„Es ist aber sicher wahr, dass sie einen enormen Erfolg für den Irak und für die USA bedeuten.“ Gerecht hält ostentativ am unpopulär gewordenen neokonservativen Ideologem, nach dem die USA die Demokratie mit Waffengewalt exportieren müssten, fest. Das mag Propaganda sein, doch die vergangenen Wahlen scheinen ihm auf den ersten Blick Recht zu geben. Ein zweiter Blick lohnt sich daher.
Auf die Quintessenz gebracht meint Gerecht: Was alle Iraker wollen, ist zu wählen, mit zu bestimmen, und das habe einzig und allein die US-Intervention ermöglicht. Im Übrigen dürfe man ob des iranischen Einflusses nicht nervös werden, denn die schiitischen Iraker streben selbst danach, eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der persischen Hybris zu erlangen. Die strategische Entscheidung, auf die Schiiten zu setzen, wäre richtig gewesen und man dürfe nicht den kurzsichtigen Fehler machen, wieder die Sunniten zu stützen. Diese seien nach 1.500 Jahren Gewaltherrschaft erledigt. Jedenfalls eine starke Ansage, die nicht einer gewissen politischen Intelligenz entbehrt.
Malikis Sieg, Hakims Niederlage
Malikis Erfolg, der in fast allen mehrheitlich schiitischen Provinzen relative Mehrheiten erzielte und sowohl in Bagdad als auch in Basra an der 40%-Marke kratzte, ist unbestreitbar, genauso wie Hakims Niederlage, der oft über wenige Prozentpunkte nicht hinauskam. Die gängige Erklärung dafür ist, dass Maliki einerseits entschieden gegen den von Hakim repräsentierten schiitischen Föderalismus auftrat, als auch gegen die Mahdi-Milizen Muqtadas mit harter Hand vorging. Insgesamt hat er die religiöse und konfessionelle Rhetorik stark zurückgenommen. Weniger oft hört man, dass das SOFA-Abkommen von vielen als Erfolg gegen die US-Besatzer interpretiert wird. In erster Lesung ist es das auch, was man daran sehen kann, dass die US-Militärs intensiv damit beschäftigt sind, Strategien zu seiner Umgehung zu entwickeln.
Maliki repräsentiert die schiitische Ober- und Mittelschicht, die sich sowohl mit den USA als auch mit dem Iran arrangieren wollen und deren wichtigstes Ziel Stabilität ist. Diese haben gleichzeitig verstanden, dass mit dem extrem proiranischen und konfessionalistischen Kurs Hakims, der paradoxerweise zusätzlich auch noch am stärksten proamerikanisch ist, kein Staat zu machen ist.
Hinzu mag noch die Tatsache kommen, dass bis vor kurzem die Öleinnahmen noch üppig flossen und Maliki als Premier bestens positioniert war, diese klientelistisch zu verteilen.
Der Wahlerfolg des bisher unbekannten Habboubi in der Provinz Karbala (17%), der sowohl die Listen Malikis (8%) als auch Hakims (8%) hinter sich ließ, zeigt auch gegenläufige Tendenzen auf. Habboubi war bereits unter Saddam Vizegouverneur der Provinz und somit Baathist, was vor wenigen Jahren noch einem Todesurteil gleich gekommen wäre, vor allem im schiitischen Bereich. Dabei wären Karbala und Nadschaf mit den höchsten schiitischen Heiligtümern und als Hauptsitz des Klerus geradezu prädestiniert in die Hand derjenigen Parteien zu fallen, die ihnen am nächsten stehen. Oder auch in die von Muqtada as Sadr. Der Erfolg Habboubis kann als Signal für die Abnutzungserscheinungen des schiitischen politischen Islams gewertet werden, genauso wie die signifikant gesunkene Wahlbeteiligung.
Muqtada abgestürzt?
Muqtada as Sadr hatte keine eigene Liste gebildet, sondern unabhängige Kandidaten unterstützt, was an sich schon als Zeichen der politischen Defensive und Schwäche gelten kann. Das gilt auch für den kolportierten Fall, dass er an der direkten Teilnahme gehindert wurde. Besonders miserabel schnitten jedenfalls seine Kandidaten in Basra (5%, in Bagdad 9%) ab, in seiner ehemaligen Hochburg, aus der er von Maliki mit Waffengewalt vertrieben wurde. Das Wahlergebnis zeigt, dass die militärische Niederlage auch gleichzeitig eine politische war.
Die opportunistische Taktik der Sadristen, Maliki gegen Hakim, und damit das ganze von den USA eingesetzte Regime zu stützen, erwies sich zumindest seit der Schlacht um Basra als Bumerang. Insgesamt scheinen die vollmundigen Ankündigungen des Widerstandes gegen die Besatzer und ihre Handlanger, die immer wieder mit taktischen Rückziehern endeten, ihren Preis zu fordern. Zudem gehörten seine Milizen zu den Hauptakteuren im konfessionellen Bürgerkrieg und transformierten sich vielerorts zu simplen Räuberbanden.
