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… und es gibt ihn doch
12. Oktober 2009 - Wilhelm Langthaler

Nicht umsonst lag der Fokus der Weltpolitik wochen-, wenn nicht monatelang auf den Wahlen in der Islamischen Republik Anfang Juni 2009. Mit der Präsidentschaft Ahmadinedschads war der Iran für die USA abermals zum wichtigsten staatlichen Feind aufgestiegen. Das lag nicht nur an der konfliktfreudigen und bisweilen sogar verbal provokativen Politik des Präsidenten, sondern zu einem guten Teil auch an den Ereignissen im Irak, wo die USA dem Widerstand nur Herr zu werden vermochten, indem sie dem Iran das Feld überließen. Zudem konsolidierte sich die iranische Rolle als Schutzschirm für Widerstandsbewegungen wie der libanesischen Hisbollah und der palästinensischen Hamas. Es ist in erster Linie der Iran, der im Nahen Osten und damit auch global den imperialen Herrschaftsanspruch der USA herausfordert. Als Symbol dafür steht das iranische Nuklearprogramm, das Washington unter keinen Umständen zulassen darf, will es seine exklusive globale Macht erhalten.

Angesichts des irakischen Debakels waren die Neokons und Bush daran gescheitert, ihr iranisches Problem mit kriegerischen Mitteln anzugehen, trotz einer mächtigen Kampagne innerhalb des US-Regimes. Entsprechend hoffte man in Washington, dass sich bei den Präsidentschaftswahlen die eher prowestlichen Kräfte in der Islamischen Republik durchsetzen würden. Die USA hätten den Iran als Regionalmacht akzeptiert, im Gegenzug hätte dieser auf die Unterstützung für antiimperialistische Bewegungen in der Region verzichtet, so das Kalkül.

Die weltweite mediale Kampagne für die „Reformer“ wurde in einer Weise geführt, die deren Wahlsieg bereits vorab als unverrückbare Gegebenheit präsentierte. Dabei mag auch eine Rolle gespielt haben, dass es im Iran bereits historisch, aber ironischerweise vor allen Dank des durch die Revolution etablierten Bildungswesens, eine außergewöhnlich breite Bildungsschicht gibt. Diese ist eng mit Millionen Emigranten in den USA und Europa aus eben diesen Schichten verbunden, die eine Verwestlichung für den Iran anstreben. Gegenseitig schaukelten sie sich in der Gewissheit auf, dass sie die Mehrheit des iranischen Volkes repräsentieren würden.

Schlag ins Gesicht

Die Abfuhr, die ihnen bei den Wahlen dann erteilt wurde, traf sie unerwartet wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Verlierer war in erster Linie der Westen, denn die dezidiert antiwestliche Linie Ahmadinedschad wurde erdrutschartig bestätigt. In zweiter Linie stellten die Wahlergebnisse einen Dämpfer für die prowestliche Bildungsschicht dar, die schmerzlich erleben musste, wie isoliert sie von der breiten Masse der Bevölkerung ist. (Dass das nicht immer so war, beweist die Tatsache, dass der „Reformer“ Khatami in den 1990er Jahren ähnliche Wahlerfolge verzeichnen durfte, wenn auch nicht mit der gleichen massiven Wahlbeteiligung von 85%, wovon die meisten westlichen Länder nur träumen können.) Und drittens gereichte Ahmadinedschads Wahlerfolg auch jenem Teil der Klerikerelite zum Schock, die eine Normalisierung mit dem Westen auf Schiene bringen will.

Als was der Wahlerfolg Ahmadinedschads indes nicht interpretiert werden darf, ist eine glatte Bestätigung des klerikalen Establishments. Tatsächlich vertritt der Präsident eher eine Außenseiterposition, was sich schon darin zeigt, dass er nicht dem Klerus angehört. Vielmehr rechnet man ihn einer millenaristischen Strömung zu, der Hojatiyya, welche die von Khomeini etablierte theologische Legitimation der Islamischen Republik, das Filayat-e Fakih, die Herrschaft der Rechtsgelehrten, ablehnt. Khomeini hatte die Organisation seinerzeit sogar verbieten lassen.

