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Antiimperialismus und gesellschaftliche Befreiung
1. Februar 2009 - Sebastian Baryli

Die politische Notwendigkeit eines antiimperialistischen Projektes ist unbestritten. Die alles durchdringende Vorherrschaft der USA stellt die Konfliktlinien, die diese Vorherrschaft produziert, ins Zentrum des politischen Interesses. Die Besetzung von Afghanistan, die völkerrechtswidrige Aggression gegen den Irak und die ständigen Interventionen in den Konfliktherden der Welt – wie etwa jüngst im Kaukasus – zeigen deutlich, dass die Frage des Antiimperialismus kaum überschätzt werden kann. Das Streben nach Unabhängigkeit, der Kampf um nationale Souveränität gegen das unterdrückende Zentrum der Macht bildet die politische Generallinie, um die alles gruppiert werden muss.

Doch welche Erwartungen können wir an diese Kämpfe aus einer geschichtsphilosophischen Perspektive stellen? Erwächst aus einem politischen Projekt des Antiimperialismus unmittelbar ein Projekt der gesellschaftlichen Befreiung? Bilden die antiimperialistischen Bewegungen das neue Subjekt der Befreiung, an das wir – nach dem Scheitern der historischen Mission der Arbeiterklasse – unsere Hoffnungen knüpfen können? Diese Fragestellungen sind abstrakter Natur, dies zu leugnen wäre sinnlos. Doch obwohl sie möglicherweise keine unmittelbare Auswirkung auf das konkrete politische Handeln mit sich bringen, ist die Beantwortung dieser Fragen nicht zwecklos. Politische Praxis braucht Begründung. Ohne diese Begründung verflüchtigt sich Praxis in Belanglosigkeit. Die Frage nach dem Warum stellt die Praxis in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Erst die Begründung der individuellen Praxis zieht eine Verbindung zu einer gesellschaftlichen Totalität. Damit wird die Begründung zu einer allgemeinen Bedingung von zielgerichteter Praxis, denn erst wenn wir Praxis begründen können, können wir auch gezielt handeln.

Metaphysik und Geschichte

Die historische Mission der Arbeiterklasse ist gescheitert, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen ist sie als reale, historische Bewegung gescheitert; keine jener Strömungen, die sich innerhalb der Arbeiterbewegung formiert hatten, konnte dauerhaft jene gesellschaftlichen Verhältnisse herstellen, die es rechtfertigen würden, von einer neuen historischen Epoche zu sprechen. Zum zweiten scheiterte damit die gesamte geschichtsphilosophische Idee, dass die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt die emanzipierte Gesellschaft herstellen könne.

Mit dem großen Scheitern wurde jedoch nicht die Hoffnung begraben. Die gesellschaftliche Aufgabe, eine neue Gesellschaftsform zu erkämpfen, eine Gesellschaft frei von Ausbeutung und Unterdrückung, bleibt weiterhin ein sowohl philosophisches als auch politisches Projekt. Entscheidend ist nun die Frage, worauf man seine Hoffnungen gründet. Bietet die Praxis des Antiimperialismus eine Basis für diese Hoffnung? Kann aus der Praxis der antiimperialistischen Kämpfe ein neuer Universalismus der Befreiung abgeleitet werden?

Um dieser Frage nachgehen zu können, ist es sinnvoll sich anzusehen, wie Marx die Mission der Arbeiterklasse argumentiert und warum er sich auf diese Argumente berufen hat. Dies ist deswegen von Nutzen, da diese Argumente über ein Jahrhundert als Orientierungspunkt der Arbeiterbewegung in der einen oder anderen Form dienten. Es ist daher notwendig zu prüfen, wo diese Argumente Schwachstellen aufweisen.

Historisch hat sich die Argumentation, warum das Proletariat die Befreiung der Gesellschaft vollziehen könne, bei Marx stark gewandelt. Der Begriff Proletariat entspringt zunächst philosophischen Überlegungen, die Marx in der Rezeption von Hegel und insbesondere von Feuerbach anstellt.1 Dabei fließen vor allem Hegels Begriff der „universellen Klasse“ und Feuerbachs Entfremdungstheorie zusammen. Ausgangspunkt für Marx’ Theorie des Proletariats und somit auch seiner Theorie der Mission der Arbeiterklasse bildeten philosophisch-metaphysische Überlegungen. Diese Feststellung ist für unsere Belange sehr wichtig: Die Theorie des revolutionären Subjekts in einer Gesellschaft nimmt ihren Ausgangspunkt in jener Form der Philosophierens, die man durchaus als spekulativ bezeichnen kann.

