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Populismus und Hegemonie
6. Oktober 2009 - Sebastian Baryli

Der Populismus avancierte in den letzten Jahren zu einem der schillerndsten Begriffe, der seinen Siegeszug sowohl im Feuilleton als auch in der akademischen Debatte antrat. Doch trotz seiner massenhaften Verwendung konnte bisher keine verbindliche Definition erarbeitet werden. Zwar existiert ein alltagssprachlicher, intuitiver Gebrauch, doch dieser ist gekennzeichnet durch Grauzonen, Ambivalenzen und Widersprüchen. Und tatsächlich ist dies wohl der einzige Konsens, der in der Populismus-Forschung erzielt werden konnte, dass es nämlich diesbezüglich keine Einigung gibt. Die Erarbeitung einer brauchbaren Definition beziehungsweise die Explikation des Begriffs Populismus bleibt daher ein offenes Desiderat. Dieser Text soll einen Beitrag für die Entwicklung einer solchen Definition liefern.

In der Tat beginnt der Großteil der Literatur zu diesem Thema mit der Feststellung, dass eine genaue Abgrenzung des Begriffs fehle. Die Aufgabe wurde somit schon oft gestellt. Doch blieb die akademische Debatte meist auf einer empirischen, fast deskriptiven Ebene verhaftet. Auf einer theoretischen Ebene konnten in diesem Bereich kaum namhaft Fortschritte erzielt werden – mit wenigen Ausnahmen.

Die Frage, warum das Thema Populismus so massenhaft und gleichzeitig so wenig übereinstimmend diskutiert wird, deutet darauf hin, dass der Diskurs über dieses Thema selbst wieder gesellschaftlich tiefgreifende Widersprüche reflektiert. Wie ich in diesem Text entwickeln möchte, ist das Phänomen des Populismus zu analysieren unter den Aspekt des Kampfs um gesellschaftliche Hegemonie. In dieser Perspektive erhält der Populismus eine zentrale Rolle.

Das Problem der theoretischen Durchdringung des Phänomens Populismus ist eine Aufgabenstellung, die für linke Politik von strategischer Bedeutung ist. Das Verhältnis linker Bewegungen und Organisationen zu solchen Phänomenen ist äußerst komplex und immer noch geprägt von tiefgreifenden Missverständnissen. Natürlich kann man nicht davon ausgehen, dass eine theoretische Klarstellung eine politische Klarstellung notwendig nach sich zieht. Doch die theoretische Explikation liefert eine Begrifflichkeit, die eine Basis für eine politische Debatte liefern kann. Im Diskurs um den Populismus selbst können die Fronten klarer gezogen werden und die Kräfteverhältnisse deutlicher Kontur annehmen.

Damit ist schon angedeutet, dass die theoretische Vertiefung des Begriffs den widersprüchlichen Umgang mit dem Populismus nicht auflösen wird. Je nach gesellschaftspolitischer und weltanschaulicher Stellung variiert das Verhältnis zum Populismus. Damit äußern sich im politischen und akademischen Diskurs über den Populismus Frontlinien, die das politische Kräfteverhältnis abstecken.

1. Probleme der Definition

Bevor wir einen Beitrag zur positiven Entwicklung des Begriffs liefern, müssen die Probleme der früheren Definitionsversuche eingehender analysiert werden. Denn ausgehend von diesen Unklarheiten können die Bedingungen für eine positive Definition entwickelt werden.

Das wohl augenfälligste Problem der aktuellen Debatte, insbesondere im europäischen Kontext, liegt wohl darin, dass der Populismus in die begriffliche Nähe des Rechtsextremismus gerückt wird. Dies liegt sicherlich in der politischen Konjunktur der letzten Jahrzehnte begründet. Denn die FPÖ in Österreich, die Front National in Frankreich und die Alleanza Nazionale in Italien repräsentieren hier wohl die historisch gewichtigsten Beispiele für den Populismus in der jüngsten Zeit. Daher liegt die Versuchung nahe, dieser politischen Konjunktur Rechnung zu tragen, und dabei die strukturellen Elemente zu vernachlässigen. Damit erweist man dem Unterfangen einer theoretischen Klärung aber einen Bärendienst, da das Konzept einseitig in eine Richtung getrieben wird. Auch wenn auf einer theoretischen Ebene möglicherweise eine Differenzierung zwischen rechtem und linken Populismus stattfindet, so wird dies meist in der konkreten Analyse auf rechte Bewegungen beschränkt.

