Doch nicht bloß Deutschnationale und Rechtskonservative unterstellten der serbischen Politik der 1990er Jahre ein „Großserbien“ anzustreben. Auch in linksliberalen Kreisen geisterte das aus dem Ersten Weltkrieg bekannte Schreckgespenst serbischer Hegemoniebestrebungen umher und bereitete der allgemeinen Kriegsbereitschaft gegen Serbien den Boden. Als die Nato 1999 serbische Städte bombardierte, gab es in Österreich so gut wie keine Proteste. Die damalige österreichische Friedensbewegung bestand fast ausschließlich aus in Österreich lebenden Serben. Doch schon des Öfteren hat ein Feindbild das andere abgelöst. Waren dies unlängst noch die (slawischen) Kommunisten, so fürchtet man sich heute vor den fundamentalistischen Muslimen. Zwar reicht der österreichische Antislawismus weit hinter die kommunistische Vergangenheit zurück und ist nicht mit dem Antikommunismus gleichzusetzen, doch bezog dieser in Österreich seine Mobilisierungskraft sehr stark aus antislawischen Ressentiments – und umgekehrt.
Da gegenwärtig die europäische Integration oberste Priorität hat, sollte man meinen, dass alte Feindbilder ausgedient hätten. Auch Serbien soll möglichst bald der EU beitreten, Konflikte vergangener Tage vergessen werden. Doch es ist nun einmal keine zehn Jahre her, dass sich die Nato mit einem Bombenkrieg gegen Serbien für die Kosovo-Albaner stark gemacht hatte. Zur nachträglichen Legitimierung westlicher Interventionspolitik am Balkan wurde das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ins Leben gerufen. Die (serbischen) Hauptverantwortlichen für die begangenen Verbrechen sollten dort medienwirksam Buße tun, um – wie behauptet wird – den Serben zumindest die Last der Kollektivschuld zu nehmen. Anders gesagt: Der Bombenkrieg musste als notwendiges Übel, um Schlimmeres zu verhindern, gerechtfertigt werden. Da man Serbien in der EU sehen möchte, wird Goldhagens Kollektivschuldthese (dieser hätte die Serben gerne umerzogen) verworfen und die Verantwortung ausgemachten „finsteren Gestalten“ à la Milošević zugewiesen. Man ist bemüht eine „proeuropäische“ Hegemonie in Serbien zu schaffen, was sich jedoch immer wieder als Drahtseilakt erweist, da das Dogma der serbischen Hauptverantwortung für die Jugoslawienkriege bestehen bleiben muss. Es könnten sonst unerwünschte Fragen nach der Rolle der Nato aufkommen. Dies führt zur fortwährenden Ignorierung der die Serben betreffenden nationalen Fragen in Bosnien und Kroatien, gipfelte in der Abtrennung des Kosovo und ist somit der „proeuropäischen“ Stimmung in Serbien eher abträglich. Erst mit dem EU-Beitritt Serbiens wäre das Projekt der Umgestaltung des Balkans vollendet, doch bedarf ein solcher der Zustimmung großer Teile der serbischen Bevölkerung. Man darf gespannt sein, wie hier weiter verfahren wird.
Islamfeindlichkeit von Links und Rechts
Solche Sorgen liegen H. C. Strache fern. Er hat in den Serben die wahren Verteidiger des christlichen Abendlandes vor der islamischen Expansion erkannt. Und tatsächlich finden derartige Interpretationen auch Anklang bei Serben, die sich von Europa und den USA betrogen fühlen. Man kann sich diesen Denkvorgang ungefähr so vorstellen: „Die Amis und die Europäer reden ständig über islamischen Terrorismus, führen zu dessen Abwehr Krieg im Nahen Osten etc. Wir Serben führen ihren Kampf vor unserer Haustür, doch der Westen unterstützt lieber die Terroristen.“ Und tatsächlich stimmt dieses Argument zum Teil, haben doch auch vom Westen als terroristisch bezeichnete islamische Organisationen im Bosnienkrieg bei der Bewaffnung islamischer Milizen geholfen. Dem liegt jedoch ein Missverständnis zugrunde. Zwar trifft es zu, dass nach dem Zusammenbruch des Sozialismus der Islam zum Hauptfeind der „Freien Welt“ erklärt wurde, doch darf nicht übersehen werden, dass zumindest die USA keinerlei Bedenken haben, die rigidesten, fundamentalistisch-islamischen Regime zu stützen. Während der Iran zum Inbegriff des islamischen Fundamentalismus erklärt wird, darf sich Saudi Arabien der Zuneigung Washingtons erfreuen. Entscheidend ist hier allein die Parteinahme im globalen Konflikt. Die bosnisch-muslimischen Eliten waren bereit, sich den Herren in Washington und Berlin unterzuordnen, während der Einfluss arabischer Staaten auf Bosnien marginal blieb. Die Islamisierung des albanischen Nationalismus ist ohnehin nicht zu befürchten, definieren sich die Albaner doch entlang ethnischer, nicht religiöser Kriterien. Die Solidarisierung mit den sich im Krieg mit den USA befindlichen muslimischen Ländern scheint ihnen völlig fremd zu sein. Viel mehr kann man bei albanischen Kundgebungen regelmäßig ein US-amerikanisches Fahnenmeer beobachten.