Inhaltlich argumentiert Marx, dass die Arbeiterklasse neue gesellschaftliche Verhältnisse schaffen könne, da sie kein besonderes Unrecht erleide, sondern das Unrecht schlechthin. Der universelle Charakter der Klasse wird durch die Universalität ihres Leidens begründet. Aufgrund dieses Leidens trage das Proletariat die Möglichkeit der Emanzipation in sich.2 Der universelle Charakter der Ausbeutungsverhältnisse begründet damit den revolutionären Charakter des Proletariats.

An diesem Punkt begegnet uns die erste Schwierigkeit. Der universelle Charakter der Produktionsverhältnisse bezieht sich darauf, dass keine „besonderen Stände“ mehr existieren und dass sich das Lohnverhältnis in der gesamten Gesellschaft durchgesetzt hat. Aus heutiger Perspektive hat die Lohnarbeit tatsächlich universellen Charakter. Trotz dieser Universalität gibt es zahlreiche Differenzierungen, die diese Universalität in der Realität ständig unterlaufen.

Vereinfacht dargestellt bildet die Universalität der Lohnarbeit die Grundlage dafür, dass das Proletariat keine besonderen Interessen, sondern das Allgemeininteresse erkämpft. Es besteht also ein Zusammenhang zwischen der Möglichkeit, das Allgemeininteresse zu vertreten, und dem universellen Charakter des Leidens jener Klasse. Marx verwendet den Begriff „Allgemeininteresse“ jedoch keineswegs in dieser unkritischen Form. Vielmehr geht es ihm darum aufzudecken, wie gesellschaftliche Klassen ihre Sonderinteressen als Allgemeininteressen darstellen können.3

Die ursprüngliche Begründung der geschichtlichen Aufgabe des Proletariats liegt also in einem philosophisch-spekulativen Projekt. Erst später, insbesondere in den Ausführungen der Deutschen Ideologie, wird die philosophische Dimension durch eine realgeschichtliche ersetzt. Die spekulative Bestimmung des Proletariats wird mit einer historischen und sozialen Bestimmung unterfüttert. Dies verbindet sich mit einer radikalen Kritik der philosophischen Metaphysik in der Deutschen Ideologie.4 Diese Verschiebung der Argumentation mündet dann in der geläufigen Darstellung des Kommunistischen Manifests.

Dennoch scheint es, dass diese historische Entwicklung der Argumentation keine zufällige Erscheinung ist, sondern in gewisser Weise einem notwendigen Stufenablauf folgte. Denn die Idee einer universellen Emanzipation wurde keineswegs unmittelbar aus der Praxis der Arbeiterbewegung geboren, sondern das philosophisch-metaphysische Projekt verband sich mit einer real-historischen Bewegung.

Diese Erkenntnis ist nun für unsere Fragestellung von entscheidender Bedeutung. Nach dem welthistorischen Scheitern der Arbeiterklasse sehen wir uns in der Begründung eines neuen emanzipatorischen Projektes weit zurückgeworfen. Die reale Bewegung, welche dieses Projekt tatsächlich umsetzen sollte, existiert nur in Ansätzen. Daher ist es nicht nur legitim, sondern auch notwendig, auf einer spekulativen Ebene Versuche für ein neues, philosophisches Projekt eines Befreiungsuniversalismus zu liefern. Letztlich kann sogar die politische Praxis allein die philosophische Begründung nicht liefern.

Antiimperialismus und Universalismus

In Bezug auf diese Fragestellung gibt es die These, dass aus der Praxis des Antiimperialismus unmittelbar das neue, philosophische Projekt der Emanzipation erwächst. So meint etwa Wilhelm Langthaler: „Hauptaufgabe heute ist es, aus den zersplitterten antiimperialistischen Bewegungen einen neuen, wirklichen Universalismus der Befreiung zu bilden. Dieser wird mit Sicherheit weniger prätentiös als jener marxistische sein. […] Die Emanzipation ist nicht die (Wieder)Herstellung eines gegebenen menschlichen Wesens, dem sich die Menschen entfremdet haben, sondern es ist die historische Formierung einer kontingenten Möglichkeit, einer der vielen, die auf der Basis der anthropologischen Konstanten denkbar ist.“5