Betrachtet man die historischen Ursprünge und die Phasen in der Verwendung des Begriffs, dann zeigt sich recht deutlich, dass die undifferenzierte Verwendung des Populismus-Begriffs in Bezug auf den Rechtsextremismus nicht gerechtfertigt ist. Die Farmer-Bewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts in den USA bildete den eigentlichen Ausgangspunkt für den Begriff Populismus. Diese Protestbewegung vertrat die Interessen der kleinen und mittleren Farmer gegen die urbanen, großkapitalistischen Machtzentren. Aber auch die Bewegung der russischen Volkstümler wird dem Populismus zugerechnet. Diese Bewegung wiederum versuchte die Bauernschaft im zaristischen Reich gegen den sich ausbreitenden Kapitalismus zu mobilisieren. Lenin hatte sich damals intensiv mit den Positionen der Narodniki auseinander gesetzt.

In den siebziger Jahren entwickelte die Diskussion um den Populismus vollends widersprüchliche Züge. Denn auf der einen Seite verwendeten die Neokonservativen den Begriff, um gegen die Studentenbewegung zu wettern. Die politischen Forderungen der Bewegung wurden als “populistisch“ denunziert. Andererseits wurde von neomarxistischer Seite die Regierung Thachter als “populistisch“ kritisiert. Vollkommen entgegengesetzte Phänomene wurden damit mit dem gleichen Begriff besetzt.

Diese historischen Beispiele verdeutlichen recht klar, dass in der Definition des Begriffs Populismus keinesfalls der Fehler begangen werden darf, ihn auf eine politische Strömung zu verengen. Der Begriff muss breit genug sein, um die unterschiedlichen Phänomene fassen zu können.

Die moralische Konnotation des Begriffs ist die zweite Problemstellung, die man bei einer Explikation berücksichtigen muss. Denn mit der Verwendung des Begriffs Populismus will der Sprecher meist eine abwertende Haltung ausdrücken. Dies liegt unmittelbar in der jüngeren Geschichte dieses Konzepts begründet. Wie schon erwähnt wurde der Begriff in den siebziger und achtziger Jahren zu einem Kampfbegriff sowohl der Linken als auch der Rechten stilisiert. Dieser moralische Impetus wird auch heute übernommen, ohne inhaltlich genau auf diese historischen Vorläuferdebatten einzugehen. Wenn man sich die Vielfältigkeit des Populismus-Vorwurfs ansieht, dann demonstriert dies deutlich, wie sehr die moralische Konnotation die Denotation überdeckt und beeinflusst hat. So wirft die ÖVP der SPÖ genauso Populismus vor aufgrund ihrer Beziehungen zur Kronen-Zeitung, wie die SPÖ wiederum immer wieder moralische Vorwürfe gegen die FPÖ ob ihres Populismus erhebt. Aber auch auf der internationalen Ebene begegnet uns der Populismus-Vorwurf. Dieser wird von der US-Administration und den großen Medienagenturen auf so unterschiedliche, politische Phänomene wie Ahmadinedschad und Chávez angewandt.

Für eine brauchbare Definition des Begriffs muss also die moralische Aufladung kritisch hinterfragt werden. Wenn wir in der Analyse der Pragmatik des Begriffs allmählich fähig sind zu unterscheiden zwischen der tatsächlichen inhaltliche Bedeutung und der symbolischen Bedeutung, also der moralischen Konnotation, dann wäre dies ein erster, bedeutender Schritt in der Explikation.

Im Zuge der moralischen Aufladung ergibt sich das dritte Problem: Dem Populismus wird in vielen Analysen die politische Rationalität abgesprochen. Populistische Bewegungen werden damit in das Reich der Irrationalität verwiesen. Dies wird beispielsweise dadurch argumentiert, dass er reduzierte Freund-Feind-Schemata anbieten würden, die der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht entsprechen würden. Dieser Vorwurf ist bedeutsam, doch wie so oft sagt er weit mehr über den Sprecher als über das in Frage stehende Objekt aus. Denn den manichäischen Konzepten des Populismus wird ein Konzept der problemorientierten Verwaltung gegenübergestellt. Dass diese Form der Verwaltung bestimmten politischen Koordinaten folgt und sich bei Sachproblemen keine interessenslose Lösung aufdrängt, liegt aber auf der Hand.

