, als die neue Verhandlungsrunde in der ägyptischen Stadt Taba ebenfalls scheiterte. Dort bot Israel eine bessere Version als jene von Camp David an. Diese ignorierte zwar das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und trug auch sonst nicht den palästinensischen Forderungen Rechnung. Sie war dennoch das Äußerste, was die Palästinenser unter der damaligen Kräftekonstellation von Israel bekommen konnten. Dies abzulehnen bedeutete die offene Konfrontation, deren Ziel es nur hätte sein können, eine neue Balance zu schaffen. Doch dafür gab es kein politisches Programm. Bald verhandelte die PNA wieder unter schlechteren Bedingungen als in Camp David und Taba, um den Status vor dem 28. September 2000 wiederherzustellen.
3. Fehlen einer politischen Führung:
Das Fehlen eines politischen Programms hatte eine Führungskrise zur Folge. Die aus dem Oslo-Abkommen resultierende PNA wurde nicht aufgelöst. Arafats Führung wurde nicht in Frage gestellt und der Polarisierung zwischen Fatah und Hamas wurde kein Ende gesetzt. Die Konkurrenz der Organisationen um Popularität verhinderte nicht nur die Einigung auf das Programm und die Führung, sondern auch auf die Kampfmethoden. PLO-nahe Intellektuelle verurteilten öffentlich die Selbstmordanschläge und lieferten dadurch israelischen Racheaktionen indirekt politische Hilfe. Andererseits wurden die Aktionen der Hamas zum Selbstzweck. Ihre Popularität und Effizienz zwangen andere Organisationen zu ähnlichen Handlungen. Dies hatte eine Militarisierung zur Folge, bei der die Massen einerseits zu passiven Opfern israelischer Racheaktionen und andererseits politisch nur mehr zu Zuschauern wurden. Unkonkret waren sowohl Arafat auf seinem kompromiss-suchenden Kurs als auch Hamas in ihrem Widerstandsprogramm. Konkret waren jedoch die Pläne Sharons, die palästinensische Autonomie völlig zu zerstören und die Städte in geschlossene Reservate umzuwandeln.
4. Keine Wirtschaft des Standhaltens:
Die 1990er Jahre waren weltweit die Jahre der Globalisierung. Israel und die palästinensischen Gebiete bildeten hier keine Ausnahme. Während Israel die Marktöffnung durch die Umstellung der Produktion auf Spezial- und Militärexportprodukte, durch die amerikanische Unterstützung und durch die Öffnung asiatischer Märkte überstand, kamen für die palästinensische Wirtschaft schwere Zeiten. Die Wirtschaft war nach der Besatzung weitgehend in eine Abhängigkeit von Israel gezwungen worden und wurde dadurch in den Jahren nach Oslo in doppeltem Sinne zermürbt: Das Wirtschaftsabkommen von Paris institutionalisierte diese Abhängigkeit und raubte den palästinensischen Gebieten die Perspektive einer souveränen Entwicklung. Die lokale Kleinindustrie unterlag einerseits den israelischen Schikanen, andererseits der starken Korruption der PNA, deren Regenten auch über die Importlizenzen verfügten und selbst zur Konkurrenz wurden. Auch die Landwirtschaft litt unter zunehmendem Landraub durch die Siedlungspolitik Israels und unter Wassermangel, da das Grundwasser des Westjordanlands in israelischer Hand blieb. Bald war die nur in eine Richtung offene palästinensische Wirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig und wies ein großes Defizit auf. Die in israelischen Einrichtungen arbeitenden 200.000 Palästinenser/innen wurden nach der Grenzschließung allmählich durch asiatische und osteuropäische Gastarbeiter ersetzt. Diese und 70.000 zugezogene PLO-Kader fanden Beschäftigung im Apparat der PNA und bildeten eine neue soziale Schicht, die existenziell von der Autonomiebehörde abhängig wurde. Bei fehlender produktiver Wirtschaft war diese auf ausländische Hilfe in Form von Finanzierung aus der EU, USA und den arabischen Staaten angewiesen. Eine andere Geldquelle waren die Privatüberweisungen von Angehörigen, die im Ausland arbeiteten.
