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„Siedlungsstopp vollkommen unglaubwürdig“
30. Januar 2009 - Margarethe Berger, Peter Melvyn, Ilan Pappe

intifada: Was waren die Reaktionen auf Ihr Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“ in Israel? Das offizielle Israel hatte immer jede Verantwortung für die „Nakba“ – die Vertreibung von rund 750,000 Palästinensern – abgelehnt. Wie kann Israel im Licht der Quellen aus Staatsarchiven, Protokollen oder Berichten, auf die sich Ihr Buch stützt, die Verantwortung weiterhin ablehnen? Schließlich sind diese Quellen doch für jedermann zugänglich.

Ilan Pappe: Das Buch selbst wurde in Israel eher ignoriert. Es gab eine große Debatte, in der israelische Historiker nach ihrer Meinung über das Buch gefragt wurden. Sie sagten, dass zwar die Fakten richtig wären, jedoch die moralische Interpretation falsch sei. Die akademische Reaktion besagt: „Ja, Palästinenser wurden vertrieben, doch dies geschah in Selbstverteidigung.“ Und was der Historiker und Autor Benn Morris sagte – und weiterhin sagen würde – ist, dass Israel, falls es notwendig wäre, das Selbe wieder tun müsste, um sein Überleben zu sichern. Die akademische Reaktion sagt im Wesentlichen, dass es nicht ausreicht über die Fakten der Vertreibungen zu schreiben, sondern dass eine ideologische Position eingenommen werden muss und meine Position wäre eben die falsche, bzw. mehr als das, sie wäre eine schlechte Position, im Grunde Verrat. In den 1990er Jahren hatte die akademische Welt die Vertreibung geleugnet.

Die Medien im eigentlichen Sinn entschieden sich dafür, mein Buch zu ignorieren. Doch das ändert sich möglicherweise in der Zukunft, da ich gerade dabei bin, das Buch auf Hebräisch zu übersetzen. Da wird es dann vielleicht mehr Reaktionen geben.

intifada: Was waren Ihre Gründe, die Universität Haifa zu verlassen? Wurden Sie von der Fakultät geächtet? Von allen Kollegen ? Gab es welche, die für Sie eintraten? Wie verhielten sich die Studenten?

Ilan Pappe: Ich hatte vor allem Probleme mit dem Management der Universität. Das Management erklärte offen, dass es sein Ziel war, mich loszuwerden – was nicht leicht war, da ich seit zehn Jahren an der Universität Haifa beschäftigt war und daher eine fixe Anstellung hatte. Es gelang ihnen mich zu boykottieren, zu verhindern, dass ich an offiziellen Seminaren oder Symposien teilnahm und sie froren meine Beförderung ein. Die meisten meiner Kollegen grenzten mich aus. Einige waren anderer Ansicht, aber nur die wenigsten hatten den Mut, mich öffentlich zu verteidigen und zu sagen, dass die Universität im Unrecht war. Die akademische Atmosphäre stagnierte total und es hatte keinen Sinn weiterzumachen.

Die Studenten reagierten ganz anders. In den letzten drei Jahren war ich zum beliebtesten Universitätslehrenden in Haifa gewählt worden. Die Studenten bedauerten meinen Abschied. Auch jene, die meine politischen Ansichten nicht teilten, hatten doch einen sehr viel offeneren Zugang zu der Sache als das Universitätsmanagement und meine Kollegen. Doch wie Sie wissen, haben Studenten keinen Einfluss auf diese Entscheidungen.

intifada: Was denken Sie über die gegenwärtigen Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung? Hat Israel eigentlich den politischen Willen, dass ein lebensfähiger palästinensischer Staat entsteht?