Was will uns also Strache mit seiner serbienfreundlichen Orientierung sagen? Neben dem offensichtlichen Ringen um Wählerstimmen von österreichischen Staatsbürgern serbischer Herkunft, ist dies Ausdruck des Heranwachsens einer neuen transversalen Ideologie. Die Zurückweisung des Islam als eine gewalttätige, frauenfeindliche, expansionistische usw. Religion, ist das ideologische Phänomen der Gegenwart. Die dem Islam zugeschriebenen Adjektive deuten auf die ideologische Herkunft der Mehrheit der so genannten Islamkritiker hin. Denn Strache und andere rechte Einpeitscher sind nicht die Wortführer der antiislamischen Kampagne. Sie bewirten lediglich den von liberalen Zeitgeistern bereiteten Boden. Die in linker Manier und Terminologie vorgetragene „Kritik“ am Islam wird von Rechtspopulisten mit Kulturkampfparolen unterfüttert. Doch auch der Kulturkampf ist in der sich links gebenden Rhetorik bereits angelegt, wie das Gerede von den emanzipatorischen Errungenschaften, die vom „fundamentalistischen Islam“ in Frage gestellt werden, deutlich macht. Hier tun sich mit linksradikaler Attitüde auftretende Akteure aus dem Umfeld der KPÖ, der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) sowie diverse Antifa-Gruppen besonders hervor. Mit feministischer Rhetorik, unreflektiertem Säkularismus und über den Umweg der Solidarität mit Israel manövrieren sie sich in ein gänzlich antagonistisches Verhältnis zu jeglicher Form arabischer Selbstbestimmung. Der „islamische Faschismus“ ist ihre Erfindung, der antifaschistische „Abwehrkampf“ ihr Marschbefehl, „USA – Antifa“ ihr Schlachtruf.
Ein Feindbild löst das andere ab
Das Verständnis, das Strache plötzlich für serbische Positionen aufbringt, ist auch deshalb interessant, weil der Serbenhass im Österreich der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in seiner alle gesellschaftlichen Schichten und politischen Lager übergreifenden Dimension mit dem heutigen antiislamischen Ressentiment und dem historischen Antisemitismus vergleichbar ist. Kein anderes Feindbild war in Österreich ähnlich wirksam wie die angeführten drei, obwohl eingeräumt werden muss, dass die Islamfeindlichkeit noch nicht die Dimensionen der beiden anderen genannten Phänomene angenommen hat. Da die antiislamische Kampagne jedoch mit massivem Aufwand global geführt wird, ist eine Zuspitzung zu erwarten. Die Parteinahme Straches für Serbien ist sehr aufschlussreich. Der slawische Süden und Osten Europas ist für ihn ob seiner christlichen Tradition Teil „unserer Wertegemeinschaft“, vergessen scheint ihr rechtes Geschwätz von gestern. Straches Position reflektiert damit durchaus die antiislamische Stimmung innerhalb der Unterschichten. Zudem weist die von Politikern, Intellektuellen und Mainstream-Philosophen zuletzt häufig bemühte Rede von der „christlich-jüdischen“ Tradition darauf hin, dass es auch eine antiislamische Kampagne von oben gibt. Als hätte es den europäischen Antisemitismus und seine unzähligen Exzesse nicht gegeben, wird das Judentum der abendländischen Tradition zugerechnet. Der christliche Antijudaismus und der säkulare Antisemitismus Europas gehen in der Islamfeindlichkeit auf.
Welche Rolle spielt also Strache in diesem Schauspiel? Natürlich beruft er sich nicht auf die „christlich-jüdische Tradition“, klopft keine Antifa-Sprüche, und es liegt ihm auch fern, gegen das iranische Atomprogramm zu wettern. Strache bedient eine andere Klientel. Er kümmert sich um die Arbeiterschaft, die auf dem Arbeitsmarkt einem gnadenlosen Konkurrenzkampf ausgeliefert ist. Die Zustände spitzen sich zu. Strache möchte vor allem die gedemütigten Lohnabhängigen anrufen und sie gegen einen äußeren Feind in Stellung bringen. Auf den antiislamischen Propagandazug aufzuspringen bot sich ihm als einfachster Weg an. Doch kommt der antiislamische Chauvinismus mitten aus der politisch korrekten Wertegemeinschaft, die abwechselnd die Menschenrechtsverletzungen islamischer Regierungen gegenüber der Bevölkerung, die Aggressivität der islamischen Bevölkerung gegenüber westlichen Einrichtungen und Symbolen und die Irrationalität und Unmündigkeit islamischer politischer Führungspersönlichkeiten als Interventionsgründe anführt. Der Islam wird beschuldigt die Aufklärung verdrängt zu haben. Wenn FPÖ-Politiker den Islam als solchen angreifen (Mohammed sei ein Kinderschänder gewesen etc.), liegen sie im allgemeinen Trend. Die inszenierte Empörung des Mainstreams über die Hetze der FPÖ ist nicht besonders glaubwürdig. Der liberale Intellektuelle mag Äußerungen dieser Art vielleicht als geschmacklos empfinden. Das Klischee des Frauen unterdrückenden, Juden hassenden, religiös verblendeten Muslimen entsprang jedoch bestimmt nicht dem politischen Umfeld der FPÖ.
Es bleibt zu hoffen, dass sich in Serbien anstatt eines gegen die islamische Welt gerichteten Chauvinismus als Aufnahmebedingung in die westliche Wertegemeinschaft die Meinung durchsetzt, dass man auch selbst zu einem Opfer der imperialen Politik geworden ist. Straches Zugehen auf die Serben möchte Ersteres bewirken, obwohl auch er Kritik am Imperialismus der EU und der USA nicht ausspart. Die Ablehnung der völkerrechtswidrigen Kriege und Besatzungen im Irak und in Afghanistan geht der FPÖ zwar leicht über die Zunge, was sie jedoch nicht daran hindert, gleichzeitig vor der Islamisierung Europas zu warnen. Serbiens Nationalisten dürften dies ähnlich sehen, doch sie befinden sich tatsächlich in einem ernsthaften Konflikt mit dem westlichen Hegemonismus, was von den „freiheitlichen“ Maulhelden nicht behauptet werden kann.