Was der Westen und sein kollektives politisches Gehirn für die Massen, der Medienapparat, nicht verstehen kann und will, ist, dass Ahmadinedschad eine Form des Protests im Volk gegen das Establishment kanalisiert. Ein Protest, der jedoch nicht gegen das Regime als ganzes gerichtet ist, sondern durch Reformversprechen kanalisiert wird (dazu später mehr).

In einem gewissen Sinn löste Ahmadinedschad die „Reformer“ auf ihrem Terrain ab, die auf der Basis der gleichen Unzufriedenheit rund ein Jahrzehnt lang den wählbaren politischen Apparat des Irans besetzten – und kläglich daran scheiterten die durch ihre Versprechungen erzeugten Erwartungen zu erfüllen.

Entsprechend dem allzu simplen westlichen Narrativ mag es paradox erscheinen, doch tatsächlich entbehrt es nicht einer gewissen politischen Logik, wenn sich die ehemaligen „Reformer“ heute mit dem Herz des Establishments verbünden, personifiziert durch Rafsandschani, der nicht zufällig seines Zeichens als reichster Mann des Landes gilt. Beide treten sie im Kern für wirtschaftsliberale Reformen und einen Modus vivendi mit dem Westen ein. Die Differenzen über die kulturelle und politische Liberalisierung erscheinen darüber sekundär.

Wahlbetrug?

Die Antwort der großen Koalition Westen-Mittelschichtsbewegung-Wirtschaftsestablishment kam postwendend: Wahlbetrug! Was nicht sein darf, kann nicht sein.

Wir wollen uns mit den vermeintlich kriminalistischen Aspekten der Frage nur am Rande auseinandersetzen, denn die Debatte verstellt die Sicht auf die politische Plausibilität des Wahlsiegs Ahmadinedschads. Außerdem gibt es genügend gute Dokumentationen, die die Unhaltbarkeit der Vorwürfe belegen.

Nur ein Beispiel mit welch unlauteren Methoden eine so alterwürdige Zeitung wie die „New York Times“ arbeiten. Die Sache erinnert stark an die falsche Übersetzung, die Ahmadinedschad den Satz unterstellt, er wolle Israel von der Landkarte tilgen. Am 23. Juni 2009 berichtete die „New York Times“, dass der Wächterrat eingeräumt hätte, dass „in 50 Städten die abgegebenen Stimmen die Zahl der Wahlberechtigten um 3 Millionen“ übersteigen würden. Ein klareres Eingeständnis des Betrugs wäre kaum vorstellbar. Tatsächlich heißt es in der Stellungnahme des Wächterrats vom 22. Juni auf den Vorwurf reagierend, dass in bestimmten Städten mehr Stimmen als überhaupt möglich abgegeben worden wären: „Die Gesamtzahl an Stimmen in den betreffenden Städten beträgt rund drei Millionen. Selbst wenn man alle diese Stimmen annullieren würde, änderte sich das Gesamtergebnis nicht.“ Zwischen Gesamtzahl und über die Zahl der Wahlberechtigten hinausgehende Zahl der abgegebenen Stimmen bleibt doch ein erheblicher Unterschied. Zudem muss man wissen, dass es kein an ein Melderegister gebundenes Wahlrecht gibt. Jeder Wahlberechtigte kann überall wählen. Nun aber zu den eigentlich politischen Argumenten.

Ahmadinedschad gewann 2005 die Präsidentschaftswahlen gegen Rafsandschani in ähnlichen Relationen. Er oder ihm zugerechnete Kräfte gewannen zwischenzeitlich immer wieder Wahlen. Was wäre so verwunderlich daran, wenn er diesmal abermals gewonnen hätte, überhaupt wenn man die sozio-politischen Frontstellungen in Rechnung stellt?

Zudem gibt es eine erstaunliche westliche Meinungsumfrage, die von einem Institut namens „Terror Free Tomorrow: The Center for Public Opinion“ (CPO) durchgeführt und durch den „Rockefeller Brothers Fund“ finanziert wurde. Diese sagte den überwältigenden Wahlsieg Ahmadinedschads glatt voraus. In einem Interview mit der „Washington Post“ nach den Wahlen bestätigten die Studienautoren abermals die Plausibilität der Wahlergebnisse. Der Geldgeber lässt indes auf keine Parteilichkeit für den verfemten Präsidenten schließen, um so mehr als das gleiche Institut zuvor schon einige Untersuchungen für BBC und ABC durchgeführt hatte.

