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Rassismus und Kolonialismus
8. Oktober 2009 - Urs Diethelm

Die UN-Konferenz gegen Rassismus 2001 in Durban anerkannte den Kolonialismus und damit verbundenen Massaker, die Versklavung und die bis heute andauerende Diskriminierung von indigenenen Völkern als eine Form des Rassismus. Diese Anerkennung bei der UN-Staatenkonferenz ist ein Erfolg der vom südafrikanischen Staat und vielen NGOs geförderten grossen Mobilisierung von Betroffenen, die parallel zu der UN-Konferenz in Durban ein NGO-Forum mit ca. 10 000 Teilnehmern abhielten. Die NGO-Konferenz verabschiedete eine Schlusserklärung, die nur teilweise Eingang in die Erklärung der Staatenkonferenz fand.

Ein Aspekt der Schlusserklärung, der von der Staatenkonferenz nur sehr begrenzt aufgenommen wurde, war die rassistische Diskriminierung der Palästinenser durch den israelischen Staat. Die Regierungsvertreter anerkannten zwar, dass die Palästinenser Opfer von Rassismus sind, aber nicht, dass die Ursache dieser Diskriminierung ein rassistisches staatliches Selbstverständnis Israels und ein System der Apartheid ist. Die Schlusserklärung der NGO-Konferenz verlangte auch, dass die zahlreichen UNO-Resolutionen und Empfehlungen der Gutachten endlich umgesetzt werden. Das betrifft insbesondere Resolution 242 für den sofortigen Rückzug Israel aus dem besetzten Westjordanland, Jerusalem, aus Gaza und vom Golan, und die UNO-Resolution 194, die die Rückkehr und Entschädigung der Vertriebenen palästinensischen Flüchtlinge fordert. Konsequenterweise wird auch die Wiederinkraftsetzung der UNO-Resolution 3379 verlangt, die den Zionismus als eine Form von Rassismus, von Imperialismus und Apartheid bezeichnet.

Institutionalisierte Diskriminierung

Bei uns sind meistens nur die Verstöße gegen das internationale Recht im besetzten Westjordanland und Gaza bekannt, wie das Urteil des internationalen Menschengerichtshofes zum Bau der Mauer/des Zaunes in der Westbank. Das Gericht verurteilt den Bau als Verstoß gegen die Genfer Konventionen und verlangt deren Abriss. Weniger bekannt ist die systematische Segregation und rassistisch motivierte Diskriminierung der arabisch-palästinensischen Bevölkerung in Israel selbst. Die „intern vertriebenen“ Flüchtlinge von 1948 wurden vom Staat Israel ihres ehemaliges Besitz an Häusern und Land enteignet. Obwohl sie über das israelische Staatsbürgerrecht verfügen, sind sie von verschiedenen Leistungen der sozialen Sicherheit ausgeschlossen, dürfen kein Land und keine Häuser erwerben, und das Recht auf Familienzusammenzug ist weitgehend eingeschränkt. Eine spezielle Gruppe der arabischen Minderheit in Israel sind die Beduinen. Über 10.000 Beduinen mit israelischer Staatsbürgerschaft leben in „nicht anerkannten“ Dörfern, die keinen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie Wasser, Elektrizität oder Bildung haben. Der israelische Staat betreibt Zwangsumsiedlungen, durch die die Beduinen in „Konzentrationsgebiete“ verlegt werden sollen. Die Behandlung der verschiedenen Teile der palästinensischen Bevölkerung (unter Besatzung, in Israel oder im Exil) erfüllen nach internationalen Rechtsnormen den Tatbestand des institutionalisierten Rassismus und der Apartheid.

BDS-Kampagne

Die palästinensische Leitung der BDS-Kampagne organisierte vor der offiziellen UN-Antirassismus-Konferenz eine internationale Fachtagung in Genf, um die Inhalte und Forderungen der NGO-Konferenz in Durban zu begründen und ihnen Nachdruck zu verleihen. Zur Konferenz mit 300 Teilnehmer waren zahlreiche Experten des internationalen Rechts angereist.

Ein Schwerpunkt war die Definition von Apartheid im internationalen Recht und die Einschätzung des israelischen Regimes und dessen Vorgehen gegenüber dem palästinensischen Volk als Apartheid-, Kolonial- und Besatzungsregime zu überprüfen und zu vertiefen. Die Politikwissenschafterin Virginia Tilley von der Universität Johannesburg und John Reynolds, Durban, stellten die Ergebnisse einer südafrikanischen Studiengruppe zu den Praktiken der israelischen Politik unter dem Aspekt der Apartheid vor. Karine MacAllister von der Universität in Montreal (Kanada) präsentierte die Anwendung des Begriffs der Apartheidpolitik auf das israelische Regime. Mascha Madörin, feministische Ökonomin und Aktivistin der Bewegung gegen das Apartheidregime in Südafrika (Schweiz) und Jackie Dugart, Johannesburg verglichen die israelische Apartheid mit dem Apartheidregime in Südafrika.

