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Gaza muss sprechen dürfen
9. Mai 2009 - Gunnar Bernhard

Einerseits wurde Anfang Mai auf der Universität Wien die so genannte „Stop-the-bomb“-Konferenz, der vorläufige Höhepunkt der gleichnamigen, von den primitiven Kulturkriegern des „Café Critique“ initiierten antiiranischen Kampagne, abgehalten. Auf dieser Veranstaltung wurde weitgehend unwidersprochen, großteils sogar unter begeistertem Applaus, ein atomarer Erstschlag der USA und/oder Israels gegen den Iran gefordert. Dazu war ein Bedrohungsszenario konstruiert worden, das in Wirklichkeit nicht existiert, nämlich ein iranisches Programm zum Bau von Atombomben (das sogar nach Angaben der US-Geheimdienste schon seit Jahren eingestellt ist), und falsch zitierte Aussagen des iranischen Präsidenten Ahmadinežad wurden mutwillig zu Kriegsdrohungen gegen Israel umgedeutet. Das zeigt, dass es den Initiatoren keineswegs um den Stopp von Atombomben geht, sondern vielmehr um deren Abwurf auf den Iran.

Andererseits machten die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) und das so genannte „Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes“(DÖW) nur wenige Tage später mobil gegen die Veranstaltung „Gaza muss leben“, bei der auf die katastrophale, durch das völkermörderische Embargo und die Blockade durch USA, EU und Israel verschuldete humanitäre Situation der Bevölkerung im Gazastreifen aufmerksam gemacht werden sollte. Zu der Veranstaltung waren als Redner u. a. Karin Resetarits (Abgeordnete des Europaparlaments), Franz Sieder (Pfarrer von Amstetten), Viola Raheb (palästinensische Theologin und Friedensaktivistin), Peter Melvyn (Sprecher der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost), Gamal Elkoudary (unabhängiger Abgeordneter des palästinensischen Legislativrates, Gaza) und Fritz Edlinger (Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen) geladen. IKG und DÖW intervenierten – leider erfolgreich – bei der Geschäftsführung des als Veranstaltungsort vorgesehenen Albert-Schweitzer-Hauses und danach auch bei der Arbeiterkammer, deren Räumlichkeiten als Ersatzort gebucht worden waren. IKG und DÖW (die von den Betreibern des Albert-Schweitzer-Hauses dezidiert als diejenigen, die interveniert hatten, genannt wurden) gingen dabei mit ihrer üblichen Mischung aus Halb- und Unwahrheiten vor: Die Antiimperialistische Koordination (AIK) „steckt hinter“ der Kampagne „Gaza muss leben“ und der gleichnamigen Veranstaltung und sei eine antisemitische Organisation. Brigitte Bailer-Galanda, „wissenschaftliche Leiterin“ des DÖW, verstieg sich gegenüber der Austria Presse-Agentur (APA) gar zu der Behauptung, die AIK würde Holocaust-Sympathien hegen – eine Unterstellung, die allerdings nach zahlreichen Protesten wenige Tage später wieder zurückgenommen wurde, um nicht in rechtliche Turbulenzen zu geraten. Auch wird die Kampagne „Gaza muss leben“ in Wirklichkeit von mehreren Organisationen und Personen gemeinsam getragen.

Nachdem auch beim neben dem Albert-Schweitzer-Haus gelegenen Weltcafé mit Interventionen gerechnet werden musste, wählte der Koordinator Leo Gabriel eine Finte. Man gab das „Weltcafé“ an, doch lenkten die „Gaza-muss-leben“-Aktivisten die Teilnehmer in ein nahe gelegenes Hotel um. Der Veranstaltung war schließlich großer Erfolg beschieden.

Verhältnisse, in denen in Universitäts-Hörsälen offen zum präventiven Atomkrieg gegen einen Staat, der niemals einen Krieg begonnen oder angedroht hat, aufgerufen werden kann, während eine Veranstaltung, die auf eine humanitäre Katastrophe (die israelische Historikerin und Journalistin Tanja Reinhart bezeichnet es als schleichenden Völkermord) aufmerksam machen will, mit dreisten Verleumdungen überhäuft und beinahe tatsächlich verhindert wird, sind keiner demokratischen Gesellschaft würdig. Und die Organisationen, die für diese Vorgänge verantwortlich sind, schon gar nicht.