intifada: Wie sehen Sie als Frau den Zusammenhang zwischen der Besatzung und der Frauenfrage?
Zangana: Vor dem Einmarsch der US-Truppen in den Irak wurde die Frauenfrage benutzt, um den Angriff zu rechtfertigen. Sie haben dabei nicht nur mit den Massenvernichtungswaffen argumentiert, sondern auch immer wieder die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte vorgebracht. Das war eine wesentliche Stütze für die Argumentationskette der USA. Die Angreifer haben sich so als Befreier dargestellt, die vor allem auch Frauenrechte installieren würden.
Diese moralische Rechtfertigung war für die amerikanische und britische Regierung notwendig, da zu diesem Zeitpunkt eine Welle des Protestes der Anti-Kriegsbewegung Druck ausübte. Diese Rechtfertigung war vollkommen absurd, da jeder weiß, dass die ersten Opfer eines Krieges Frauen sind.
intifada: Wie konnte diese Argumentation dennoch aufrechterhalten werden?
Zangana: Leider gab es eine gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen manchen irakischen Frauen und den imperialistischen Mächten. Immer wieder wurden Geschichten über die Unterdrückung der Frau in den westlichen Medien lanciert. Nach dem Einmarsch folgte auch prompt die Belohnung für diese Frauen. So waren im ersten Kabinett unter der Besatzung sieben Frauen vertreten. Diese hohe Zahl war die Abgeltung für jene Frauen, die den Krieg aktiv unterstützt hatten. Die Zahl wurde jedoch schnell wieder reduziert. Die Idee der Frauenbefreiung war damit erledigt.
intifada: Wie ist die Rolle der Frau in der irakischen Gesellschaft aus historischer Perspektive zu beurteilen?
Zangana: Die Frauen haben in der Geschichte des Iraks immer eine bedeutende Rolle gespielt. Seit der Revolution gegen den britischen Kolonialismus in den zwanziger Jahren waren sie aktiv am gesellschaftlichen Geschehen und am Aufbau beteiligt. Die Frauen hatten zum Kampf sowohl intellektuell als auch militärisch beigetragen.
In der irakischen Revolution wurden einige Zielsetzungen der Frauenbewegung erreicht. Dennoch ging der Kampf um Frauenrechte weiter. An diesem spezifischen Kampf nahmen jedoch in hohem Maße auch Männer teil. Übertrieben formuliert sagen wir daher, dass die ersten Feministen im Irak Männer waren. Es gab sowohl in den marxistischen Strömungen als auch bei den Konservativen Auseinandersetzungen über die Frauenfrage.
Es gab beispielsweise eine lebhafte Diskussion in den konservativen Familien, ob man den Hijab (das islamische Kopftuch, Anm. d. Red.) abnehmen soll oder nicht. Die Frauen wurden ermutigt, sich Bildung anzueignen und auch Aufgaben im öffentlichen Leben wahrzunehmen. So gab es schon in den dreißiger Jahren allein in Bagdad vier Frauen-Zeitschriften.
intifada: Wie veränderte die Revolution von 1958 die Rolle der Frau in der Gesellschaft?
Zangana: Mit der Revolution, in der wir uns der von den Briten eingesetzte Monarchie entledigt hatten, setzte ein rascher Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse ein. Innerhalb von drei Jahren konnten wir das erreichen, was zuvor in dreißig Jahren nicht möglich war. Die gesamte intellektuelle Situation des Landes blühte auf: Eine neue Poesie entstand, Übersetzungen ausländischer Literatur florierten und das öffentliche Leben wurde von diesem neuen Aufschwung mitgerissen.
In den siebziger Jahren konnte man noch die Früchte dieses Aufschwungs ernten. Selbst die UNESCO musste feststellen, dass der Irak zu den Spitzenreitern im Bereich der Bildung in der Region gehörte. Auch im Bereich der Frauenrechte wurde eine unvergleichbare Position erreicht. Sowohl bei der Gleichstellung vor dem Gesetz als auch bei der Gleichstellung bei der Entlohnung von Frauen konnte sich der Irak sogar mit europäischen Ländern messen.
intifada: Setzte sich dieser Aufschwung weiter fort?