Ilan Pappe: Ich glaube nicht, dass es auf israelischer Seite tatsächlich einen politischen Willen dazu gibt. Die derzeitigen Verhandlungen sind nichts anderes als eine weitere diplomatische Übung, so wie es schon viele zuvor gegeben hat. Das Ziel ist in erster Linie, das negative Erbe der Bush-Administration ein bisschen abzuschwächen, das aufgrund von Korruptionsvorwürfen angeschlagene Image von Ehud Olmert aufzubessern, ebenso wie den Geruch der Illegitimität, den Abu Mazen in den Augen vieler Palästinenser hat, abzuschwächen. In diese Verhandlungen sind drei Leute involviert, die alle drei mit persönlichen Problemen zu kämpfen haben, und das beeinflusst den Charakter dieser Verhandlungen möglicherweise viel mehr als der Wille, die politischen Probleme tatsächlich zu lösen. Die Sache erinnert mich an Annapolis. In dem Jahr nach der Annapolis-Konferenz bauten die Israelis vier Mal mehr Siedlungen im Westjordanland als in den vier Jahren davor. Und damals wurden auch mehr Palästinenser, unter ihnen zahlreiche Kinder, umgebracht als in den Jahren zuvor. Ich fürchte, dass während der derzeitigen Verhandlungen genau das Gleiche passieren wird. Ich fürchte, dass derartige Verhandlungen von den Israelis immer als Vorwand genommen werden, um die Situation eskalieren zu lassen.

intifada: Tzipi Livni sagte neulich, dass keine weiteren Siedlungen mehr gebaut noch bestehende erweitert würden. Ist das glaubwürdig?

Ilan Pappe: Vollkommen unglaubwürdig. Sie glaubt selbst nicht daran. Sie lügt und das wissen natürlich alle. Das ist eine Form der Doppelmoral, wie sie in Israel seit 1967 angewendet wird. 1967 sandte die israelische Regierung eine klare Botschaft, die besagte, dass Israel, trotz der damaligen unklaren Lage über die Zukunft des Westjordanlandes und des Gazastreifens, in den besetzten Gebieten nichts verändern würde. Einige Monate später begann der Bau von Siedlungen in Jerusalem, in Gush Etzion, dann in Hebron, einige Monate danach begannen Siedlungstätigkeiten im Gazastreifen. Ich denke daher, dass Aussagen von Israelis in Bezug auf Siedlungsstopp und ähnliches keinerlei Bedeutung haben. Möglicherweise spielen die Israelis mit einem Konzept, das sie das „natürliche Wachstum“ der Siedlungen nennen. Damit ist gemeint, dass eher bestehende Siedlungen ausgebaut als neue errichtet werden. Doch diese Erweiterungen sind im Grunde nichts anderes als neue Siedlungen.

intifada: Können die Verhandlungen ewig weitergehen?

Ilan Pappe: Ewig nicht, doch leider sehr lange, denn es sind zu viele mächtige Akteure involviert, die ein Interesse an diesem, wie Noam Chomsky sagen würde „Friedensprozess, der nirgends hinführt“, haben. Letztlich ist dieser Friedensprozess ein gutes Business für viele. Ich denke, dass diese Verhandlungen so lange weitergehen können, weil die internationale Gemeinschaft dahinter steht. Sie könnten aufhören, wenn die internationale Gemeinschaft sagen würde, diese Verhandlungen sind nutzlos und unproduktiv. Was die israelische Elite betrifft, so möchte diese, dass die Verhandlungen ewig weitergehen, denn es ist viel besser für sie einen Prozess laufen zu haben als keinen, und es ist besser einen Prozess laufen zu haben, der nirgendwo hinführt, als einen, der zu einem Ergebnis führt, das nicht genehm wäre.

intifada: Abu Mazens Präsidentschaft endet im Januar 2009 und es ist unwahrscheinlich, dass sie verlängert wird. Stimmt das?