Doch im Gegensatz zur Formation Hakims wäre es verfrüht, Muqtada tot zu sagen. Nicht nur ein Damoklesschwert hängt über Malikis Projekt. Wie sehr ist dem amerikanischen Versprechen des Rückzuges zu trauen? Wie steht es mit dem Konflikt zwischen den USA und dem Iran? Und wie wird sich die Drittelung des Ölpreises auf die bereits jetzt prekäre soziale Lage breiter Teile der Bevölkerung auswirken? In dem Maße, in dem Malikis Stabilisierung scheitert, könnte Muqtada wie ein Phönix aus der Asche steigen.
Der sunnitische Bereich
Zuerst muss die massive sunnitische Wahlbeteiligung bemerkt werden, welche die Kehrseite des Misserfolges des bewaffneten Widerstandes darstellt. Um der politischen Marginalisierung zu entkommen, haben die Sunniten indirekt das politische System akzeptiert.
In diesem Licht erscheint die gesunkene Wahlbeteiligung gerade bei den Schiiten noch dramatischer und zeigt die Relativität und Brüchigkeit von Malikis Erfolg an. Aber auch die Tatsache, dass in Kirkuk, auf das die kurdische Führung Anspruch erhebt, nicht gewählt werden konnte, kündet von den Schwierigkeiten.
Die Islamische Partei, die mit den sunnitischen Muslimbrüdern verwoben ist, wurde zwar zurückgestutzt, aber nicht in gleicher Weise geschlagen wie der schiitische Hohe Rat des Islamischen Widerstandes (SCIRI) Hakims. Besonders in Mosul (Al Hadba 48%), aber auch in Anbar (Mutlaq 18%), machten arabisch-nationalistische Kräfte das Rennen, die auf die eine oder andere Weise dem sunnitischen Widerstand nahe stehen.
Doch trotz dieses elektoralen Erfolges bleibt der Widerstand in einer strategischen Sackgasse gefangen. Für ihn, wie für große Teile der sunnitischen Bevölkerung, handelt es sich um eine iranische Verschwörung und Besatzung, die sich der Parteien des schiitischen politischen Islams bedient. Er ist nicht in der Lage einem schiitischen Antiimperialismus die Hand zu reichen bzw. ihn zu fördern. Das würde voraussetzen, das Ziel der Demokratie, wenn auch nicht nach westlichem Vorbild, sondern von unten, in welcher Ausprägung auch immer, zu akzeptieren und damit die schiitische Mehrheit anzuerkennen. In diesem Sinn bedarf es einer klaren Distanz zu Saddam, wenn auch sein antiimperialistisches Moment anerkannt werden muss. Die dafür geeignete politische Plattform wäre ein explizit irakischer Nationalismus, der im schiitischen Bereich in Abgrenzung zu Teheran immer stärker wird. Das zu starre Insistieren auf einen arabischen Nationalismus kann von schiitischer Seite nur argwöhnisch als versteckter sunnitischer Herrschaftsanspruch betrachtet werden, für den sunnitischen politischen Islam gilt das noch mehr. Genau an dieser Stelle muss aber das versöhnliche Signal zuerst von sunnitischer Seite kommen, so dass die antiimperialistischen Schiiten ihrerseits nachziehen können. Die zunehmende Ablehnung des Föderalismus, wie er vom SCIRI forciert wird, indiziert die Möglichkeiten dafür. Ob der Widerstand in der Lage ist über seinen historischen Schatten zu springen, steht allerdings auf einem anderen Blatt.
Geostrategische Unwägbarkeiten
Wenn die USA tatsächlich abziehen, könnte Reuel Marc Gerechts Rezept einer schiitischen Herrschaft – mit Einschränkungen – aufgehen, auch wenn die Sunniten allemal ein gewisser Unruheherd bleiben würden. Doch absolute Voraussetzung dafür ist die Fortsetzung des bisherigen amerikanisch-iranischen stillschweigenden Abkommens, das von keiner der beiden Seiten eingestanden wird. Gerecht räumt das indirekt ein, wenn er seiner Regierung rät „den Irak nicht zu einem antiiranischen Schlachtfeld zu machen, wo wir unsere Freunde nach dem Grad ihrer Feindschaft zu den Teheraner Mullahs aussuchen.“ Aber das soll er einmal seinen Generälen und noch mehr seinen neokonservativen und israelischen Freunden erklären!
Wiewohl ein Krieg gegen den Iran gegenwärtig nicht auf der Tagesordnung steht, hat sich der Konflikt keineswegs entspannt. Die globale Vorherrschaft der USA ist mit dem regionalen Machtanspruch des Iran unvereinbar, zumindest solange dort Mullahs sitzen, die den antiimperialistischen Widerstand in der Region als Spielbein benutzen. Wenn es darum geht den Iran niederzuringen, bleiben taktische Erwägungen über die Stabilität eines US-freundlichen Regimes in Bagdad sekundär – um nicht zu sagen Kleinkram.