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Der große Crash
30. Januar 2009 - Stefan Hirsch

Ende 2009 werden in Europa 10 Millionen zusätzliche Arbeitslose bezeugen können, dass die Träume des ewigen Wohlstands per amerikanischem Kapitalismus beendet sind.

Im letzten Jahrzehnt – und je weniger weit zurückliegend, umso deutlicher – war privater Konsum extrem ungleich über die Erde verteilt. Grundlegender Motor der Weltwirtschaft war der stark steigende Konsum in den USA (und in einigen europäischen Ländern, die natürlich nicht die gleiche Bedeutung haben), während das Wachstum anderer Regionen stark exportabhängig war. Die großen Investitionen, etwa in China, dienten ebenfall zum Aufbau von Exportkapazitäten. Das internationale Ungleichgewicht im Konsum musste natürlich durch entsprechende Kapitalströme in die Gegenrichtung finanziert werden: Die US-Haushalte haben sich verschuldet, die Sparguthaben der restlichen Welt (und deren Dollar-Devisenreserven) haben das finanziert.

Die genauen Wirkungsmechanismen – Immobilienblase, Kreditboom und deren Ende – wurden an anderer Stelle beschrieben und brauchen nicht wiederholt zu werden. Es reicht zu sagen: zu einem bestimmten Zeitpunkt hat die Risikoneigung der Investoren gedreht, die Schulden der US-Haushalte wurden nicht mehr automatisch refinanziert, die Blase ist geplatzt. Das internationale Finanzsystem hat festgestellt, dass das Geld, das den US-Haushalten geborgt wurde, wohl nicht mehr vollständig zurückgezahlt werden kann. Die folgende Panik erklärt den Rest der aktuellen Bankenkrise.

Erste Schlussfolgerung

Das Problem der aktuellen Wirtschaftskrise sind faule Kredite und die damit verbundenen Kapitalverluste. Das Problem ist auch eine Finanzmarktpanik, die die Refinanzierung von Schulden verunmöglicht. Beides kann früher oder später gelöst werden, auf Kosten der Steuerzahler, die die Banken auffangen müssen. Dabei ist aber auch ein völliger Zusammenbruch des Finanzsystems noch durchaus möglich. Eine durchaus denkbare Variante: Zahlungsbilanzkrise und Ausfall der Schulden in Rumänien, Russland, Ungarn und dem Baltikum, in der Folge der Zusammenbruch der österreichischen Banken und vielleicht der schwedischen (deren imperiale Osteuropa-Abenteuer immer noch als blendendes Geschäft gefeiert werden), und dann der Staatsbankrott in Wien (gemessen am BIP hat Österreich das größte Bankenhilfspaket der Welt, aber keine Chance die Garantien auch wirklich zu bezahlen – Island in den Alpen). Die folgende Panik wirft dann noch Griechenland und Italien über die Klippe, oder es bricht zuerst das englische Pfund zusammen, was einen Totalausfall der britischen Banken bringt. Und dann steht nicht mehr viel.

Präziser: der Zusammenbruch des Finanzsystems wäre eigentlich unvermeidbar, in Europa in ungefähr der oben beschriebenen Wirkungskette, wenn die Regierungen nicht massiv dagegen steuern würden. (Rumänien wird wahrscheinlich aufgefangen werden, weil Österreich mit dranhängt und damit die Stabilität des Euro.) Was bleibt, ist ein ungeheurer Berg staatlicher Verschuldung.

Zweite Schlussfolgerung

Eine weitere Folge der Krise ist aber der Ausfall des amerikanischen Privatkonsums, um den sich die Weltwirtschaft seit Jahren gedreht hat. Der Weltwirtschaft fehlt ein entscheidender Motor und es gibt keine Antwort darauf, woher die zusätzliche Nachfrage kommen soll, die die jetzige Rezession wieder beendet. (Was natürlich auch die Probleme der Banken weiter verschärft.) Über längere Zeit wäre es möglich gewesen, dass billiges Geld, nach einem etwas kürzeren oder längeren Einbruch, eine neue Vermögenspreisblase bilden hätte können, als Stütze für weiteren kreditgestützten Konsum. Das wird zunehmend unwahrscheinlich, die Verluste sind zu groß. Falls diese Überlegung zutrifft, dann steht die Architektur der Weltwirtschaft tatsächlich vor einem radikalen Umbruch.