Doch paradoxer Weise wird hier ein neues Freund-Feind-Schema entwickelt, das wiederum bestimmten, politischen Interessen folgt. Denn insbesondere der herrschende Block an der Macht artikuliert sich selbst als Verwaltung, die nahezu frei von parteipolitischen Interessen wäre. Auf der anderen Seite wird dem Populismus vorgeworfen, er verfolge irrationale, den Problemlagen nicht adäquate Konzepte. Interessanter Weise funktioniert der Vorwurf auch umgekehrt, da der Populismus dem herrschenden Block an der Macht selbst wieder Parteipolitik vorwirft. In Österreich wurde von Jörg Haider und seiner FPÖ der Proporz als Kampfbegriff auserkoren, um in diese Kerbe zu schlagen.

2. Populismus-Begriff

Nachdem wir nun die grundlegenden Probleme beschrieben haben, soll nun der Begriff selbst eingehender analysiert werden und ein positiver Vorschlag ausgearbeitet werden. Ausgangspunkt dafür dient die Definition von Dieter Nohlen, da sie den Stand der politikwissenschaftlichen Forschung reflektiert. Insgesamt liefert Nohlen drei Definitionen:

1. Populismus als eine allgemeine Bezeichnung für eine Politik, die sich demagogischer Mittel bedient, um die Zustimmung des Volkes zu erreichen.

2. Die zweite Definition bietet eine etwas umfassendere Annäherung. Dabei wird Populismus als eine soziopolitische Bewegung mit Massenbasis und einer Zentrierung auf politische Führungspersonen definiert. Für das Auftreten des Populismus macht Nohlen einen raschen, gesellschaftlichen Wandel bzw. das Auftreten einer Hegemoniekrise verantwortlich. Als soziale Basis des Populismus sieht Nohlen vor allem Angehörige unterer sozialer Schichten. Inhaltlich legt er die Bewegung auf Forderungen nach Nationalismus, wirtschaftlicher Entwicklung und angemessener politischer Beteiligung fest.

3. In seiner dritten Annäherung definiert er Populismus als Konsenssicherungsstrategie der politischen Eliten. (Nohlen 1998, 515)

Ein wesentlicher Mangel der vorgeschlagenen Definitionen liegt darin, dass die unterschiedlichen Begriffe, die jeweils verschiedene Phänomene und Problemstellungen reflektieren, ohne Bezug zueinander taxativ aufgezählt werden. Dies ist für eine erste Annäherung sicherlich sinnvoll, da man einen Überblick über auch widersprechende Verwendungen des Begriffs erhält. Dennoch sollte ein Beitrag zu dieser Debatte nicht bei der Beschreibung unterschiedlicher Positionen stehen bleiben. Insbesondere sollte danach gestrebt werden, die angesprochenen Phänomene der zweiten Definition (soziopolitische Bewegung) und der dritten (Konsenssicherungsstrategie) gemeinsam theoretisch zu verarbeiten. Der erste Definitionsversuch bleibt zu abstrakt und erscheint somit kaum ein fruchtbarer Ansatz.

Das erste inhaltliche Problem des Definitionsvorschlages besteht darin, dass der Populismus als soziopolitische Bewegung aufgefasst wird. Die Fragestellung wird in der Forschung zum Populismus immer wieder gestellt: Kann man ihn als bestimmte Form soziopolitischer Bewegungen interpretieren oder muss man ihn als Ideologie begreifen, die letztendlich nicht auf einzelne Bewegungen beschränkt werden kann?

Wenn man Populismus als ideologischen Komplex interpretiert, der von verschiedenen Bewegungen vereinnahmt werden kann, dann ist man mit dem Problem konfrontiert, dass der Populismus auf eine Beschreibung beschränkt bleibt, deren theoretischer Gehalt nicht sehr ergiebig ist. Zwar kann man den Begriff dadurch auf Elemente wie etwa der Referenz auf das Volk einschränken, doch wird dadurch kaum ein theoretischer Rahmen geboten, der erklären könnte, warum Populismus überhaupt auftritt. Insbesondere muss, um eine befriedigende Erklärung liefern zu können, das Phänomen Populismus in einem gesellschaftlichen und machtpolitischen Kontext interpretiert werden. In einer bloßen Fixierung auf einzelne ideologische Komplexe kann diese Aufgabe aber kaum gelöst werden.