Die Ausgangsbedingungen für eine offene und dauerhafte Konfrontation waren insgesamt schlecht. Die palästinensischen Gebiete sind in Sachen Energie, Wasser, Nahrung und Geldfluss fast vollkommen von Israel abhängig. Die Kollaboration basiert daher nicht nur auf einer dünnen Schicht von korrupten PLO-Geschäftsmännern, sondern wird von einer breiten Mittelschicht getragen, die der Kollaboration eine soziale Basis anbietet. Die Opposition hing ebenso in den Finanznetzwerken der islamischen Bewegung bzw. an den EU-finanzierten NGOs, die sich schnell vermehrten und einen wesentlichen Teil der Linken absorbierten.
5. Ungünstige internationale Konjunktur:
Die Intifada selbst war eine Reaktion auf eine ungünstige internationale Situation. In einer monopolaren Welt fühlten sich die USA nicht mehr verpflichtet, die Rechnungen der Clintonschen Appeasement-Politik zu begleichen. International kapitulierten in den 1990er Jahren die meisten Widerstandsbewegungen oder wurden stark geschwächt. Im Westen trocknete die Linke, die einst die Trägerin der internationalen Solidarität war, aus oder wurde zu einem Teil des Establishments. Die Palästinenser/innen, deren eigene zivile Organisationen im Ausland in den 1990er Jahren ebenfalls schwanden, vermissten stark das Netzwerk internationaler Solidarität, das sie einst gehabt hatten. Die anfangs beeindruckenden weltweiten Massenproteste verwandelten sich nicht in effiziente Druck- oder Hilfsmittel. Die israelische mediale Gegenoffensive war bald in der Lage, mindestens eine Gleichstellung von Opfern und Tätern zu schaffen, bald sogar auch die Umkehrung dieses Verhältnisses. Der Anschlag von New York und der daraus resultierende „Krieg gegen den Terror“ bedeutete für die Palästinenser/innen eine weitere ungünstige Entwicklung: Einerseits passten sie perfekt in das neue Feindbild Islam, andererseits richtete sich die Aufmerksamkeit der Welt auf andere Schauplätze. Israel hatte somit freie Hand für die Repression, die unter Sharons Regierung stattfand.
Exzessive Gewalt
Während in den Jahren vor Oslo die israelische Armee für die Sicherheit in den palästinensischen Städten sorgen musste und somit für das Leben der Menschen verantwortlich war, behandelte sie nach Oslo die Städte offiziell als feindliches Gebiet. Sie setzte erstmalig Maschinengewehre gegen Demonstrant/innen ein. Hunderte Palästinenser/innen starben in den ersten Wochen der Intifada. Extralegale Hinrichtungen standen ganz oben auf der Tagesordnung. Israelische Spezialtruppen, Agenten und Luftwaffe ermordeten mit auffallender Effizienz palästinensische Aktivisten sowie politische und militärische Führungen. Über zehntausend Palästinenser/innen saßen in israelischen Gefängnissen und Lagern.
Die brutale Reaktion der israelischen Armee auf die Massendemonstrationen führte zu einer hohen Zahl an Opfern. Änderungen der Taktiken waren bald nötig, um den hohen Verlust an Menschenleben zu beantworten und eine entsprechende Demoralisierung der Massen zu vermeiden. Palästinensische Organisationen waren zu militaristischen Aktionen gezwungen, um auch der anderen Seite Verluste beizubringen und somit in diesem ungleichen Kampf nicht vollkommen unterzugehen. Vor diesem Hintergrund der extrem ungleichen Kräftekonstellation entwickelten sich die Selbstmordanschläge, die bald die Massenproteste ersetzten. Da aber das politische Gesamtprogramm fehlte, lieferten diese schlussendlich nur einen Vorwand für immer stärkere Repression.
Im Dezember 2001 lenkte Arafat ein und kündigte einen einseitigen Waffenstillstand an. Er rief den „Ausnahmezustand“ aus, was auch die Bereitschaft zu interner Repression bedeutete. Mehrere Aktivisten der Hamas wurden verhaftet. Diese Wende Arafats wurde zwar sowohl von den Israelis als auch von den palästinensischen Organisationen ignoriert, war jedoch die Botschaft an Sharon, er sei mit seiner Politik der exzessiven Gewalt auf dem richtigen Weg. Im Frühling 2002 stürmten israelische Panzer die Autonomiestädte und zerstörten die Infrastruktur der PNA. Dies geschah mit Ausnahme von wenigen Orten wie etwa dem Flüchtlingslager Jenin mit erstaunlicher Leichtigkeit. PNA-Polizisten ergaben sich meistens widerstandslos und die israelische Armee entführte die verhafteten Aktivisten aus den palästinensischen Gefängnissen. Arafats Residenz selbst wurde auf sein Büro reduziert, nachdem israelische Bulldozer das große PNA-Kombinat in Ramallah dem Erdboden gleich gemacht hatten. Ab diesem Zeitpunkt war Arafat ein Gefangener in seinem Büro.