Stalin soll einmal gesagt haben, dass nur wichtig sei, wer die Stimmen zähle und nicht wer sie abgäbe. Hätte der iranische Staatsapparat überhaupt die Möglichkeit einen so gigantischen Wahlbetrug durchzuführen, wo es nicht um einige Prozentpunkte, sondern um die Hälfte aller abgegebenen Stimme geht? Auf der Ebene der Wahllokale waren allerorts Beobachter aller Kandidaten zugelassen, was einen Betrug dieses Ausmaßes unmöglich macht. Insgesamt ist der gesamte Staats- und Verwaltungsapparat, vielleicht abgesehen von den paramilitärischen Einheiten, durch einen heftigen Fraktionskampf gekennzeichnet, der sich durch alle Ebenen zieht. Unter solchen Bedingungen kann auch in der Zentrale eine solche maßlose Fälschung nicht durchgeführt werden. Diese setzte die vollständige Kontrolle über den Apparat voraus, über die Ahmadinedschad nicht einmal annähernd verfügt.

Gerade die Tatsache, dass solche Wahlen überhaupt zustande kommen können, bringt die Spaltung des Regimes zum Ausdruck. Die Kandidaten werden durch den Wächterrat, ein nicht durch Volkswahl bestimmtes Gremien, geprüft und zugelassen. Es wäre formal möglich gewesen, die Kandidaten der „Reformer“ von der Wahl überhaupt auszuschließen und so die gefährliche Konfrontation im Gefolge des Urnengangs hintanzuhalten. Das geschah offensichtlich aufgrund der politischen Kräfteverhältnisse nicht. Das Regime scheint also auf die Legitimation durch das Votum des Volkes nicht verzichten zu wollen.

Unter dem Strich ergibt sich, dass bei den Wahlen im Iran mehr zur Wahl steht, als bei jeder Wahl im Westen. Bei hiesigen Wahlen darf man getrost von der Faustregel ausgehen, dass, je heftiger sich die Kandidaten attackieren, desto geringer ihre inhaltlichen Unterschiede sind. Nachdem die herrschenden Eliten Wirtschaft, Politik, Medien, Kultur usw. fest im Griff haben, was sich auch durch Wahlen nicht ändern lässt, verliert die Masse immer mehr die Motivation ihre bedeutungslosen Stimmen überhaupt abzugeben.

Die extreme hohe Wahlbeteilung im Iran von rund 85% weist auf die inhaltliche Bedeutung der Wahlen hin. Die Zulassung dieser Divergenz zeigt de facto mehr demokratischen Spielraum an, als er im Westen zur Verfügung steht. Ganz zu schweigen von Saudiarabien und Ägypten, den wichtigsten Verbündeten des Westens in der Region, die keine Wahlen zulassen. Demokratiedefizite stehen dort allerdings in keinem Widerspruch zu „unseren Werten“, sondern tun das offensichtlich nur in jenem Land des Nahen Ostens, das demokratische Wahlen zulässt, insofern tatsächlich etwas zur Wahl steht.

Die Grüne Bewegung als Hebel des Westens

Singende Massen, tanzende Männer und geschminkte Frauen, deren Haar nur notdürftig durch ein grünes Tuch verdeckt wird. So lässt sich leicht ein medialer Hype über die Demokratiebewegung produzieren, die sich endlich gegen die finsteren und lustfeindlichen Radikal-Islamisten aufzustehen getraut, die zudem den Holocaust zu wiederholen drohen. Es besteht kein Zweifel, hier rebelliert die westliche Kultur und Demokratie, ja der dominante Linksliberalismus gegen den mittelalterlichen Islam. Wer könnte da noch die Unterstützung verweigern?