Wenn man Populismus aber tatsächlich als eine bestimmte Form der politischen Bewegung betrachtet, so läuft man damit oft Gefahr, in starre sozialtheoretische Konzepte zu verfallen. So wurden in den siebziger Jahren Vorschläge gebracht, die zwar einen weitreichenden sozialtheoretischen Rahmen bieten konnten, doch gleichzeitig Probleme der damaligen Sozialwissenschaften in diesem Bereich reproduzierten. So gab es etwa modernisierungstheoretische Ansätze, die den Populismus als ein Übergangsphänomen in der Entwicklung von traditionellen zu modernen Gesellschaften sahen.

In der marxistischen Theorie wiederum wurde der Populismus als Ausdrucksform popularer Schichten interpretiert, in der sich keine autonome Klassenorganisation und Klassenideologie entwickeln konnte. So definiert beispielsweise George Labica den Begriff folgendermaßen: “Im weiteren Sinne versteht man unter ›Populismus‹ alle Bewegungen oder Lehren, die sich ausschließlich oder vornehmlich an das ›Volk‹ oder an die ›Massen‹ als undifferenzierte Einheiten wenden. Dabei werden die Klassen, ihre Antagonismen und vor allem die Rolle des städtischen Proletariats als revolutionäre Avantgarde geleugnet oder heruntergespielt.“ (Labica 1987, 1028) Dabei liegt die Problematik vor allem in der essentialistischen Festlegung des Begriffs Proletariat und in der daraus folgenden Entwicklung der historischen Mission der Arbeiterklasse. Aus heutiger Perspektive scheint es aber kaum mehr möglich, das „städtische Proletariat“ einfach als soziale Gegebenheit hinzunehmen. In der marxistischen Debatte rückte daher auch die politische Konstruktion des Proletariats als revolutionäres Subjekt immer mehr in den Vordergrund. Damit einhergehend können Ideologie und Politik nicht mehr als determinierter Ausdruck der Klassenzugehörigkeit verstanden werden. Damit verändert sich aber die gesamte Perspektive auf den Populismus. Denn nun geht es nicht mehr darum, die Unzulänglichkeiten des Populismus aufgrund seiner angeblichen Klassenindifferenz heraus zu arbeiten, sondern zu fragen, wie der Begriff des Volkes sich überhaupt im hegemonialen Kampf der Gesellschaft herausbildet und welche Rolle dabei subalterne Klassen spielen. Dennoch bleibt vor allem aus marxistischer Perspektive die Frage offen, wie man das Phänomen des Populismus in eine Theorie der Gesellschaftsformation einordnen kann.

Ausgehend von dieser Problemlage hatte Ernesto Laclau die Aufgabe in der Ausarbeitung eines Populismus-Begriffs folgendermaßen gestellt: Einerseits muss man die Bedeutung der ideologischen Elemente in der gesellschaftlichen Struktur suchen. Auf der anderen Seite jedoch geht die traditionelle, marxistische Theorie gerade davon aus, dass dieses strukturelle Element, das sich als Klassenwiderspruch darstellt, in einer klassenspezifischen Weise ideologisch ausdrückt. Der Populismus lässt also diese klassenspezifischen Elemente beiseite, obwohl man ihn auf einen Klassenantagonismus – zumindest im weitesten Sinne – zurückführen muss. (Laclau 1981, 138)

Ein Ansatz, um dieses Problem zu lösen, wäre, den Populismus als eine Form der Artikulation im Kampf um die gesellschaftliche Hegemonie zu verstehen. Denn der Begriff der Hegemonie bettet das Phänomen des Populismus in einen gesellschaftlichen Horizont ein, ohne jedoch dem alten Determinismus in die Falle zu tappen. Gramsci führte eine Neubestimmung des Hegemonie-Begriffs ein, um gerade gegen den Ökonomismus innerhalb des Marxismus vorzugehen. Das hegemoniale System einer Gesellschaft kann dadurch nicht mehr als einfacher Ausdruck einer Klassenposition verstanden werden. Wir sprechen daher auch nicht mehr von Ausdruck, sondern von einer politischen Artikulation. Der Begriff Hegemonie eröffnet außerdem ein neues Terrain in der politischen Analyse: es geht um das Verhältnis zwischen dem herrschenden Block an der Macht und dem Volk als Kräfteparallelogramm aller Klassen und Schichten.