Doch auch diese Eskalation zog keinen Wechsel in den palästinensischen politischen Verhältnissen nach sich. Die restlichen Jahre der Intifada bestanden nunmehr aus israelischer Repression und zunehmender Kollaboration seitens der PNA. Der israelische Mauer- und Siedlungsbau vervollständigte die Zerstückelung der palästinensischen Gebiete und die Isolierung Jerusalems.
Arafats Tod Ende 2004 hinterließ ein bedeutendes Vakuum in der palästinensischen Politik, da es keine andere Konsensfigur gab. Unter Arafat besaß die PNA einen Doppelcharakter: Einerseits wurde aus realpolitischen Gründen kollaboriert; andererseits dosierter Widerstand im Dienste der politischen Taktik geduldet und manchmal unterstützt. Hamas, die seine symbolische Stellung nicht in Frage stellte und seine Autorität bevorzugt aus den Reihen der Opposition heraus gefördert hatte, sah nach seinem Tod eine Chance, ihren Anteil an der Führung zu beanspruchen. Dadurch bewegte sie sich einen Schritt in Richtung Realpolitik und nahm erstmalig an den Parlamentswahlen der PNA 2006 teil. Sie gewann diese mit deutlicher Mehrheit und beanspruchte die Regierung.
Fatah hingegen entfernte sich unter Abbas von Arafats Mittelweg zwischen Kollaboration und Widerstand, deklarierte offiziell das Ende der Intifada und steuerte nunmehr in Richtung offene Kollaboration.
Dünne Luft im Westjordanland, dicke Luft um Gaza
Nach zehn Jahren Intifada steht die palästinensische Gesellschaft im Westjordanland erschöpft, demoralisiert und ohne politische Orientierung da. Oppositionskräfte sind liquidiert oder haben sich in den Hintergrund zurückgezogen. Das erklärt die Leichtigkeit, mit der die PNA unter Abbas/Fayyad „Ordnung“ in die palästinensischen Städte brachten. Die Menschen sehnen sich nach einer Form von Normalität.
Nur in Gaza, wo dreitausend Siedler ein Drittel der Fläche des Streifens besetzten, waren die palästinensischen Organisationen in der Lage, dauerhaften Druck auf die israelischen Siedlungen auszuüben. Dadurch war der Widerstand in der Lage, 2005 den israelischen Abzug aus Gaza zu erzwingen. Israel musste auch erstmalig Siedlungen zerlegen und räumen. Jedoch relativierte sich gerade dieser kleine Sieg durch die Komplexität der inneren palästinensischen Verhältnisse.
Die Tatsache, dass der Abzug durch den Druck des Widerstands und nicht durch die jahrelangen Verhandlungen erreicht wurde, schlug den Erfolg der Hamas zu (auch wenn die Militärflügel der anderen Organisationen, inklusive der Fatah, hier einen wichtigen Beitrag leisteten). Hamas erntete die Früchte dieses Erfolges bei den PNA-Parlamentswahlen, wo sie mit ihrem Programm von „Reform und Veränderung“ einen klaren Wahlsieg gegen die von Korruption, Kollaboration und inneren Streitereien zerrüttete Fatah verzeichnete.
Hamas in der Falle
Da Hamas keine radikale Änderung der Verhältnisse anstrebte, sondern eine ihr zustehende Machtbeteiligung, ist Hamas durch diesen Sieg in eine Falle geraten: Das Reformprogramm der Hamas war kein politisches und bezog sich nur auf die PNA. Es verlangte sofortige Änderungen, die baldige spürbare Verbesserung im Alltag der Palästinenser/innen bringen sollten. Diese Reformen setzten jedoch eine demokratische Zusammenarbeit seitens der PNA voraus. Die Fatah hingegen, die seit mehr als vierzig Jahren die Zügel der palästinensischen politischen Institution lenkt, war keinesfalls zu einer Übergabe bzw. Teilung der Macht bereit.