Zentrum der Bewegung ist der gebildete Mittelstand vor allem aus der Hauptstadt. Geführt von den Studenten geht es der Bewegung im Wesentlichen um eine kulturelle Liberalisierung gegen eine allzu rigide und konservative Interpretation des Islam. Sie verlangen nach mehr demokratischem Spielraum, nach dem Recht auf Meinungsäußerung und natürlich auch nach wirtschaftlichen Perspektiven. Die Islamische Republik machte höhere Bildung breiten Massen zugänglich, ohne ihnen in der Folge auch standesgemäße Beschäftigung bieten zu können.

Die Forderungen sind nicht nur verständlich, sondern zweifellos für sich genommen auch legitim. Das enthebt uns jedoch nicht der Aufgabe, sie in ihrem gesellschaftlichen und globalen Kontext zu verstehen. Die Tatsache, dass die Bewegung weder von der globalen kapitalistischen Elite, noch von dem von dieser vertretenen Wirtschaftsliberalismus Distanz hält, muss stutzig machen. Unweigerlich drängt sich die Einreihung der „grünen Revolutionen“ in die Serie der „farbigen Umstürze“ auf, erprobt zuerst gegen das widerspenstige Serbien, dann erfolgreich angewandt im NGO-Stil vor allem durch die Apparate der US-Außenpolitik gegen unliebsame Regierungen beispielsweise mittels der „orangen Revolution“ in der Ukraine oder der „Rosenrevolution“ in Georgien.

Unbestreitbare Tatsache ist jedenfalls, dass sich nicht nur der gesamte Westen hinter die Bewegung gestellt hat (der solche Entscheidungen üblicherweise nicht aus philantropisch-demokratischer Motivation trifft), sondern auch gewichtige Teile des Establishments und des Klerus. Dabei kommt die entscheidende Rolle nicht dem unterlegenen Kandidaten Mussawi zu, sondern dem Schwergewicht Rafsandschani, dem Ahmadinedschad seit Anbeginn an ein Dorn im Auge ist.

Rafsandschani & Co geht es weniger um Demokratie – die hatten sie in der Vergangenheit genauso missachtet –, sondern vor allem um eine Politik zugunsten der Wirtschaftselite, die aber keineswegs den Rahmen der Islamischen Republik sprengen soll. Die Bewegung selbst tendierte indes überhaupt weg vom islamischen Regime kontrolliert durch den Klerus. Die persischen Bildungsschichten zeichnen sich durch einen sehr starken Laizismus aus, der, obwohl nicht opportun, immer klar durchscheint. Angesichts dieser Stoßrichtung, die den prokapitalistischen Klerus in letzter Konsequenz selbst in Frage stellen würde, sowie der sichtbaren Aussichtslosigkeit ihrer Umsturzversuche zog dieser letztlich die Notbremse und ließ die Bewegung fallen. Rafsandschani tauchte einige Zeit ab, überließ Mussawi seinem Schicksal und kehrte zum institutionellen Weg zurück. Aber auch von der anderen Seite riskiert Mussawi im Regen stehen gelassen zu werden. Denn er hält formal am Vilayet-e Faqih fest, was gerade beim Mittelstand Stein des Anstoßes ist.

Ahmadinedschad konnte die Bewegung mit relativ dosierter Gewaltanwendung zum Schweigen bringen. In der westlichen Presse ist von knapp 20 Toten und mehreren Tausend Verhafteten, Folter etc. die Rede. Nicht nur im Vergleich mit der Geschichte der Islamischen Republik ist das moderat. Ein Indianeraufstand in Peru, der in etwa zur gleichen Zeit stattfand, soll nach westlichen Berichten sogar mehr Tote gefordert haben. Dabei ging es im Gegensatz zum Iran keineswegs um die Macht im Staat, sondern um einen durchaus regional begrenzten Konflikt. Lokale Hungerunruhen in Dritte-Welt-Ländern fordern schnell einmal ein paar Dutzend Tote, die der westlichen Medienmaschine meist nicht einmal eine Kurzmeldung wert sind. Im verbündeten Ägypten gehört das zum täglichen Brot der Polizeiarbeit, ebenso wie die Folter in Gefängnissen.

Es ist eine Fehleinschätzung und Anmaßung der Köpfe der Bewegung, die Mehrheit der Bevölkerung zu repräsentieren – eine typische mittelständische Selbsttäuschung, die nur unter Ausblendung der sozio-politischen Verhältnisse möglich ist. Man hält sich selbst für aufgeklärt und kann sich nicht erklären, warum die ungebildeten Massen der Weisheit letzten Schluss nicht folgen.