Aufgrund der bisher gebrachten Argumente möchte ich daher folgende Definition vorschlagen: Populismus bezeichnet jene Artikulationen des politisch-ideologischen Diskurses, die sich auf das Terrain des Gegensatzes von Volk und herrschenden Block an der Macht beziehen. Dieser Bezug ist jedoch weniger ein inhaltlicher, sondern vielmehr ein formaler. Populismus drückt sich nicht dadurch aus, indem er inhaltlich Elemente des ideologischen Diskurses bestimmt, sondern vielmehr indem er diesen Elementen eine ganz bestimmte Bedeutung verleiht. Es geht also nicht darum, in einem Modell des Determinismus ideologische Elemente einer bestimmten Klasse zuzuordnen. Sondern die Bedeutung der ideologischen Elemente und damit auch die Einordnung in das Verhältnis vom Machtblock und Volk ergibt sich erst im Prozess des Kampfes um Hegemonie.

Zwar hat der Postmodernismus mit seiner Kritik am Essentialismus zwar weit über das Ziel hinaus geschossen, dennoch erscheint es sinnvoll, die Referenz auf eine zentrale Struktur der Objekte in Frage zu stellen. Es gilt, das Modell des Determinismus insofern zu entschärfen, dass wir etwa Politik und Ideologie nicht mehr als Ausdruck interpretieren, sondern als eine Artikulation, die sich sowohl im Verhältnis zu den Objekten als auch in einem System der Äquivalenzen von Zeichen bewähren muss. Der Begriff Volk kann daher nicht mehr als soziale Gegebenheit aufgefasst werden, sondern er muss als eine umkämpfte Kategorie angesehen werden, dessen Bedeutung nicht nur im Verhältnis zu den sozialen Bedingungen zu erschließen ist, sondern die auch Produkt hegemonialer Kämpfe um Zeichen ist.

Laclau hatte Populismus in diesem Sinne folgendermaßen definiert: “Unsere These ist, daß der Populismus die popular-demokratischen Anrufungen als synthetischen, der herrschenden Ideologie antagonistisch gegenüberstehenden Komplex präsentiert.“ (Laclau 1981, 151) Dabei hatte er aber vor allem populistische Bewegungen als Opposition zum herrschenden Machtblock, wie etwa in Lateinamerika, vor Augen. Gleichzeitig sind wir aber in zunehmendem Maße von populistischen Tendenzen auch innerhalb des herrschenden Machtblocks konfrontiert. Das formale Artikulationsprinzip des Populismus kann also nicht darauf beschränkt werden. Auch der herrschende Machtblock braucht – zumindest zeitweise – die Anrufung popularer Elemente, um seine Position im Kampf um die Hegemonie zu stützen.

Vor allem die dichotome Unterscheidung zwischen Machtblock und popularen Elementen kann nicht in dieser Weise aufrecht erhalten werden. So funktionieren westliche politische Systeme vor allem dadurch, dass sie fast alle relevanten Parteien in den herrschenden Machtblock integrieren. Es entsteht in der Regel keine antagonistische Opposition zwischen Volk und Machtblock, sondern es entwickeln sich wechselnde Grabenkämpfe innerhalb des herrschenden Machtblocks. In diesen Machtkämpfen spielt die populare Artikulation eine entscheidende Rolle. Sowohl die FPÖ als auch die Grünen sind im österreichischen politischen System am herrschenden Block, in geringem Maße aber doch, beteiligt. Dennoch agieren sie an dessen Rand und sie sind ständig bestrebt, die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben. Diese Dynamik erzeugt Konflikte, die von allen politischen Fraktionen in wechselndem Ausmaß die Anrufung des Volkes notwendig macht. Dennoch kann das Volk in einem politischen Sinne keinesfalls als Antagonismus zum herrschenden Block wahrgenommen werden, wie dies Laclau in seiner Populismus-Definition eigentlich behauptet hatte.

