Header Image
Damoklesschwert für den Aktivismus
9. Mai 2009 - Reinhard Loidl

Das Vorgehen der Polizei war dabei ein äußerst brutales, von gerammten Türen bis zu Schusswaffen im Anschlag. Die Hausdurchsuchungen galten dabei auch Organisationen, die sich, wie die Vegane Gesellschaft Österreichs (VGÖ), völlig apolitisch verhalten und deren einzige Tätigkeit im Verbreiten von Informationen besteht, wo vegane Kost zu beziehen ist.

Am folgenden Tag streuten die zuständige Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt und das Landespolizeikommando Niederösterreich die Information, dass die Festgenommenen im Zusammenhang schwerster Straftaten verhaftet worden wären und nannten “Brandstiftung” und “Gasanschläge” – Vorwürfe die, wie sich weiter zeigen wird, zwischenzeitlich zurückgezogen werden mussten, aber selbstverständlich ihre Wirkung medial entfalteten.
Einige der Betroffenen traten bis Anfang Juni in den Hungerstreik, konnten damit aber ihr Ziel einer Enthaftung nicht erreichen.

Verhaftet wurden die zehn Betroffenen aufgrund des Paragraphen 278a. Absatz c und d dieses Paragraphen definieren “Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung”. Grundparagraph 278 und dessen Absätze a und b wurden bereits 1993 erlassen und stellen die “Bildung und Teilnahme an einer kriminellen Organisation” unter Strafe.

Der Paragraph stellt Verhalten in Frage, das für sich alleine gesehen straffrei bliebe. Der Gesetzgeber definierte 1993 in Ziffer 1 “Suchtmittelhandel, Schlepperei und Waffenhandel” als besonderen Fokus.

Die Gefahr des Paragraphen zeigt sich aber in den Ziffern 2 und 3. Auszug Ziffer 2 “… Streben nach erheblichem Einfluss auf Politik und Wirtschaft”. Ziffer 3 erklärt “Abschirmung gegen Strafverfolgungsmaßnahmen” als strafbar, wobei die Judikatur seither “Gründung von Scheinfirmen”, “häufigen Wechsel von Wertkartenhandys” oder die “Verwendung von Codes bei der internen Kommunikation” dazu zählt.

Dass diese Bestimmungen nicht nur grotesk, sondern brandgefährlich sind, zeigt sich jetzt! Welchen anderen Zweck sollte jegliche politische Arbeit verfolgen, als „erheblichen Einfluss auf Politik und Wirtschaft“ zu erlangen?

Die Informationen, die seit der Verhaftung der 10 Betroffenen in kleinen Randnotizen an die Öffentlichkeit gelangten, sprechen eine deutliche Sprache: Die Tageszeitung Der Standard berichtete Tage nach der Verhaftungswelle, dass von Seiten der Pelz- und Kürschnerindustrie bzw. des Handels massiv Druck auf die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ausgeübt wurde, gegen die TierschutzaktivistInnenszene vorzugehen, da sich deren politische Arbeit geschäftsschädigend auswirke.

Dies wurde am 29. August durch den Abgeordneten Peter Pilz bekräftigt. Pilz gibt an, dass Protokolle des Bundeskriminalamts belegen, dass am 5. April 2007 im Büro des Generaldirektors für Öffentliche Sicherheit ein Treffen mit Spitzen von Innenministerium, Wiener Polizei sowie Peter und Werner Graf, Eigentümer der Firma Kleiderbauer, stattfand. Generaldirektor Erich Buxbaum wies dabei den damaligen Wiener Polizeipräsidenten Peter Stiedl an, “alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Demonstrationen der Tierschützer vor den Filialen der Firma Kleiderbauer zu verhindern”.

Dass eine schlichte Verweigerung der Genehmigung unmöglich ist, war den Beamten bewusst, wie ein Protokoll vom Dezember 2007 klarstellt: “Die Untersagung von Kundgebungen [wird] derzeit nicht für möglich erachtet.”
Daher wählte man den Weg der Kriminalisierung der Tierschützer.
Am 10. April 2007 wurde laut Pilz eine “Soko Bekleidung” gegen die Tierschützer eingerichtet, ohne dass ein konkretes Verdachtsmoment vorgelegen hätte. Erich Zwettler, Leiter der Abteilung Ermittlungen, Organisierte und Allgemeine Kriminalität im Bundeskriminalamt (BK), “hat gewusst, dass er nichts in der Hand hat. Trotzdem wurden Hausdurchsuchungen und Verhaftungen vorbereitet und obwohl nicht Relevantes gefunden wurde, der Fall bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt angezeigt, die bereit ist, den Gebrüdern Graf jeden Wunsch zu erfüllen”, so Pilz.

Die Tierschützer seien in der Folge observiert, verdeckte Ermittler eingeschleust, Telefonüberwachungen vorgenommen und die Steuerfahndung eingeschaltet worden, wobei alles, was die Ermittlungen ergaben, die Klärung des Delikts des Einschlagens einer Fensterscheibe mit einem Stein, also eine Sachbeschädigung, war. Bemüht wurde dafür eine DNS-Untersuchung (Zellspuren, die vom Stein sichergestellt wurden.)
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt beruft sich auf eine Notwendigkeit zum Handeln, da “die Straftaten von 2005 auf 2006 stark angestiegen seien”. Es handelt sich hier um einen Anstieg von 24 auf über 40. Nein, nicht Straftaten. Anzeigen!