Nun haben wir schon eingewandt, dass es eine Differenz zwischen gesellschaftlicher Praxis und philosophischer Theorie gibt, die nicht in einem unmittelbaren Verhältnis aufgehoben werden kann. Ein viel entscheidenderes Argument betrifft jedoch nicht nur die Möglichkeit, eine solche Theorie zu formulieren, sondern eben die inhaltliche Ausgestaltung der Argumentation. Langthaler spricht zunächst von der politischen Hauptaufgabe, die antiimperialistischen Kämpfe zu einer gemeinsamen Front zu formieren. Dies ist – wie einleitend festgestellt – sicher eine politische Notwendigkeit. Er spricht damit aber von einem politischen Projekt. Dieses setzt er in Folge mit einem philosophischen Projekt gleich, wie es der Marxismus ist, und nennt es „Universalismus der Befreiung“.

Hier sehen wir jedoch einen Knackpunkt: Das Projekt der politischen Befreiung ist nicht gleichzusetzen mit einem Projekt der allgemein-menschlichen Emanzipation. Marx kritisiert schon in der Schrift Zur Judenfrage: „Es genügt keineswegs zu untersuchen: Wer soll emanzipieren? Wer soll emanzipiert werden? Die Kritik hatte ein Drittes zu tun. Sie musste fragen: Von welcher Art der Emanzipation handelt es sich?“ Und weiter: „Die politische Revolution löst das bürgerliche Leben in seine Bestandteile auf, ohne diese Bestandteile selbst zu revolutionieren und der Kritik zu unterwerfen. Sie verhält sich zur bürgerlichen Gesellschaft, zur Welt der Bedürfnisse, der Arbeit, der Privatinteressen, des Privatrechts, als zur Grundlage ihres Bestehens, als zu einer nicht weiter begründeten Voraussetzung, daher als zu ihrer Naturbasis.“6

Auf unsere Fragestellung umgemünzt bedeutet das, dass die politischen Erfolge der antiimperialistischen Bewegung keineswegs jene Sphären der Gesellschaft berühren, die eine allgemein-menschliche Emanzipation begründen könnten. Der Prozess der politischen Emanzipation ist ein Prozess, der immer weiter voran schreiten muss, um in jene Sphäre der materiellen Produktion eingreifen zu können. Erst damit können gesellschaftliche Verhältnisse grundlegend verändert werden. Der Antiimperialismus an sich bildet dafür aber keine Anhaltspunkte. Er ist zwar ein möglicher Ausgangspunkt für eine solche historische Bewegung, doch bildet er noch nicht jenen Universalismus, der eine neue Gesellschaftsordnung vorwegnehmen kann.

Das politische Programm des Antiimperialismus liefert zwar Antworten auf die aktuellen, politischen Herausforderungen, doch es bietet es keine Lösungsvorschläge für das Projekt der universellen Befreiung. Kern des Programms ist die politische Emanzipation eines Kollektivs von Fremdherrschaft. Sowohl die Begründung des Kollektivs als auch die Begründung des Freiheitsgedankens können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Historisch begegnen uns sehr unterschiedliche Modelle, von marxistischen Befreiungsbewegungen bis hin zu islamistischen Jihad-Kampfzellen. Dieses Phänomen der ideologischen Vielfältigkeit verweist schon darauf, dass der Antiimperialismus an sich noch keine ausreichende Grundlage für eine politische Positionsbestimmung ist. Er fügt sich immer in unterschiedliche Kontexte ein.

Aufgrund der Beschränkung auf seine politische Aufgabenstellung benötigt der Antiimperialismus ein Programm, das letztendlich die Frage nach der allgemein-menschlichen Emanzipation befriedigend beantwortet. Dieses Programm lässt sich aber nicht aus dem Antiimperialismus selbst ableiten. Er liefert keine hinreichende Begründung dafür. Daher rührt auch die große historische Varianz, in der er sich historisch geäußert hat. Es ist also irreführend, beim Antiimperialismus von einem „Universalismus“ zu sprechen.