Je nach Kräftekonstellation kann die populare Anrufung entweder dem Machterhalt des herrschenden Blocks dienen oder auch dem Angriff auf diesen. Beziehungsweise kann sich dies auch aus der Spannung zwischen den Fraktionen am Rand des herrschenden Blocks und jenen, die im Zentrum stehen, ergeben. Die diskursive Referenz auf das Volk steht dabei im Zentrum der popularen Artikulation.

Der Populismus kann somit sowohl im Kampf um den Erhalt der herrschenden Fraktionen innerhalb des Machtblocks auftreten als auch als Angriff auf eben jenes Zentrum. So ist das populistische Element sowohl oppositionellen als auch herrschenden Machtfraktionen potenziell eigen. Für den Machterhalt ist die populistische Artikulation dann entscheidend, wenn es kritische oder instabile Momente der gesellschaftlichen Hegemonie gibt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn größere Reformen oder Veränderungen vom herrschenden Block an der Macht vollzogen werden. So musste etwa die tendenzielle Auflösung der Sozialpartnerschaft und die Implementierung neoliberaler Politikmuster mit populistischen Zügen abgesichert werden. Paradebeispiel ist hier die Ära Thatcher, die mit den Angriff auf die Gewerkschaften den Umbau des britischen Staates mit populistischen Tendenzen umgesetzt hatte.

Für uns sind aber jene populistischen Bewegungen von besonderem Interesse, die außerhalb des herrschenden Blocks an der Macht stehen. Denn sie bereiten den Angriff auf das Machtzentrum durch die Referenz auf subalterne Klassen vor. Dies betrifft alle politischen Bewegungen, egal welcher Provenienz. Dies führt dazu, dass zum Teil klassische Forderungen der Arbeiterbewegung auch von Rechten aufgenommen werden.

3. Österreich: FPÖ und Populismus-Diskurs

Im Lichte dieser Erläuterungen verändert sich auch die Perspektive auf das konkrete Phänomen des Populismus in Österreich und insbesondere der FPÖ. Zunächst muss man eine fundamentale Unterscheidung in der Analyse treffen: Denn wenn wir vom Populismus als tatsächlichem Phänomen sprechen, so ist dies keinesfalls gleichzusetzen mit dem Diskurs über den Populismus. Insbesondere im Verhältnis zwischen dem herrschenden Block an der Macht und dem Populismus spielt der Diskurs über den Populismus eine wesentliche Rolle.

Der Populismus der FPÖ kann interpretiert werden als diskursive Strategie, um den herrschenden Block an der Macht zu erschüttern. Die Referenz auf das Volk ist das wesentliche Element im Kampf um gesellschaftliche Hegemonie. Der herrschende Block an der Macht hat sich in Österreich historisch und kulturell in der Zweiten Republik vor allem auf SPÖ und ÖVP beschränkt. Ausgehend vom „antifaschistischen Grundkonsens“ nach 1945 wurden relativ flott kommunistische Kräfte aus den Machtpositionen entfernt, bis sie nach dem Ende der Besatzung vollends in der Bedeutungslosigkeit versanken. Damit verflocht der Staatsapparat zunehmend mit den Parteiapparaten von SPÖ und ÖVP. Selbst in Zeiten von Alleinregierungen konnte der Partner niemals aus den Institutionen gänzlich gedrängt werden, da wesentlich Positionen auf Länderebene weiterhin gesichert wurden. Insgesamt gab es ein relativ stabiles Gleichgewicht, sodass trotz etwaiger Wahlniederlagen die beiden Parteien niemals aus den herrschenden Block gedrängt werden konnte.

In dieses System war die FPÖ zunächst nicht integriert. Als deutschnationales Sammelbecken führte die Partei lange Zeit ein Schattendasein. Erst die Wende am Innsbrucker Parteitag 1986 machte aus ihr eine ernst zu nehmende Kraft. Der Ansturm auf den herrschenden Machtblock wurde immer vehementer geführt. Vor allem unter dem Banner der Kritik am sogenannten „Proporzsystem“ konnte die FPÖ unter Jörg Haider beachtliche Erfolge erzielen.