Ursachen

Umbruch in welche Richtung? Damit wir dieser Frage näher kommen können, brauchen wir eine Erklärung für das zentrale Problem, die extrem ungleiche globale Verteilung des Konsums in den letzten Jahren. Die etwas gemäßigten Globalisierungskritiker, etwa Joseph Stieglitz, haben die Deregulierung des Bankensystems als Ursache erkannt. Das trifft sich ganz gut mit konservativen Kommentatoren, die die niedrigen US-Zinsen als Ursache sehen: Billiges Geld oder Deregulierung: entscheidend ist der Kreditexzess, der die Häuserpreise in die Höhe getrieben und den Privatkonsum aufgebläht hat. Das hat schließlich, so die Kommentatoren, gleich einem riesigen Pyramidenspiel die Sparguthaben der ganzen Welt inhaliert. Das ist sicher nicht falsch: Ohne die Deregulierung der Banken wäre eine Blase dieses Ausmaßes nicht möglich gewesen, der US-Konsum wäre früher eingebrochen und die Nebenwirkungen von Kreditausfällen und Finanzmarktpanik entsprechend geringer ausgefallen.

Aber diese Analyse geht dennoch am Kern der Sache vorbei. Normalerweise werden Menschen mit Versprechen von hohen Gewinnen in ein Pyramidenspiel gelockt. Anlagen in den USA haben allerdings erbärmliche Renditen abgeworfen, zumal in den letzten Jahren, in denen der Dollar zumeist an Wert verloren hat. Das geht soweit, dass die Schulden der USA im Ausland von 2001 bis 2007 zwar gestiegen sind, aber die von Amerikanern im Ausland gehaltenen Vermögen noch schneller an Wert gewonnen haben. Die Nettoverschuldung hat also gar nicht zugenommen – trotz eines Leistungsbilanzdefizits von zuletzt 6 Prozent des BIP! (2008 ist sicherlich das Gegenteil eingetreten, aber das war nach dem Ausbruch der Krise und kann somit nicht zur Erklärung dienen.)

Viele marxistische Analysen sehen eine Krise der Profitrate im Zentrum (etwa Sarah Wagenknecht, oder die Reste des Trotzkismus). Wegen dieser wäre das internationale Finanzkapital nicht mehr in der Lage gewesen, außerhalb der USA Anlagemöglichkeiten zu finden, aufgrund dessen hätte man den US-Konsumenten das Geld vorgeschossen. Es handle sich um eine Verwertungs- und Profitkrise, ausgelöst vom Fall der Profitrate und vom US-Konsumboom nur verschleiert. Das Gegenargument bleibt aber das gleiche: Wenn es nur um die Suche nach Profit geht, warum akzeptierte man dann in den USA schlechtere Renditen, als sie in vielen anderen Ländern zu holen waren?

Tatsächlich sind die bedeutendsten Kapitalflüsse in die USA nicht von privaten Akteuren getätigt worden (denen durchaus aufgefallen ist, dass man woanders mehr verdienen kann.) Das steht im Gegensatz zu den Jahren des New-Economy-Booms, wo der US-Aktienmarkt Glücksritter aus der ganzen Welt angelockt hat. Im neuen Jahrtausend waren es häufig Notenbanken, die ihre Devisenreserven gewaltig aufgeblasen haben. China sitzt auf der unglaublichen Summe von knapp 2 Billionen Dollar, aber auch eine ganze Reihe von anderen „Schwellenländern“ (eigentlich alle bedeutenderen, mit Ausnahme von Osteuropa) verfügt über hohe Devisenreserven. (Und eine Zunahme der Dollarreserven bedeutet gleichzeitig Kapitalfluss in die USA).

Dabei geht es nicht um Rendite. Ohne die Bilanzen der chinesischen Zentralbank genau zu kennen, können wir davon ausgehen, dass sie beim Anhäufen von Devisenreserven und den in der Folge notwendigen Sterilisierungsoperationen1 relativ viel Geld verliert – und nicht verdient. Warum also dieses Vorgehen?

Die Politik der chinesischen Nationalbank ist Ausdruck eines exportorientierten Entwicklungsmodells, das auf den amerikanischen Markt fixiert und daher an einer unterbewerteten Währung interessiert war, um die Ausfuhren billig zu halten (und daher beständig Dollar kaufen musste, um den Renminbi, die chinesische Währung, niedrig zu halten). Diese Politik ist auch Ausdruck einer gesunden Vorsicht: die gesamten 80er und 90er wurde die Peripherie von Finanzkrisen verheert. Thailand oder Indonesien wurden Anfang der 90er von Kapitalzuflüssen ersäuft, die Kredit- und Immobilienblasen ausgelöst haben. Die Zuflüsse drückten gleichzeitig die Währung nach oben, die Industrie war nicht mehr konkurrenzfähig und die Verschuldung in Fremdwährung stieg. Dann wurden die Investoren von Panik erfasst, die Kapitalflucht hat die Währung verfallen lassen und die heimische Wirtschaft brach unter der Last der in Dollar gezeichneten Schulden zusammen. Die Schlussfolgerungen der Regierungen: Ja keine überbewertete Währung zulassen, Devisenreserven können gar nicht zu hoch sein; hohe Sparquoten, wenig Konsum und staatliche Investitionen, um diese Politik abzustützen.