Diese Argumentation bedeutet natürlich nicht, dass der Aufbau einer antiimperialistischen Front nicht die wesentliche politische Aufgabe ist. Der politische Zusammenschluss auf der programmatischen Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der unterdrückten Völker ist ein wichtiger Schritt in der Umwälzung der globalen gesellschaftlichen Verhältnisse. Doch gerade dieser Zusammenschluss zeigt, wie unterschiedlich die ideologischen Grundlagen sind, auf denen der Antiimperialismus konkret aufbaut. Es treten verschiedene ideologische Programme an, die sich jeweils selbst als Universalismus begreifen. Die gesellschaftliche Vision einer „islamischen Republik“, wie sie Ahmadinejad repräsentiert, unterscheidet sich fundamental von jener des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, für die Chávez eintritt. Dennoch können sie auf internationaler Ebene etwa die Bewegung der blockfreien Staaten als programmatische Grundlage akzeptieren, in der sie sich gegen das imperialistische Zentrum – in Gestalt der USA – formieren. Damit nivellieren sich die Unterschiede der Universalismen aber nicht zu einem Antiimperialismus, sondern diese Universalismen treten an, um in diesem historischen Projekt um Hegemonie zu ringen. Aus dem Antiimperialismus erwächst also kein neuer Universalismus, der etwa die grundlegende Konzepte des Kommunistischen Manifests aushebeln könnte, sondern er bildet die politische Form der jetzigen Etappe, in der die unterschiedlichen emanzipatorischen Strömungen einander begegnen. Diese bringen aber ihre jeweils eigenen Begründungen für das Projekt der menschlichen Emanzipation ein.

Scheitern und Wiedergeburt

Die verschiedenen Bewegungen haben jeweils unterschiedliche Begründungen für den Antiimperialismus geliefert. Die kommunistische Bewegung etwa hat – ausgehend von den Überlegungen Lenins zum Selbstbestimmungsrecht der Völker und der konkreten Grundlegung in der III. Internationale – ein solides Fundament für den Antiimperialismus geliefert und gleichzeitig das Projekt der menschlichen Emanzipation nicht nur formuliert, sondern auch in historische Realität verwandelt. Ausgehend von dieser Feststellung lässt sich die Frage diskutieren, ob die kommunistische Programmatik heute noch die nötigen Anforderungen erfüllt, um in einem antiimperialistischen Projekt hegemoniefähig zu werden.

Hier kann man an mehreren Punkten kritisch ansetzen: Das größte Problem bleibt zweifellos das realgeschichtliche Scheitern der Arbeiterbewegung. Dieses Scheitern verweist schmerzhaft auf die Leerstelle, welche die theoretisierte Hoffnung auf dieses revolutionäre Subjekt hinterlassen hat. Selbst wenn man an dieser Hoffnung weiter festhält, muss man befriedigende Antworten auf den epochalen Einsturz geben können, die über Floskeln wie „Bürokratie“ oder „Revisionismus“ hinausgehen.

Natürlich gibt es viele weitere Argumente, die mit dem Scheitern des Marxismus in Zusammenhang gebracht werden. Zu erwähnen wäre hier etwa das Konzept der Gesetzmäßigkeit in der Geschichte, der strenge Begriff des geschichtlichen Fortschritts sowie die Definition von Allgemeininteresse. Hier ist leider nicht der Raum, die Probleme in ihrer gebotenen Form zu behandeln. Daher werden wir uns auf eine Problemstellung konzentrieren: Das Fehlen des revolutionären Subjekts.

Obwohl das Scheitern der Arbeiterbewegung und das Fehlen eines realen Subjekts der Emanzipation in der jetzigen historischen Etappe evident ist, darf nicht in einem Kurzschluss das gesamte philosophische Projekt des Marxismus über Bord geworfen werden. Wilhelm Langthaler etwa stellt in seinen Ausführungen fest: „Der Islam löste damit den Kommunismus als Herausforderer des imperialistischen Kapitalismus ab.“ Dem schickt er voraus: „Natürlich handelt es sich dabei auch um einen sozioökonomischen Konflikt Arm gegen Reich, aber es ist eine empirische Tatsache, dass sich die Subjekte dieser Auseinandersetzung nicht als Klassen konstituieren, sondern als politisch-kulturelle, zivilisatorische Projekte.“7

Tatsächlich wurde auf einer politischen Ebene die Arbeiterklasse als Subjekt verdrängt. Weder die Sozialdemokratie noch die Kommunistischen Parteien entsprechen den hoffnungsvollen Erwartungen, die ursprünglich an sie gerichtet wurden. Neue politische Subjekte haben sich etabliert, die sich sowohl aufgrund ihres sozioökonomischen Hintergrunds als auch aufgrund ihrer politischen Beschaffenheit von der klassischen Arbeiterbewegung abgrenzen, wie etwa die Antiglobalisierungsbewegung oder die Bewegungen des politischen Islam. Im arabischen Raum hat sich dies in aller Deutlichkeit gezeigt: Ideologien, die sich an einem sozialistischen Modell in irgendeiner Form orientierten, haben an Bedeutung verloren, wohingegen der politische Islam eine Vormachtstellung einnehmen konnte, etwa in Palästina.