Wenn Demokratie als abstrakte Forderung erhoben wird, ohne explizite Abgrenzung zum Imperialismus und zur kapitalistischen Wirtschaftselite, und wenn sie sich gegen ein Regime richtet, das in einem akuten Konflikt mit dem Westen steht, dann dient die Bewegung ungewollt (bisweilen auch gewollt) den Interessen des Westens. Während die breite Bevölkerung ihren Unmut gegen die Wirtschaftselite und den Imperialismus in islamischer Form äußert, protestieren die Studenten vor allem gegen die islamisch legitimierte Rigidität des Regimes und nehmen dabei die Unterstützung des Westens und der Wirtschaftselite gerne an.

Denn trotz vermeintlicher linker Beteiligung an der Bewegung, geht es dieser nicht so sehr um Volksmacht und eine kollektive Wirtschaft- und Lebensweise. Wie der Mittelstand im Rest der kapitalistischen Welt, haben sie genug vom politischen Aktivismus und wollen sich amüsieren und konsumieren. Die Straffreistellung des vorehelichen Geschlechtsverkehrs ist daher wichtiger als der Kampf gegen den Imperialismus. Oder in „linker“, politisch-korrekter Diktion, die im Iran nicht weniger Verbreitung hat als bei uns: Bei der Bekämpfung des „islamischen Faschismus“ ist jeder Verbündete recht.

Heftiger Fraktionskampf

Der Wahlerfolg Ahmadinedschads hat seine plebejisch-militärisch-antiimperialistische Fraktion sicher unmittelbar gestärkt. Die liberale Mittelstandsbewegung konnte niedergeschlagen, die prokapitalistische Fraktion des Establishments in die Schranken gewiesen werden. Selbst Familienmitglieder des Rafsandschani-Klans wurden kurzzeitig verhaftet und prominente Exponenten der Establishments, die die Bewegung unterstützten, wie der ehemalige Vizepräsident Abtahi, in einem Schauprozess gedemütigt.

Doch Ahmadinedschad darf sich seiner Macht nicht zu sicher sein. Nicht nur weil er da und dort über die Stränge geschlagen haben dürfte, wie beispielsweise bei der missglückten Ernennung des Vizepräsidenten Meshaie. Dieser stammt ebenfalls aus der Hojatiyya. Deren institutionelle Stärkung wollte das religiöse Oberhaupt Khameini, der sonst Ahmadinedschad unterstützt hatte, offensichtlich nicht dulden. Dabei handelt es sich nur um eine kleine Episode, die aber deutlich zeigt, dass sich große Teile des Klerus mit Ahmadinedschad nicht wohl fühlen, selbst wenn sie aus Kulturkonservativismus die „Reformer“ ablehnen. Der Widerstand großer Teile des Parlaments gegen die Regierungsbildung durch Ahmadinedschad legt von seinen Schwierigkeiten bei der Kontrolle des Staatsapparats Zeugnis ab.

Im Kern geht es um die soziale und antiimperialistische Tradition, die auf die Revolution zurückgeht und immer ein mehr oder weniger starkes Moment der Islamischen Republik war und ist. Ahmadinedschad versucht diese in seiner Art anzusprechen und zu mobilisieren, was mit dem tatsächlich kapitalistischen Establishment aus Klerus, Bazar und staatsnahen Großbetrieben massiv in Konflikt gerät. Diese wollen die Islamische Republik als kapitalistische Regionalmacht unter Vermeidung eines offenen Konflikts mit dem Westen positionieren. Auch wenn Rafsandschani es nicht offen sagen kann, so schrieen es doch seine Anhänger anlässlich seiner ersten Freitagspredigt nach den Ereignissen in die Welt hinaus. Gegen das offizielle „Tod Amerika“ skandierten sie „Tod Russland, Tod China“.

