Nach acht Jahren der Präsidentschaft von Bush, die von erfolglosen Kriegen und eskalierenden Wirtschaftskrisen gekennzeichnet sind, herrschte tatsächlich bei den US-amerikanischen Wählern eine Umbruchstimmung. Die Wahl Obamas stellt aufgrund seiner Person und seiner Hautfarbe eine Neuigkeit in der US-amerikanischen Geschichte dar. Ein symbolisches Ereignis, das einen Drang nach Änderung ausdrückt.
Obama gewann jedoch diese Wahlen mit Versprechen, die nicht nur von den amerikanischen Wählern, sondern auch weltweit als konkret empfunden wurden. Unter Obama erwarten sich nicht nur die Amerikaner: eine spürbare Sanierung der amerikanischen Wirtschaft, den Abzug aus dem Irak, Frieden in Afghanistan, Ende der iranischen Atomkrise, Frieden im Nahen Osten und allgemein eine Verbesserungen der Beziehungen der USA mit dem Rest der Welt, die unter den offen imperialen Feldzüge von Bush gelitten hatten. Wie dies ohne einen totalen Bruch mit der gesamten bisherigen US-Politik, ohne die engen Verbündeten zu verärgern, und mit dem selben Staatsapparat, der für die jetzige Lage verantwortlich ist, gemacht werden soll, ist rätselhaft.
Palästina: Warten auf die Baraks
Die Palästinenser (zumindest jene, die nicht im Umfeld der Kollaborateurbehörde von Abbas stehen) machen sich (aus Erfahrung) am wenigsten Hoffnungen. Wenn es auch zwischen den beiden Kandidaten Differenzen zu den Themen Irak, Afghanistan, Iran, Wirtschaft und Umwelt gab, ist das Thema „Israel“ für beide Kandidaten Konsens. Fast folkloristisch mussten im Wetteifer beide Kandidaten ihre Treue zum Zionistenstaat betonen.
Die Ergebnisse der US-Wahlen waren kaum bekannt gegeben, als die israelische Luftwaffe ihren seit dem „Waffenstillstand“ im Juni 2008 ersten Angriff auf Gaza startete. Dass die Medien über die verbrecherische Blockade und die täglichen israelischen Provokationen still schweigen, um die israelischen Angriffe als „Vergeltungsaktionen“ darzustellen, ist an sich nichts Neues. Dieser Angriff war jedoch ein klares Zeichen dafür, dass sich die Palästinenser, und nicht nur diese, allen Anzeichen nach durch den bloßen Abgang von Georg Bush keine qualitative Wende in der US-amerikanischen Außenpolitik erwarten können. Die USA wird nach wie vor hinter den israelischen „Sicherheitsbedürfnissen“ stehen.
Schon die Ernennung des Kabinetts Obamas ist viel sagend. Vom alten Kabinett blieb Robert Gates als Verteidigungsminister, während neue Falken aus dem „demokratischen“ Lager zugezogen wurden.
Die Auswahl von Hillary Clinton als Außenministerin bereitet die Palästinenser auf den Geschmack des Maximums der Erwartungen. In den letzten acht Jahren unterstützte Clinton als Kongressabgeordnete aktiv und bedingungslos die israelische Politik. Während Israel palästinensische Städte und Dörfer bombardierte und überfiel, lief Clinton in Marathons, die zur politischen und finanziellen Unterstützung Israels organisiert wurden. Sie war eine Unterstützerin des Irak-Krieges und eine Befürworterin einer harten Politik gegenüber dem Iran.
Zum Stabchef im Weißen Haus wurde Emanuel Rahm ernannt, ein israelischer Staatsbürger und ehemaliger Offizier in der israelischen Armee (1991). Er ist Sohn von Benjamin Rahm, einem ehemaligen Mitglied der zionistischen Terrororganisation „Irgun“, der 1948 am Massaker von Deir Yassin beteiligt war.
Währenddessen läuft in den palästinensischen Gebieten „Business as usual“. Im Gazastreifen ist der sechsmonatige, eher wackelige Waffenstillstand abgelaufen. Die palästinensischen Widerstandsorganisationen knüpfen seine Verlängerung an ein Ende der mörderischen Blockade, die von Israel unter Zustimmung der offiziellen Weltgemeinschaft auferlegt wird. Israel bemüht sich hingegen, diplomatisch für einen Totalangriff auf Gaza zu werben und verschärft die Blockade. Die Luftangriffe auf Gaza wurden fortgesetzt und somit auch die Aktionen der palästinensischen Organisationen.
Am 10. Februar 2009 finden die israelischen Parlamentswahlen statt. Ein entscheidender Punkt bei diesen Wahlen ist die Härte und die Effizienz dieser Härte, mit der man mit Gaza umgeht. Die israelischen Wähler wollen die Niederlage im Libanon durch einen Sieg in Gaza tilgen. Obwohl ein totaler Einmarsch in den Gazastreifen an große Verluste und zweifelhafte Erfolgschancen geknüpft ist, wird dieser in unterschiedlichen Graden demagogisch propagiert. Findet der Angriff auf Gaza nach den israelischen Wahlen tatsächlich statt, wird er wahrscheinlich in einen großen „Vergeltungsfeldzug“ (d.h. ein großes Massaker) ausarten, bevor erneut ein Waffenstillstand ausgehandelt wird. Als der Kandidat mit den größten Chancen gilt Ehud Barak: Ein General, ein Militärheld Israels, der im Westen als „moderat“ gilt. Gegen ihn steht der „Hardliner“ Benjamin Netanjahu. Alle Kandidaten sehen den Sturz der Regierung von Hamas in Gaza als höchste Priorität.