Wie schon argumentiert, bildet der Antiimperialismus keinen Befreiungsuniversalismus an sich, sondern er ist jene politische Plattform, auf der unterschiedliche ideologische Strömungen aufeinander treffen. Es gibt also kein einheitliches, monolithisches Subjekt, das in der historischen Entwicklung abgelöst wurde. Es gibt eine Vielfalt von emanzipatorischen Subjekten, die miteinander in bestimmter Beziehung stehen und die letztendlich um Vorherrschaft in diesem Befreiungskampf ringen. Der politische Islam ist darin genauso ein Faktor wie bewaffnete Organisationen aus den achtziger Jahren oder das bolivarische Projekt. Das eine Subjekt wurde daher nicht von einem anderen abgelöst, sondern in der internationalen Konstellation der Befreiungskämpfe konnte sich eine Strömung als hegemonial durchsetzen.

Das Projekt des Sozialismus und die politische Strömung des Kommunismus sind somit nicht einfach von der historischen Bildfläche verschwunden. Auch wenn der politische Islam die dominierende Kraft ist, löst sich die Plattform des Antiimperialismus nicht zur Gänze darin auf. Aus kommunistischer Perspektive geht es darum, das eigene politische Programm in diesem Projekt stark zu machen, nicht darum, es zu verleugnen und sich als Sprachrohr der allgemeinen Grundlage zu betätigen.

Die Differenzierung zwischen Klasse und politisch-kultureller Konstituierung überzeugt ebenso wenig. Die sozio-ökonomische Grundlage der Subjekt-Konstituierung geht notwendiger Weise mit kulturellen und politischen Prozessen einher. Eine Dichotomie lässt sich daher nicht aufrechterhalten und erklärt auch nicht die spezielle Differenz zwischen kommunistischer Bewegung und politischem Islam.

Der Antiimperialismus bildet somit in der jetzigen historischen Etappe die politische Form, in der sich Subjekte der Befreiung konstituieren können. Man muss das Scheitern der marxistischen Konzeption von der historischen Mission der Arbeiterklasse zur Kenntnis nehmen. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig die Aufgabe der gesamten sozialistischen Programmatik. Die historische Tradition der kommunistischen Bewegung kann nicht einfach aufgrund der aktuellen Konjunktur in den antiimperialistischen Kämpfen über Bord geworfen werden. Die Zukunft dieser Kämpfe ist ungewiss und die politische Aufgabe besteht darin, in diesen Kämpfen die eigenen Positionen zu stärken.

Das kommunistische Projekt und seine Suche nach einem revolutionären Subjekt war in seinen Ursprüngen eine spekulative Angelegenheit. Wir sind in gewisser Weise – auf einem neuen historischen Niveau – in diese Phase zurückgeworfen. Wir müssen neuerlich darüber nachdenken, wie das Subjekt einer gesellschaftlichen Veränderung begründet ist und wie es sich konstituieren kann. Für den Prozess der Konstituierung dient der Antiimperialismus teilweise als Katalysator. Inhaltlich kann er dieses Subjekt jedoch nicht hinreichend begründen.

(1) Labica, Georges: Proletariat, in: Labica, Georges; Bensussan, Gérard; Haug, Wolfgang Fritz (Hrsg.): Kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 6: Pariser Kommune bis Romantik, Berlin 1987, S. 1075.
(2) Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: MEW, Bd. 1, Berlin 1988, S. 390.
(3) Marx, Karl; Engels, Friedrich: Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten, in: MEW 3, Berlin 1990, S. 34.
(4) Ebenda, S. 27.
(5) Langthaler, Wilhelm: Antiimperialismus, Sozialismus und Islam. Überlegungen zu einem neuen Universalismus, in: Bruchlinien, 2007, Nr. 21, S. 39.
(6) Marx, Karl: Zur Judenfrage, in: MEW 1, Berlin 1988, S. 350, 369.
(7) Langthaler, Wilhelm: Antiimperialismus, Sozialismus und Islam. Überlegungen zu einem neuen Universalismus, in: Bruchlinien, 2007, Nr. 21, S. 35-36.