Der internationale Druck auf Hamas, Israel bedingungslos anzuerkennen, und die daraus resultierende Blockade und Sperre der Finanzmittel lenkten Wind in die Segel der Fatah. Der aufgeblähte PNA-Apparat konnte durch das Entfallen der Auslandsgelder nicht bezahlt werden und wurde zu einem Druckmittel gegen die Hamas-Regierung, an der sich keine der PLO-Organisationen beteiligen wollte. Während der Geldzufluss der Hamas durch eine unerwartete Bankenblockade unterbunden wurde, wurde die Fatah aus mehreren Quellen bestens versorgt, um Anhänger zu rekrutieren und Beamte bezahlen zu können. In ihrem verzweifelten Ringen um internationale Anerkennung musste sich Hamas möglichst moderat zeigen und konnte auf ihre politische Reserve als „Widerstandskraft“ nicht zugreifen. Hingegen bezog sich Fatah auf den Realismus, der nötig ist, um Auslandsgelder zu bekommen, und konnte einen wichtigen Teil der PNA-Beamten für Streiks mobilisieren. Hamas konnte darauf nur mit einer Umbesetzung der Beamtenkaders kontern, wobei Hamas-Anhänger lediglich das Tagesgeschäft erledigten.
Bald meuterten die mehrheitlich mit Fatah-Anhängern belegten Sicherheitsapparate und weigerten sich, dem von Hamas gestellten Innenminister zu folgen. PNA-Präsident Abbas entzog der Regierung vielerlei Kompetenzen und unterstellte die Sicherheitsapparate seiner Macht. Dies zwang das Innenministerium, eine eigene Exekutivtruppe zu gründen, die großteils aus Hamas-Anhängern zusammengestellt wurde. Der Sturz der Hamas-Regierung wurde zum deklarierten Ziel des Westens und Israels, mit dem auch die Fatah offen kooperierte. Dutzende Palästinenser/innen starben in den täglichen Auseinandersetzungen der Sicherheitsapparate, bis im Juni 2007 die Exekutive von Hamas die Machtfrage in Gaza entschied. In Ramallah putschten die Fatah-nahen Apparate: Abbas entließ die Regierung und bildete eine neue prowestliche Regierung unter Salam Fayyad. Die israelische Armee half der Fatah dabei, Hamas-nahe Politiker und Aktivisten zu verhaften. Hamas behielt Gaza und unterließ offene Konfrontationen im Westjordanland, wo die israelische Armee jede Machtübernahme der Hamas rückgängig machen konnte.
Zersplitterung und Orientierungslosigkeit
Ironischerweise entschied sich in Gaza der Kampf zwischen Fatah und Hamas nicht im Kontext des Kampfes Widerstand gegen Kollaboration, sondern im Zusammenhang des Machtkampfes innerhalb der PNA nach dem Wahlsieg von Hamas. Beide Seiten bezogen sich auf Paragraphen des Grundgesetzes der PNA und rechtfertigten ihre Repression oppositioneller Kräfte mit Begriffen wie „Ruhe und Ordnung“. Als tragende Kraft des Widerstands übersetzte Hamas ihre Erfolge nicht in ein politisches Alternativprogramm, sondern versuchte sich als die bessere PNA zu behaupten. Sie stellte sich als Reformkraft für den Apparat der Autonomiebehörde mit dem Ziel dar, diesen weg von der offenen Kollaboration hin zu einer Kombination von dosiertem Widerstand und realpolitischer Alltagskollaboration zu entwickeln. Das entspräche einer Re-Arafatisierung der PNA. Aussagen des Politbüro-Sprechers Khalid Mishaal, der bei einem Abzug der Israelis aus dem Westjordanland und Gaza den Widerstand als beendet betrachten wollte, sind in diesem Kontext zu verstehen. Viel direkter war das Angebot eines zehnjährigen Waffenstillstands, das auch von Israel abgelehnt wurde.