Es ist unbestritten, dass die israelische Politik gegenüber den Palästinensern (Diskriminierungen in Israel, Bantustans in den besetzen Gebieten, andauernde Vertreibungen und Verweigerung der Rückkehr der Vertriebenen, usw.) der internationalen Definition von Apartheid entsprechen, wie sie von der UNO im Zusammenhang mit dem südafrikanischen Apartheidregime erstellt wurde.

Daniel Machover, Rechtsanwalt aus London, Susan Akram und Bill Bowring von den juristischen Fakultäten in Boston und London versuchten juristische Strategien zu beschreiben, wie diese völkerrechtliche Verantwortung auch besser politisch umgesetzt werden kann.

Die weltweite Kampagne für BDS möchte angesichts der Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft die Durchsetzung der anerkannten Menschenrechte nicht der Staatengemeinschaft überlassen, sondern hat 2005 den Aufruf für Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen den israelischen Apartheidstaat lanciert. Der zweite Tag war deshalb Arbeitsgruppen zur Umsetzung dieser Kampagne gewidmet. Hervorgehoben seien dabei die Kampagne des internationalen antizionistischen jüdischen Netzwerkes gegen die parastaatlichen zionistischen Organisationen Jüdischer Nationalfonds (JNF) und der World Zionist Organisation (WZO) und die Kampagne, mit der vor allem in England und Schottland, die Gewerkschaften für die Unterstützung der BDS-Kampagne gewonnen werden sollen.

Kolonialismus

In der innerlinken Diskussion beginnt die Geschichte der zionistischen Bewegung und Gründungsvorbeitungen von Israel mit der Shoah. Die Auseinandersetzung blendet gerne aus, dass die zionistische Bewegung mit der Absicht der Gründung einer jüdischen Heimstätte in Palästina schon lange vor der faschistischen Machtübernahme in Deutschland Verhandlungen geführt und „Verträge“ mit den europäischen Kolonialmächten England und Frankreich geschlossen hatte. Die Kolonialmächte erhofften sich die Aufrechterhaltung ihrer Kontrolle des „Nahen Ostens“ (wie es aus der Kolonialsprache heute noch heißt). Theodor Herzl und seine Nachfolger warben deshalb mit „der Errichtung eines Walles gegen das Barbarentum“ um Unterstützung. Die massive militärische Aufrüstung und Gelder der USA, die technische Ausrüstung Frankreichs für den Bau von Atomwaffen und die grossen staatlichen Subventionen für den israelischen Staat (so genannte Wiedergutmachung) unterstreichen die geo-politische Rolle Israels für die imperialistischen Industriestaaten. Auch die Errichtung von eigenen Besatzungsregimes im Irak und Afghanistan hat die Bedeutung von Israel nicht abgeschwächt. Amerikanische Untersuchungen lassen auch den Schluss zu, dass die konstante Unterstützungsmehrheit in der Bevölkerung Amerikas für Israel in der rassistischen Idee begründet liegt, dass Israel ein westlicher Vorposten im dunklen Arabien ist. Die Bush-Kampagne gegen Terror hat dieses alte Kolonialdenken mit neuen Elementen angereichert und verstärkt.

Kampagne für Boykott der Konferenz in Genf

Pro-israelische Kreise versuchten mit einer hauptsächlich im Internet geführten Kampagne in den Monaten vor der UNO-Konferenz zu erreichen, dass die westlichen Staaten ihre Teilnahme an der Konferenz absagen. Dass in der Schlusserklärung der NGO-Konferenz Israel als rassistischer Apartheidstaat bezeichnet wird, mache deutlich, dass die UNO-Konferenz gegen Rassismus israelfeindlich oder gar antisemitisch ausgerichtet sei. Der Vorwurf des Antisemitismus hat für andere kritisierte Staaten eine billige Ausflucht geschaffen, um die Konferenzresultate zu negieren. So lehnten die ehemaligen europäischen Kolonialmächte bereits im Jahr 2001 eine Entschuldigung und Entschädigungen für die Opfer des Kolonialismus ab. Auch die mit dem Krieg gegen Terror geschürte Islamophobie oder die rassistische westliche Migrationspolitik ist so nicht mehr Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit. Der Druck Israels und seiner unterstützenden NGOs hatte den Erfolg, dass die bei der UNO-Konferenz verabschiedete Schlusserklärung außer einer feierlichen Erklärung über Menschenrechte und einer Verurteilung von Rassismus keine konkret in der Politik der einzelnen Länder umzusetzenden Maßnahmen enthält. Das Ziel der Konferenz, der Verhinderung von Rassismus und Kolonialismus ein Stück näher zu kommen, wurde daher verpasst, und es bleibt Aufgabe der fortschrittlichen Basisbewegungen, diese Ziele weiter voranzutreiben.