Mit Ausnahme Osteuropas (das hohe Auslandsverschuldung zugelassen hat) folgt die weltweite Peripherie seit der Asienkrise einer Entwicklungsstrategie, die dem Export Vorrang vor der Armutsbekämpfung und dem Binnenmarkt gibt und die damit natürlich auch im Interesse der heimischen Eliten war. Aus der Sicht der Oligarchie ist das eine durchaus vernünftige Überlebensstrategie im globalisierten Kapitalismus, die jetzige Finanzkrise hat in der Folge auch kaum zu großen Zahlungsbilanzkrisen in der Peripherie geführt (wieder mit Ausnahme Osteuropas). Aber eine Strategie, die davon abhängig ist, dass die USA die überschüssigen Sparguthaben aufnimmt und die Konsumlücke schließt.

Schlussfolgerungen

Die tieferen Ursachen der Krise liegen teilweise bei den deregulierten Finanzmärkten, die zahlreichen Schwellenländern eine brutale Politik abverlangten und darin von den heimischen Eliten unterstützt wurden: Die Ärmsten mussten die Gürtel enger schnallen, damit man das Geld den Reichsten borgen konnte.

Die tieferen Ursachen der Finanzkrise liegen aber vor allem in der völlig auf die USA zentrierten internationalen Architektur. Der Dollar als Weltgeld, die USA als „buyer of last resort“, die gigantischen amerikanischen Schuldenberge, die die längste Zeit praktisch gratis angehäuft werden konnten und auch heute mit einem Federstrich entwertet werden könnten (oder durch die Druckerpresse beglichen). Die USA sind nicht mehr in der Lage, diese Funktion der Weltwirtschaft zu erfüllen. Wenn Südkorea seine Währung niedrig hält, um in die USA zu verkaufen, dann ist das eine Sache. Tun das aber alle, dann werden die Schulden einmal zu hoch sein. Dieser Zeitpunkt war der Sommer 2007. Die „Subprime-Krise“ ist die Konkurserklärung des US-Konsumenten.

Geopolitik, Imperium und Krieg

Mittelfristig steht die Hegemonialposition der USA unter gewaltigem Druck. Nach dem 2. Weltkrieg war sie die Fabrik der Welt und erwirtschaftete die Hälfte des globalen BIP. In den 70er Jahren war diese Position geschwächt, aber der Umbau des weltweiten Finanzsystems ermöglichte die billige Verschuldung – bis heute. In den 90er Jahren wurde die wirtschaftliche Vormachtstellung der USA dann ins Imaginäre verschoben: man wurde zur Kapitale des New-Economy Booms, der aus ein bisschen Internet und sehr viel Halluzination bestand. Im neuen Jahrtausend bestand die wirtschaftliche Macht der USA schließlich in der Fähigkeit sich zu verschulden und Sachen zu konsumieren. Das geht jetzt auch nicht mehr. Die Hegemonialposition steht unter Druck, aber deswegen muss sie noch nicht fallen.

Mit Imperien ist das so eine Sache: Will man den Imperator stürzen, dann braucht man eine glaubhafte Alternative, einen Thronfolger oder eine Koalition selbiger. Die ist weit und breit nicht in Sicht. Der EU fehlt eine Führung, die Finanzkrise könnte sogar den Euro zum Einsturz bringen. Deutschland ist Exportweltmeister in einer Zeit, wo niemand diese Exporte kaufen will, und im Übrigen nicht in der Lage, den heimischen Privatkonsum zu entwickeln. Kurz: Deutschland ist im Arsch, der Euro in Problemen. Wer soll dann die Leitwährungsstellung des Dollars übernehmen? China? Russland? Die internationale Oligarchie soll die KP-Chinas als neue Führungsmacht akzeptieren? Oder China den globalen Kapitalismus stürzen, nachdem man sich diesem in die Arme geworfen hat?