Ilan Pappe: Wer weiß. Es gibt genaue Szenarien, in denen seine Position mit Gewalt durchgesetzt werden könnte. Wir sind natürlich keine Propheten, doch wir kennen diese Geschichte aus Russland. Es ist sehr einfach, jemanden aus dem Amt scheiden zu lassen, aber durch jemanden anderen zu ersetzen, der ihm sehr ähnlich ist. Was die Politik betrifft, gibt es dann kaum Unterschiede. Was die Palästinenser jetzt brauchen ist eine Regierung der nationalen Einheit, nicht die gegenwärtige Zersplitterung in Fraktionen.

intifada: Es scheint, dass die Diskussion um einen binationalen Staat zunehmen wird, v.a. von Seiten der Palästinenser. Es gibt nichts, was die Israelis mehr fürchten als einen binationalen Staat. Was ist Ihre Meinung?

Ilan Pappe: Lassen Sie mich es folgenderweise ausdrücken: Es gibt keine Möglichkeit für eine Zwei-Staaten-Lösung, aber auch keine für eine Ein-Staat-Lösung. Das hängt vor allem mit der israelischen Position zusammen. Israel möchte keinen palästinensischen Staat zum Nachbarn haben, und genauso wenig möchte es, wie Sie richtig sagen, einen binationalen Staat oder die Ein-Staat-Lösung. Menschen, die sich ehrlich für Frieden einsetzen, können nicht das Spiel spielen, aus diesem Vorschlag eine Bedrohung für Israel zu machen. Wenn Menschen wie Abu Ala sagen würden: „Wenn ihr uns keinen unabhängigen Staat zugesteht, werden wir uns für die Ein-Staat-Lösung einsetzen“, dann würde das niemandem in Israel Angst einjagen. Was die Israelis seit 1967 gelernt haben ist, dass es auf das Kräfteverhältnis ankommt, nicht auf die jeweilige palästinensische Position, die sowieso kein Gewicht hat. Wenn wir also über Zukunftsvisionen sprechen, so beziehen wir uns damit nicht auf die Eliten auf beiden Seiten. Wir sprechen über die Gesellschaften, die aktiven Teile der Gesellschaften, die alternative Ideen entwickeln wollen. Es ist wichtig, Ideen zu entwickeln und Gesellschaftsvisionen, in denen Menschen zusammenleben. Die sind natürlich besser als jene von zwei getrennten Nationalstaaten, die wenige Erfolgschancen haben. Doch die große Frage ist, wie kommen wir von den Ideen zur Umsetzung? Wie kommen wir von den Ideen eines binationalen oder säkularen oder demokratischen Staates, die von Teilen der Gesellschaften unterstützt werden, zur Politik der Eliten? Darauf habe ich keine Antwort. Doch derzeit kümmert mich diese fehlende Antwort nicht besonders, weil ich denke, dass wir noch sehr viel Arbeit in der Zivilgesellschaft zu leisten haben.

Wir müssen ein klares Konzept, konkrete Vorstellungen davon entwickeln, wie ein gemeinsamer Staat aussehen würde und dann sollten wir daran arbeiten, diese Vision bekannt zu machen, für sie Unterstützung zu suchen. Dann erst können wir uns überlegen, wie diese Vision zu einer gangbaren politischen Option gemacht werden kann. Derzeit ist nichts gangbar. Die einzigen gangbaren Optionen sind die der USA und Israels, und die wollen keine Zwei-Staaten-Lösung. Was sie wollen, ist die totale Kontrolle über das Leben der Palästinenser, wo immer sie auch sind. Derzeit suchen sie nach einer palästinensischen Führung, die diese Option akzeptiert. Bisher haben sie noch keine gefunden.

An diesem Punkt stehen wir derzeit und natürlich schafft das großen Unmut auf der palästinensischen Seite. Es entstehen Phänomene wie die Hamas, also Formationen, welche die israelische Politik mit weitaus größerer Kraft ablehnen als die etablierten Kräfte. Ich denke, wir müssen diesen Kreislauf durchbrechen, indem wir anders denken. Doch es muss uns klar sein, dass diejenigen von uns, die einen binationalen Staat befürworten, noch nicht Teil des politischen Spiels sind. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, aber das Projekt ist sehr wichtig.

Das Interview führten Peter Melvyn und Margarethe Berger