Bezeichnend für die FPÖ ist wiederum, dass die Verwendung des Begriffs Proporz eigentlich irreführend war. Auf Bundesebene herrscht das Prinzip der Mehrheitsregierung und nicht jenes der Proporzregierung. Dennoch schafften es Haider, den Begriff zu einem Symbol des Kampfes gegen den rot-schwarzen Machtblock umzudeuten. Paradoxerweise würde das Proporzsystem ja bedeuten, dass alle Parteien – also auch die FPÖ – gemäß ihrem Stimmenanteil an den Machtpositionen beteiligt sein müssten. Doch die FPÖ stilisierte den Begriff zu einer Kritik an der Konzentration und Aufteilung der Machtpositionen zwischen SPÖ und ÖVP.

Im Laufe der Zeit konnte die FPÖ, vor allem auf Länderebene gewisse Machtpositionen einnehmen, doch bis ins Zentrum des Machtblocks konnte sie nie vordringen. Dies liegt weniger in den politisch-ideologischen Differenzen begründet als vielmehr in der vorherrschenden Machtkonstellation selbst, die auch eine kulturelle Entsprechung findet. Denn zwischen dem herrschenden Block an der Macht und den anderen Kräften existiert ein kultureller Graben. Das hat Jörg Haider in seiner Person am deutlichsten demonstriert: zwar konnte er sich in Kärnten eine Machtnische schaffen, doch auf Bundesebene wurde er kaum als seriöser Partner angesehen. Während bei SPÖ und ÖVP vor allem die Parteiinstitutionen als wesentliche Instanzen der politischen Sozialisation und Anerkennung dienten, werden die Parteimitglieder der FPÖ zumeist als Emporkömmlinge angesehen. Dies entspricht im Übrigen einem durchgehenden Phänomen, das auf die meisten Parteien zutrifft, die dem rechten Populismus zugeordnet werden. (Priester 2008, 24) Es besteht also eine ungemeine kulturelle Differenz zwischen einem Heinz-Christian Strache und einer Laura Rudas. Auch wenn die politische Qualifikation möglicherweise bei beiden ein ähnliches Niveau erreicht, so ist kaum vorstellbar, dass Herr Strache jemals eine staatstragende Aura umgeben könnte.

Die FPÖ hatte immer wieder versucht am “antifaschistischen Grundkonsens“ der Zweiten Republik zu rütteln. In dieser Kräftekonstellation ist dies ebenfalls interpretierbar als ein Versuch, den herrschenden Machtblock zu erschüttern. Doch viel erfolgreicher war neben der Kritik am Proporz jedenfalls das Asylthema. Entscheidend für die Analyse ist jedoch, dass sich die Bedeutung und der Sinn dieser Elemente nicht selbst erschließt. Die ideologischen Elemente erhalten erst ihre Bedeutung durch die Einordnung in das Verhältnis herrschender Machtblock und Volk.

Dasselbe gilt für den Diskurs über den Populismus. Inhaltlich zeichnet sich dieser dadurch aus, dass er dem Populismus eine fehlende politische Rationalität unterstellt und ihn als moralisch bedenklich brandmarkt. Dies geschieht nicht zuletzt durch eine tendenzielle Gleichsetzung mit dem Rechtsextremismus. Nichts desto trotz erfüllt dieser Diskurs eine ganz klare Funktion, sofern man den Begriff Funktion verwenden will: Auch hier erschließt sich die Bedeutung durch den Kampf um gesellschaftliche Hegemonie. Denn der Diskurs über den Populismus zementiert die herrschenden Fraktionen im Machtzentrum durch eine moralische Desavouierung der Angreifer.

Der ständig drohende Populismus-Vorwurf, der in der politischen Debatte in den letzten Jahrzehnten eine immer bedeutendere Rolle gespielt hat, lässt sich wieder zuspitzen auf den Kampf um Hegemonie zwischen den Fraktionen im Zentrum und an der Peripherie des herrschenden Machtblocks. Eine linke Kritik muss sich dieser Problematik gewahr werden und sollte sich davor hüten, voreilig Positionen zu beziehen. Insbesondere die Kritik am Populismus muss aufgrund der Erwägungen neu überdacht werden. Denn die leichtfertige Parteinahme ordnet sich allzu schnell ein in eine diskursive Strategie, die den herrschenden Fraktionen im Machtblock nützt.