Im Augenblick kämpfen alle potentiellen Konkurrenten der USA mit gewaltigen Problemen: China ist vom US-Markt abhängig, Russland vom Ölpreis. Selbst diejenigen, die ernsthaft das Imperium verlassen wollen, bemerken ihre fortgesetzte Abhängigkeit: Trotz aller Versuche sich von der Ölabhängigkeit zu lösen, benötigt Venezuela (mit den gegenwärtigen staatlichen Ausgaben) einen Ölpreis von 80 Dollar, um seine Zahlungsbilanz im Gleichgewicht zu halten.

Kurz: weder wird das Imperium in kurzer Zeit zerbrechen, noch der Imperator demnächst gestürzt werden, weil die Oligarchie der ganzen Welt daran gekettet ist und sich anderes nicht einmal vorstellen kann. Zu Umbauten wird es kommen müssen. Vielleicht akzeptiert die USA eine etwas abgeschwächte Vormachtstellung. Vielleicht geht sie auch zu einer extrem aggressiven Strategie über und löst eine Konfrontation mit Russland aus, um alle Satrapen auf Linie zu bringen. Mit Sicherheit kann man davon ausgehen, dass die USA die Kriegskarte auch in den kommenden Jahren spielen werden. Sie ist das letzte große Ass.

Markt und Politik

In der ganzen Welt werden im Augenblick die Vorzüge der sozialen Marktwirtschaft gepriesen. Bis Anfang Oktober wollte in der Bundesrepublik niemand das Wort „Konjunkturprogramm“ in den Mund nehmen, jetzt steht die Kanzlerin massiv unter Druck, weil die staatlichen Konjunkturhilfen großzügiger zu gestalten seien. Der Marktradikalismus ist in der Defensive. Russland geht einen weiteren Schritt in Richtung des chinesischen Weges eines staatlich gelenkten Kapitalismus. Einziges Problem: So etwas funktioniert heute nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip. Entweder Devisenverkehrskontrollen (und Handelsschranken in der Hinterhand), staatliche Banken und staatliche Investitionslenkung – oder frei konvertierbare Währung, private Geschäftsbanken und private Investitionsentscheidungen.

Die internationalen Kapitalflüsse sind wie ein Wildwasser: Wirft man einzelne Felsbrocken hinein, bekommt man nur zusätzliche Stromschnellen. Will man den Wahnsinn kontrollieren, dann braucht es eine Staumauer: Je moderner eine Wirtschaft, je höher der Anteil des Außenhandels, um so eher trifft das zu, umso stabiler und höher muss die Mauer sein, um nicht weggerissen zu werden. Es dürfte wenig wahrscheinlich sein, dass Europa dem chinesischen Weg folgt. Und alles andere ist wirkungslose Kosmetik, ein paar Steine in einem Gebirgsfluss.

Staatsschulden

Im Unterschied zur Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre wurde weltweit tatsächlich auf den Konjunktureinbruch reagiert. Die Staatsschulden werden massiv ausgeweitet, um die Nachfrage zu stabilisieren und die Banken zu retten. Allerdings stößt auch diese Politik an Grenzen: Die Bankenrettung kostet bereits Unsummen. Die Peripherie kann nur bedingt expansive Politik betreiben: sollten sich höhere Leistungsbilanzdefizite einstellen, geraten (gerade in der Finanzkrise) die Investoren ob des Währungskurses in Panik, verlassen das Land und lösen eine Zahlungsbilanzkrise aus. Dann muss man beim IWF vorstellig werden und der verordnet wie üblich das Gegenteil: höhere Zinsen, sinkende Staatsausgaben, Sozialabbau – siehe Ungarn. Der US-Staat kann sich gewaltig zusätzlich verschulden, seine Nachfrageimpulse verpuffen allerdings, wenn sie nicht auch vom Privatkonsum aufgenommen werden. Und die US-Haushalte haben erst letztes Jahr festgestellt, dass sie überschuldet sind (bis dahin hatten sie geglaubt, dass der Wert des Hauses die Schulden aufwiegt), es ist also zweifelhaft, ob sie auf Einkauftour gehen.

Auch Europa sind im Bereich der Schuldenausweitung Grenzen gesetzt. In vielen Ländern sind die Staatsschulden schon so hoch, dass etwa Italien und Griechenland bereits hohe Risikoprämien zahlen müssen. Und in jedem Fall regiert immer noch, vor allem in Europa, das Dogma der Geldwertstabilität. Bis jetzt wird es kaum angedacht, die höheren Staatsausgaben einfach von der EZB finanzieren zu lassen. Das käme einer schleichenden Enteignung der Halter der Schuldentitel gleich. Da ist man eher für die Enteignung der Steuerzahler, die mittelfristig für den gestiegenen Schuldenstand aufkommen müssen, durch höhere Steuern oder niedrigere Staatsausgaben.

