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Systemopposition in Ostdeutschland?
12. Oktober 2009 - Jonas Hofer

Ein Bericht vom 10. Juni 2009 stellt für die soziale Lage in Ostdeutschland fest:
„Laut ‚Sozialreport 2008‘ der Volkssolidarität [sehen] nur 40 Prozent der Ostdeutschen die Einheit bisher als Gewinn (…)

Wir [erleben] nach nun bald 20 Jahren deutscher Einheit eine tiefe soziale Spaltung unseres Landes zwischen arm und reich. Armut ist nahezu durchgängig in den neuen Ländern auf einem hohen Niveau zu verzeichnen. Die im Vergleich zu den alten Ländern doppelt so hohe Arbeitslosigkeit, immer noch ungleiche Einkommen für gleiche Arbeit, die ausgebliebene Angleichung des Rentenwerts Ost sowie schlechtere Ausbildungs- und Berufschancen für junge Leute führen zu dem Gefühl vieler Ostdeutscher, ‚abgehängt‘ zu sein. (…)

Wenn [spürbare Taten und Ergebnisse ausbleiben], darf sich niemand wundern, wenn immer mehr Ostdeutsche sich an Politik und Demokratie uninteressiert zeigen.“ http://www.volkssolidaritaet.de

Die Unzufriedenheit vieler Menschen in Ostdeutschland macht sich in drei Punkten fest:

1. Ein überwiegend positives Bild von der DDR, das oft mit nostalgischer Verklärung einhergeht

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,632751,00.html

„Die DDR wird von einer Mehrheit der Ostdeutschen heute positiv beurteilt. Dies habe eine repräsentative Umfrage des Emnid-Institutes im Auftrag der Bundesregierung ergeben, berichtet die „Berliner Zeitung“. 49 Prozent vertreten demnach die Auffassung, die DDR habe „mehr gute als schlechte Seiten“ gehabt.“ http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,567907,00.html

2. Eine angeblich anti-amerikanische, anti-kapitalistische Bewegung

„Nationaler Sozialisten“ beansprucht gemeinsam mit rechten Kameradschaften und der NPD, die „einzig wahre Systemopposition“ zu sein und gewinnt sichtlich an Stärke. Ihr „Protest“ richtet sich gegen Gen-Mais, gegen die Schließung ländlicher Schulen, gegen die Reichen („Den Bonzen auf die Finger hauen“ – Wahlplakat der NPD) und die „USraelische Weltordnung“ – vermischt mit der Hetze gegen „Asylbetrüger“, „Zigeuner“ und „Linke“.

Gerade aber von Letzteren kopieren sie nicht nur Parolen – völlig ungeniert taucht auf den Aufklebern, den ihre Aktivisten in jeder zweiten Kleinstadt anbringen, auch Subcomandante Marcos von der EZLN auf mit dem Schriftzug „Nationaler Sozialismus oder Tod“. Oder sie verwenden Zeichnungen des linken Karikaturisten Carlos Latuff, auf der ein Iraker siegreich über einem US-Soldaten zu sehen ist mit dem Aufruf „Freiheit für den Irak“. Diese Versuche, linke Themen zu besetzen, sind sehr gefährlich, denn sie vermengen diese 1. mit einem menschenverachtenden, rassistischen Weltbild und 2. haben sie überhaupt nichts anzubieten außer das Gefühl, zu einer Gruppe zu gehören und einen Sinn im Leben zu haben, welches sie orientierungslosen Jugendlichen vermitteln können.

Um das noch mal an ihren eigenen Worten zu verdeutlichen: Auf ihrer bekanntesten Webseite, widerstand.info, gibt es Artikel wie „Zigeuner-Invasion auf die Dortmunder Nordstadt“ oder „Multikulturelle Gesellschaft: Durch Integration zum Volkstod“. Sodann analysieren sie den US-Imperialismus:
„Wir müssen die Aktionen verstärken und dürfen in der Anklage gegen eine zionistische USraelische Weltordnung, die für die Interessen des Kapitals bedenkenlos Kriege anzettelt, nicht nachlassen. Es ist schon heute sicher, dass weitere Kriege folgen werden – sei es gegen Syrien, den Iran, Nordkorea oder gegen andere Länder.

Als mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion der Westen den Kalten Krieg gewonnen hatte, wurde uns eine Welt des Friedens und des Wohlstandes in Aussicht gestellt. Heute dürfte offensichtlich sein, dass das Gegenteil eingetroffen ist. Der globalisierte Kapitalismus hat in den Industriestaaten die Axt an die sozialen Sicherungssysteme gelegt, hat Armut, Elend und Ausbeutung in den Ländern des Südens noch gesteigert. Und der globalisierte Kapitalismus geht einher mit immer neuen Kriegen, die von den Industriestaaten gegen unbotmäßige, sogenannte Terror-Regime weltweit geführt werden. (…)

Wir versuchen, für eine revolutionäre Haltung zu werben, die sich die Überwindung und Abschaffung des Kapitalismus zum Ziel setzt.“ http://www.widerstand.info/6007/wir-unterstuetzen-den-antikriegstag-2009

Abgesehen davon, das selbiger Artikel Obama als „Neger“ bezeichnet und Kriege zwischen „Kulturen und Rassen“, welche die „Auslöschung der schwachen Völker“ zum Ergebnis haben, als „sinnvolle Kriege“ eingeordnet werden, sind sie auch mit ihrer Hetze gegen Minderheiten, Andersdenkende usw. und ihrer wiederholten Forderungen, ein paar „Hundertschaften“ gegen Asylanten einzusetzen und „drastische Strafen“ für jedes „unpatriotisches Verhalten“ einzuführen vollständig unakzeptabel und verstärken den Eindruck: Diese Bewegung hat einfache Parolen und Feindbilder, ist aber zutiefst widersprüchlich und ihr Erstarken eine Gefahr.

3. Und die Linke?

Theoretisch müsste sie sowohl gegen die Neonazis als auch den Sozialabbau in die Offensive gehen und versuchen, die Enttäuschung im Osten für soziale Proteste zu nutzen.

Ihre zwei größten Sammelbecken sind (A) die Linkspartei und (B) diffuse linke Gruppen.
Die Linkspartei hat im Osten ihre größte Stammwählerschaft und hatte acht Jahre lang gemeinsam mit der SPD die Regierungsverantwortung in Mecklenburg-Vorpommern inne. Dabei haben sie direkt geholfen, den G8 Gipfel mit all seinen Repressionen zu organisieren.

Die „linken Gruppen“ definieren sich häufig über ihre Gegnerschaft zu Nazis („Antifa“) und haben selten weiterreichende Ziele; gerade in Städten wie Rostock macht sich bemerkbar, wie sie die „Trends“ aus Berlin mit zweijähriger Verspätung übernehmen – was derzeit Solidarität mit Israel und Ablehnung von Muslimen und dem antiimperialistischen Kampf bedeutet – es ist nicht viel von diesen Kräften zu erwarten.
Die Aussichten auf Veränderungen sind also nicht gerade begeisternd. Gerade in den sozial schwachen Vierteln sind die Rechten sehr präsent, während die „Antifa“ oft aus wohlhabenden, gelangweilten Gymnasiasten besteht. Der Anteil der alten Menschen liegt in Ostdeutschland überproportional hoch, die wenigsten jungen Menschen haben vor, hier zu bleiben.