4. Schlussfolgerungen

Ausgehend von diesen vorläufigen Überlegungen können gewisse Schlussfolgerungen gezogen werden, die vor allem für die politische Praxis von entscheidender Bedeutung sind.

Der Populismus ist ein mehr oder weniger formales Prinzip, das sich auf dem Feld der Konfrontation zwischen dem herrschenden Machtblock und dem Volk entwickelt. Inhaltlich-ideologische Fragestellungen müssen daher auch in diesem Lichte betrachtet werden und können mitunter eine ganz neue Bedeutung erhalten. Tatsächlich können sich ganz unterschiedliche, ja sogar widersprüchliche Elemente in ein und derselben populistischen Bewegung äußern. Entscheidend dabei ist, dass diese Elemente ihre Bedeutung unter anderem durch den Kampf bestimmter Machtfraktionen oder sogar durch den Kampf des Volkes selbst erhalten. Die Kritik an Kräften wie der FPÖ, sie sei populistisch, trifft gerade jenes Element, das ihr am wenigsten vorzuwerfen wäre. Denn gerade das populistische Element der FPÖ gewährleistet eine gewisse Erschütterung – oder zumindest eine Veränderung – des herrschenden Machtblocks.

Auch in Bezug auf Venezuela erhellt dieser Populismus-Begriff einige Problemstellungen. Denn sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene toben dort harte Machtkämpfe. Mit der Referenz auf das Volk hat Chávez einige Positionen im Machtapparat für sich einnehmen können. Dennoch geht der Kampf gegen die alte Bürokratie weiter. In jenem Maße wird auch der Populismus ein notwendiges Element bleiben. Auch international muss sich Chávez gegen das imperalistische Machtzentrum verteidigen. Auch auf dieser Ebene spielt das populistische Moment eine entscheidende Rolle.

Die politischen Systeme in Westeuropa und den USA befinden sich in einer langanhaltenden, strukturellen Krise. Dies äußert sich unter anderem in einer Krise der Repräsentationsmechanismen. Colin Crouch prägte für diese Krise den Begriff der Postdemokratie. Diese Krise der Repräsentation ist keineswegs gleichbedeutend mit einer Hegemoniekrise. Denn gerade das politische System westlicher Prägung basiert auf einer freiwilligen Abstinenz von Politik. Dennoch liegt in der Krise der Repräsentation im Kern das Potenzial für eine Hegemoniekrise begründet. Falls sich diese Möglichkeit realisieren sollte, wird auch der Kampf zwischen Volk und herrschenden Block an der Macht ein neues Niveau erreichen. Dabei wird der Populismus in zunehmendem Maße an Bedeutung gewinnen. Dies wird aber keineswegs nur jene Fraktionen betreffen, die außerhalb oder am Randes des herrschenden Blocks angesiedelt sind, sondern auch jene Fraktionen, die im Machtblock selbst integriert sind.

Literatur

Crouch, Colin: Postdemokratie, Frankfurt am Main 2008. (= Edition Suhrkamp. 2540)

Dorna, Alexandre: Wer ist Populist. Annäherung an ein politisches Phänomen, in: Le Monde diplomatique (Deutsche Ausgabe), 2003, 9. Jg., Nr. 11, S. 5.

Labica, Georges: Populismus, in: Labica, Georges; Bensussan, Gérard: Kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 6: Pariser Kommune bis Romantik, Berlin 1987, S. 1026-1029.

Laclau, Ernesto: On populist reason, London, New York 2005.

Laclau, Ernesto: Politik und Ideologie im Marxismus. Kapitalismus – Faschismus -Populismus, Berlin 1981.

Nohlen, Dieter: Populismus, in: Ders. (Hrsg.): Lexikon der Politik. Bd. 7: Politische Begriffe, München 1998, S. 514-515.

Priester, Karin: Populismus als Protestbewegung, in: Häusler, Alexander (Hrsg.): Rechtspopulismus als “Bürgerbewegung“. Kampagnen gegen Islam und Moscheebau und kommunale Gegenstrategien, Wiesbaden 2008, S. 19–36.

Sottopietra, Doria: Phänomen Rechtspopulismus, Wien 1998.