Dieser moderate Diskurs der Hamas war zum Scheitern verurteilt, weil Israel den Palästinensern auch keine „ehrenhafte Kapitulation“ gönnen würde. Die Führung von Ramallah ist organisch an dieses Kollaborationsregime gebunden und steht jedem Kompromiss im Wege. Auch die Fatah-Basis wurde liquidiert und weitgehend in die neuen Apparate absorbiert. Beim israelischen Angriff auf Gaza Ende 2008 fanden die Politiker von Ramallah kaum verurteilende Worte, während ihre Sicherheitsapparate die Protestkundgebungen auf brutale Weise niederknüppelten, wie das nur von klassischen arabischen Diktaturen bekannt ist. Daher ist es kein Wunder, dass eine palästinensische Versöhnung nur unter der Voraussetzung einer totalen Kapitulation der Hamas möglich wäre. Das ist der Grund, warum Verhandlungen zwischen Abbas und Haniyyeh schwieriger und viel unwahrscheinlicher sind als Verhandlungen zwischen Abbas und Netanjahu.
Auf der anderen Seite ist Gaza, als befreites, aber belagertes Gebiet, das einzige Territorium, wo die Palästinenser/innen eine selbstständige Regierung ohne Abkommen mit Israel haben. Diese Situation trotz Blockade und israelische Angriffe aufrechtzuerhalten ist an sich ein Erfolg des palästinensischen Widerstands. Palästina ist dadurch im zentralen Blickfeld der Weltpolitik geblieben. Ob dieser Erfolg ausgebaut und zu einer neuen politischen Offensive entwickelt werden kann, das steht noch offen und hängt vor allem vom Widerstandswillen und von der politischen Kreativität der Hamas ab.
Zukunftsperspektive
Die Dynamiken und das Scheitern der palästinensischen Intifada ähneln im Allgemeinen anderen palästinensischen Experimenten, wie etwa dem Aufstand von 1936-1939, der Fedayin-Phase von Amman 1967-1970 und im Libanon 1969-1982 und schließlich der ersten Intifada von 1987-1993.
Auf der einen Seite waren die Palästinenser/innen mit hohem Aufwand und großer Opferzahl dabei erfolgreich, die Palästina-Frage auf der aktuellen Tagesordnung der Weltpolitik zu halten und eine palästinensische Identität als Antithese zum zionistischen Projekt zu schaffen. Auf der anderen Seite zeigt es sich heute mehr denn je, dass getrennt von einer regionalen (arabischen, islamischen) Bewegung eine palästinensische Bewegung nicht in der Lage ist, Israel zu besiegen. Allerdings machen die gescheiterten israelischen Angriffe auf den Libanon 2006 und den Gazastreifen 2008/09 deutlich, dass Israel und die USA nicht in der Lage sind, den Widerstand in der Region komplett auszurotten und eine Totalkapitulation zu erzwingen. Nachdem sich herausgestellt hat, dass die Zerschlagung einer Widerstandsbewegung durch die USA oder Israel nicht unbedingt das Entstehen eines fähigen Kollaborationsregimes bedeutet, stockt das US-amerikanische Projekt in der Region. Widerstandsinseln haben sich als lebensfähig erwiesen, da ihre Beseitigung sowohl teuer als auch von kurzer Dauer ist. Was für das US-Projekt regional gilt, gilt für Israel gegenüber den Palästinensern. Ein israelischer Einmarsch in Gaza wäre nicht nur verlustreich, sondern würde auch eine dauerhafte israelische Präsenz nach sich ziehen. Die Pattsituation bleibt daher auch für Israel das kleinere Übel.
In der jetzigen widrigen Konjunktur können die Palästinenser/innen nur ihre Kräfte nur so optimieren, dass sie mit minimalen Verlusten die Aufmerksamkeit für die Palästina-Frage aufrechterhalten. Auf programmatischer Ebene sollte das Scheitern der Zweistaatenlösung der Anlass sein, die historische Forderung nach einem demokratischen Staat im gesamten Palästina wiederzubeleben. Dieser ist die einzige progressive und humane Antithese zum exklusiv jüdischen Staat, der nur ein Apartheidstaat sein kann. In Erwägung der Tatsache, dass diese Lösung eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der Region benötigt, muss dieses Programm mit einer neuen Bewegung in der Region verknüpft werden, die nicht nur die herrschenden Regime in Frage stellt, sondern auch über die jetzigen Staaten und Staatsgrenzen hinweg eine neue Ordnung anstrebt.