Hauptszenario

Wir bekommen nicht unbedingt die große Weltwirtschaftskrise, aber zumindest eine ganze Periode sehr schwachen Wachstums und möglicherweise wiederkehrender Rezessionen. Die US-Hegemonie ist schwer angeschlagen, aber auf der anderen Seite hat die internationale Oligarchie letztlich keine Alternative und die USA werden zur Absicherung ihrer Position immer wieder die Kriegstrommeln rühren. Die Marktideologie ist ebenso angeschlagen, den Schritt zur staatlich gelenkten Wirtschaft will das Zentrum des Imperiums aber nicht gehen.

Der Staat unterstützt die Nachfrage, bekommt früher oder später aber Probleme mit der Überschuldung. Die Notenbanken senken die Zinsen, werden eine deflationäre Grundstimmung aber nicht verhindern können, weil sie vor den entscheidenden Schritten – Finanzierung der Staatsschulden – zurückschrecken. Die globalen Ungleichgewichte des Konsums werden abgebaut (allein deswegen, weil die USA einfach weniger konsumieren), aber nicht nachhaltig, weil sich die mexikanische, chinesische oder indonesische Oligarchie letztlich keine Abkehr vom exportgestützten Entwicklungsmodell wünscht und Deutschland wohl dazu nicht in der Lage sein wird.

Kurz: nachdem sich die Regierungen jetzt eine zeitlang als Krisenmanager profilieren können und große Reden schwingen (von sozialer Marktwirtschaft und gierigen Bankern), wird sich in einiger Zeit der Eindruck festigen, dass angesichts der Probleme nichts unternommen wird – weil sich tatsächlich nichts ändert. Während dessen werden die Illusionen in die Kraft des Marktes – und auch des Kapitalismus – zu bröckeln beginnen. In den letzten Jahren hatte sich die Mentalität des reich werden durch Spekulationsgewinne bis tief in die Mitteschicht ausgebreitet. Das wird zurückgehen, während die Opfer der Fremdwährungskredite ihre Wunden lecken. Das ist das Rezept einer Hegemoniekrise: die Oligarchie ist in Problemen, weiß aber nicht weiter. Eine vernünftige Lösung würde die Aufgabe ihrer Pfründe bedeuten: ein Ende der Globalisierung schmälert die Profite, eine Abkehr von der Geldwertstabilität ruiniert das Finanzkapital. Solange irgend möglich, wird man sich echten Lösungen verschließen.

Solange irgend möglich: kann sein, dass das irgendwann nicht mehr möglich ist, abhängig von der Tiefe der Krise. Kann sein, Globalisierung und Freihandel brechen auseinander. Die USA wäre in der Lage den gordischen Knoten mit einer Art faschistischen Staatsintervention zu zerschlagen. Sie könnte die Kontrolle über die strategischen Sektoren der Wirtschaft dem Staat übertragen, die Konvertibilität des Dollars aussetzen oder Handelsbarrieren errichten und versuchen, die Welt durch den Einsatz extremer Gewalt weiter zu beherrschen. Noch steht das aber nicht auf der Tagesordnung, der Hauptfeind bleibt daher der Liberalismus. Komme was wolle: Der Spielraum der Antikapitalisten wird in den nächsten Jahren größer werden.

(1) Sterilisierungsoperationen: Um den Kurs des chinesischen Renminbi gegenüber dem Dollar niedrig zu halten, kauft die chinesische Notenbank Dollar und verkauft Renminbi. Die Dollar werden dann in den USA investiert (die Devisenreserven wachsen), aber auf der anderen Seite wächst die Menge an im Umlauf befindlichen Renminbi. Die wachsende Geldmenge wird Inflation erzeugen (das ist etwa in Russland passiert), um diese zu verhindern müssen die zusätzlichen Renminbi wieder aus dem Umlauf genommen werden (die zusätzliche Geldmenge wird „sterilisiert“). Etwa in dem die Notenbank Anleihen verkauft, sich also praktisch das Geld wieder zurückborgt – dafür sind natürlich Zinsen fällig. Wenn die Zinsen, die die Notenbank für ihre Devisenreserven erhält, nicht höher sind, dann wird sie insgesamt Geld verlieren, vor allem, wenn der Dollar noch zusätzlich abwertet, was in den letzten Jahren ja geschehen ist.