Zangana: Leider nein. Die erste große Katastrophe, die über das Land hereinbrach, war der iranisch-irakische Krieg. In Folge dieses Krieges setzte ein unerhörter Niedergang unseres Landes ein. Obwohl ich nicht viel Gutes über das Regime zu diesem Zeitpunkt sagen kann, so muss ich doch festhalten, dass sowohl im Bereich der Bildung als auch im Sozialsystem für die Witwen der gefallenen Soldaten einiges getan wurde.
Die zweite Katastrophe war die Invasion Kuwaits, die jahrelange Sanktionen mit sich brachte. Diese stellten unser Land vor eine ungeheure Belastungsprobe. Diese Sanktionen verübten einen Genozid an der Bevölkerung unter den Augen der Vereinten Nationen. Die Blockade hatte vor allem die Bevölkerung des Landes geschwächt, jedenfalls überhaupt nicht das Regime.
intifada: Wie wirken sich die Sanktionen konkret auf Frauen aus?
Zangana: Die Auswüchse der Sanktionen waren absurd. Ich wollte einmal meinen Nichten und Neffen in Bagdad ein Paket senden. Ich hatte ihnenBleistifte, Buntstifte und etwas Papier eingegepackt, damit sie zeichnen könnten. Das Paket kam retour mit dem Vermerk: „Aufgrund der Sanktionen können wir das Paket nicht zustellen.“ Ich habe das Paket als Erinnerung aufgehoben.
Mit den Sanktionen wurde der Irak zu einem Bettler degradiert. Zu diesem Zeitpunkt verließen die Menschen das Land nicht wegen des Regimes, sondern aufgrund der wirtschaftlichen Bedingungen. Der Alltag war für die meisten nur schwer zu bewältigen.
intifada: Manche argumentieren, dass die Sanktionen notwendig gewesen seien, um das Regime zu stürzen.
Zangahna: Einer der größten Mythen im Zusammenhang mit den Sanktionen war, dass sie eingesetzt wurden, um Saddam Hussein zu stürzen. Zwar wurde er nach dem Einmarsch der US-Truppen tatsächlich gestürzt, doch es ist eine grundlegend falsche Herangehensweise, eine Besatzung zu akzeptieren, um von einem repressiven Regime befreit zu werden.
Mit dem zweiten Tag der Besatzung, den die USA den “Fall von Bagdad” nennen, begannen die Aktivitäten des Widerstandes. Seit diesem Tag bis zum jetzigen Zeitpunkt werden die Operationen fortgesetzt, sei es gegen amerikanische, britische oder sogenannte “multinationale” Truppen.
intifada: Welches Verhältnis haben Sie zum irakischen Widerstand?
Zangana: Es gibt gute Gründe, den Widerstand zu unterstützen. Bei den im Irak stationierten Truppen handelt es sich um klassische Besatzungsmächte. Es ist ein international anerkanntes Recht, dass man Besatzungsmächte bekämpfen darf. Das ist nicht nur ein Naturrecht, sondern auch in einer UN-Resolution verankert. Dort wird deutlich ausgesprochen, dass der Widerstand gegen Besatzungsmächte mit allen Mitteln legitim ist. Das beinhaltet auch den bewaffneten Widerstand. Der irakische Widerstand realisiert somit nur das ihm zustehende Recht.
Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen der Besetzung des Südlibanons, der Besetzung Palästinas und dem, wie ich es nennen, Genozid im Irak: Das ist die koloniale Gewalt, die versucht die Völker zu kontrollieren. Aufgrund dieser gemeinsamen Herausforderung kann man auch von der Einheit des Widerstandes sprechen.
All das, was wir 2003 im Irak erlebt haben, war die Generalprobe für das, was noch kommen sollte. All das, was wir nun bei der Blockade und beim Bombardement des Gazastreifens sehen können, wurde zuvor dem irakischen Volk angetan. Wer weiß, welches Land als nächstes unterworfen wird? Solange es eine Supermacht in der Weltordnung gibt, droht eine Gefahr für Kriege.
Das Interview führte Sebastian Baryli.