Die jüngsten Aussagen Toni Blairs1, der Gesandte des Europäischen Nahost-Quartetts, können auch im selben Kontext interpretiert werden: Der Waffenstillstand soll nicht verlängert werden. Die Blockade konnte die Hamas in Gaza nicht schwächen. Härtere Maßnahmen sind nötig. Eine militärische Intervention Israels sei nicht als humane Katastrophe anzusehen. Kurz bevor Blair gegenüber der israelischen Zeitung Haaretz diese Aussagen machte, hatte er sich mit Hillary Clinton und James Jones, dem jüngst ernannten nationalen Sicherheitsberater Obamas, getroffen, die ihm „die Notwendigkeit einer Strategieänderung bezüglich des Gazastreifens“ nahe legten. Eine Verringerung der ohnehin kleinen Distanz zwischen der Politik auf beiden Seiten des Atlantiks bedeutet einen stärkeren Konsens mit der israelischen Politik.
Wer soll Gaza regieren?
Eine dritte, relativ unbedeutende, ausstehende Wahl ist jene des palästinensischen Präsidenten, dessen Amtszeit ebenfalls im Jänner 2009 abläuft. Unbedeutend, weil durch die Nicht-Anerkennung der gewählten Regierung jede Wahl in den besetzten Gebieten unbedeutend wird. Es wird erwartet, dass Abbas die Wahlen trotz Ablehnung des Parlaments verschieben, während die Regierung von Hamas in Gaza ihn nicht mehr als Präsidenten anerkennen wird. Dies wird die politische Kluft zwischen dem Westjordanland und Gaza vertiefen. Die Legitimitätskrise der Regierung in Ramallah kann durch eine große israelische Militäraktion in Gaza in den Hintergrund geschoben werden. Schwieriger als eine Prognose über den Ausgang einer solchen Konfrontation ist die Frage, wer in Gaza die Regierung von Hamas ablösen kann. Die israelische Armee würde nicht länger als nötig bleiben wollen. Die Wiedereinführung einer israelischen Militärverwaltung im Gazastreifen wäre heutzutage nicht mehr denkbar. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die militärische Besatzung des Gazastreifens für Israel ein militärisch, politisch wie wirtschaftlich höchst kostspieliges Unterfangen war.
Ein sofortiger Einmarsch der Polizisten von Abbas würde von der Bevölkerung als direkte Kollaboration mit Israel betrachtet und hätte daher keine großen Erfolgschancen. Ein anderer, heute salonfähiger Vorschlag ist ein Einmarsch von arabischen Sicherheitstruppen, welche eine allmähliche Wiederherstellung der Kollaborationsbehörde in Gaza ermöglichen. Dies wäre mindestens der Wunsch vieler israelischen Politiker (darunter Tzipi Livni), und ist in der arabischen Liga jedenfalls diskutiert worden. Abbas befürwortet ein solches Szenario.
Auch gegen Syrien, den Libanon und den Iran wird die israelische Sprache härter. Ob diese Aggressivität nur als Wahlwerbung oder als eine Herausforderung der Neokonservativen in Israel und in den USA an die neue US-Verwaltung zu verstehen ist, das wird sich in den nächsten Monaten zeigen.
Zieht er ab oder ziehen die Europäer mit?
Ob und unter welchen Bedingungen unter Obama die Truppen aus dem Irak abgezogen werden, ist noch eine offene Frage. Die Versendung von zusätzlich zwanzig bis dreißigtausend Soldaten nach Afghanistan und die Bewilligung von militärischen Operationen gegen die Piraterie an der somalischen Küste deuten im Moment auf eine Umverteilung der amerikanischen Militärpräsenz mit besserer Involvierung der NATO-Partner hin.
Für die westlichen Eliten und fern von Symbolik um seine Person bedeutet die Wahl von Obama die Bereitschaft der USA, ihre Schritte erneut mit ihren europäischen Partnern zu koordinieren. Also einen neuen Clintonismus, der, wenn keinen Frieden, eine Befriedung der Konfliktpunkten bringen soll. Der Grundstein dafür wurde bereits durch die vorherige Verwaltung gelegt. Bushs’ Außenministerin Condoleeza Rice charakterisierte die aktuelle US-Außenpolitik wie folgt: „Was wir machen wollten, war, internationale Gruppen zu ordnen oder zu organisieren, die zuerst fähig sind, mit den schwierigen Problemen umzugehen, um diese multilateral lösen zu können“2. Dies benötigt nun den Clinton’schen Hauch, um bei den Partnern sympathisch (vertretbar) zu werden.
Jedoch leben wir heute nicht mehr in den Neunzigern. Wenn damals der Zusammenbruch der Sowjetunion eine weltweite Demoralisierung der Widerstandsbewegungen herbeiführte, existieren diese heute in neuen Qualitäten, die ohne substantielle Lösungen der Konflikte nicht leicht zu unterdrücken sind. Auch die Stellung der USA als einzige Weltmacht ist nicht lange zu halten. Die Krisen der Neunziger haben sich dermaßen verschärft, dass die Clinton’sche Rezepturen kaum mehr wirken.
Es ist noch offen, wer die israelischen Wahlen gewinnt. Der Unterschied zwischen den Kandidaten ist auch kaum merkbar. Da aber in der öffentlichen Meinung die Politik heute stark an Personen geknüpft wird, wird eins klar: Mit den „sympathischen“ Tzipi Livni und Hillary Clinton als Außenministerinnen und den „durchaus sympathischen“ Baraks in den USA und Israel, wird 2009 ein heißes, auf keinen Fall weniger blutiges Jahr werden.
(1) Interview in Haaretz, 21. Dezember 2008
(2) Pressekonferenz in Jerusalem am 22. Dezember 2008