Und diese Anzeigen beziehen sich in der großen Mehrheit auf derart “kapitale” Delikte, wie

• Verkleben von Autoschlössern von Repräsentanten,
• Beschädigung von Pelzen (Buttersäureanschlägen),
• Demonstrationen auf der Straße vor Wohnhäusern von Tierfabriksrepräsentanten,
• dem schnellen Betreten von Firmenbüros und Verteilen von Flugzetteln.

Welche zutiefst gefährliche Groteske diese Rechtsanwendung in Österreich bewirken kann, von Strafrechtstatbeständen, die der Bevölkerung unter ganz anderem Vorzeichen verkauft wurden, zeigt der Vorwurf der Demonstrationen vor Wohnhäusern. Diese wurden unter dem Titel von “Beharrlicher Verfolgung (Stalking)” angezeigt.

Leider müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir die massive Auswirkung dieses Paragraphen auf jeglichen politischen Aktivismus bei seiner Entstehung 1993 unterschätzten. Wenn den 10 Verhafteten keine einzige Straftat nachgewiesen werden kann, führt das leider aufgrund der Gesetzeslage nicht zu deren Entlastung. Gelingt der Anklagebehörde der Nachweis, dass eine kriminelle (oder terroristische nach Absatz c und d) Vereinigung vorliegt, ist alleine die Teilnahme an der Vorbereitung dieser bereits strafbar.

Das heißt, es geht nicht um Individuen zurechenbare Straftaten, seien es mutmaßlich begangene oder mutmaßlich geplante, sondern um politische Intention, die in Form von Zusammenschlüssen zum Ausdruck kommt. Mit dem §278 kehrt das Meinungsdelikt zurück.

Wie sehr hier, in Fortschreibung des “Islamistenprozesses” gegen Mohammed M. und Mona S. vergangenen Herbst, staatliche Organe Gesetze nach Gutdünken auslegen, um vor jeder außerparlamentarischer politischer Arbeit abzuschrecken und wie sehr diese Richtung bereits in den Gesetzen angelegt ist, zeigt der Umstand, dass die entstandene Judikatur auf Basis des §278 zwischen kriminellen Organisationen mit weniger als zehn (mindestens drei) und zehn oder mehr Angehörigen unterscheidet, was sich im weitaus höheren Strafrahmen im letzteren Fall ausdrückt.

Man muss nicht Schelm sein, um nicht an Zufall zu glauben, dass haargenau zehn Personen verhaftet wurden. Seit der Verhaftung fanden im sechswöchigen Abstand Haftprüfungen statt. Mit Ausnahme der letzten Haftprüfung verlängerte das Gericht dabei immer wieder die Untersuchungshaft.

Bei der letzten Haftprüfung Mitte August wurde einer der zehn verhafteten Tierschützer aus der Untersuchungshaft entlassen, da laut Haftrichter weder genügend Anhaltspunkte für entsprechende Straftaten vorliegen, noch Fluchtgefahr gegeben ist.

Aus der Sicht von außerparlamentarischen politischen AktivistInnen, als die wir uns verstehen, kann es darauf nur eine klare Antwort geben:
• Volle Solidarität mit den Betroffenen
• Brandmarkung des freizügigen Umgangs mit Untersuchungsmethoden, wie DNS-Analysen
• Kampf mit allen politischen Mitteln zur Beseitigung dieses Unrechtsparagraphen als Versuch des Abbaus noch verbliebener Reste von Demokratie!

Postskriptum:
Am 2. September 2009, am 110. Tag der Untersuchungshaft, wurden die neun verbliebenen Inhaftierten auf freien Fuß gesetzt und auf Weisung der Oberstaatsanwaltschaft Wien die Untersuchungshaft aufgehoben.
Einer der Enthafteten, Martin Balluch vom VGT, sprach in Hinblick auf die ihm vorgeworfenen Straftaten von “aus jedem Zusammenhang gerissenen Zitaten, die elf Jahre alt sind”. Medienberichte über Buttersäureanschläge, die er auf seinem PC archiviert hatte, wären als Beleg für seine Verstrickung in eine kriminelle Organisation genommen worden.

Es bestätigt sich umso mehr: Durch den §278 sind AktivistInnen permanent von Kriminalisierung bedroht und Spielball politischer Interessenslagen der Eliten.

Die Fakten drängen einen Seitenblick zum Verfahren gegen Mohammed M. und Mona S. auf – dem “Wiener Terroristenprozess”, auf dessen Unregelmäßigkeiten in der letzten Ausgabe der Intifada hingewiesen wurde.

In beiden Fällen eine Blamage für die Republik. Jeglicher Jubel erscheint aber voreilig. Einerseits zeigte sich in beiden Fällen, dass erst Höchstinstanzen des Rechtssystems den Rechtsstaat verteidigen und die Justiz als Gesamtes keineswegs entgegen politischen Interessen verfassungsmäßige Rechte garantiert.

Der Kampf für eine restlose Beseitigung des § 278 bleibt zentral und aktuell.