Dementsprechend hat sich das Establishment von Anfang an gegen die Wirtschaftspolitik Ahmadinedschads aufgelehnt. Obwohl er hie und da auch radikale Versprechungen machte, wie die Verteilung des Bodens der Pistazienpflanzer (eine persönliche Spitze gegen Rafsandschani, der die Nr. 1 dieser Zunft ist), so scheinen diese rhetorischen Ausritte eher populistische Funktion zu haben. Ihm schweben keine radikalen Eingriffe in die Eigentumsverhältnisse vor, sondern es geht vor allem um die breitere Verteilung der Ölrente. Die wichtigsten Maßnahmen bestehen daher in billigen Krediten für Kleinproduzenten und -konsumenten, Transferleistungen sowie Preissubventionen für Brennstoffe und andere Güter des täglichen Bedarfs (in einem gewissen Sinn Chávez light). Gerade die Preisstützungen stehen unter heftigem Druck der iranischen Wirtschaftsliberalen und wurden immer wieder beschnitten. So moderat die Positionierungen des Präsidenten erscheinen mögen, kombiniert mit den verbalen Attacken auf das Wirtschaftsestablishment reichen sie aus, um die mit der wirtschaftlichen Situation unzufriedene Armut anzusprechen.

Die Rafsandschani-Leute greifen ihrerseits Ahmadinedschad wegen der hohen Inflation an, die durch die Ausschüttung der staatlichen Ölgelder angeheizt wird. Sie behaupten, die Inflation schade am meisten den Armen. Gleichzeitig zeigt jedoch die heftige Debatte über den Artikel 44 der Verfassung, die eine „halbstaatliche Wirtschaft“ vorsieht, aus welcher Richtung der Wind weht. Privatisierung, Förderung von Leistung, Abbau von unproduktiven Subventionen, Liberalisierung des Handels – alles altbekannte Rezepte, so ungewöhnlich sie auch aus dem Mund von Ajatollahs klingen mögen. Für den Westen jedenfalls besser als nichts.

In diesen sozioökonomischen Fragen bilden Klerus, Wirtschaftselite sowie die bewaffneten Kräfte, also das reale Establishment, über alle anderen Differenzen hinweg einen ziemlich geschlossenen Block. Es stellt sich die Frage, wie weit Ahmadinedschad Maßnahmen setzen kann und will, die den Interessen des Establishments wirklich entgegenlaufen und nicht nur Elemente des Kleinkriegs der verschiedenen Fraktionen untereinander betreffen.

So darf nicht vergessen werden, dass des Präsidenten Hauptstütze die Pasdaran, die Garde der Revolutionswächter, sind. Diese profitierten massiv von den Privatisierungen und spielen eine zentrale Rolle in allen Sektoren der Wirtschaft, einschließlich des Schmuggels und der Mafia. Sie mögen die antiimperialistische und nationalistische Tradition der Revolution verkörpern, die Interessen der Armut vertreten sie nicht oder nur soweit populistisch entschärfbar.

(Diese kurze sozioökonomische Skizze bleibt sicher grob. Doch es ist bezeichnend, dass die Kohorten iranischer Exillinker, desto sie mehr auf Marx pochen, desto weniger in der Lage sind, auch nur Elemente einer Interpretation des Fraktionskampfes zu liefern. Für sie sind alle Teile des Regimes gleichermaßen reaktionär-kapitalistisch bis faschistisch.)

Gratwanderung

Die Grenzen und Schwierigkeiten von Ahmadinedschads Antiimperialismus zeichnen sich also klar ab. So sehr er die soziale Komponente der Tradition der Revolution anzusprechen vermag, so sehr muss sie populistisch bleiben, um die Unterstützung der Pasdaran und damit eines entscheidenden Teil des Establishments nicht zu verlieren. Ahmadinedschad ist ein domestizierter Rebell, mit einem Fuß Teil des Establishments, während er mit dem anderen mit den Massen spielt, was mit heißer Luft allein mittelfristig nicht möglich sein wird.

Zudem tut die weitere Akzentuierung der Verschmelzung von islamischem Kulturkonservativismus und Antiimperialismus nicht gut, sondern verkleinert eher dessen Unterstützerbasis. Darüber hinaus drängt eine derartige Politik die ehemalige Linke, auch die islamische Linke mit den Wirtschaftsliberalen zusammen und beide Richtung Imperialismus. Der fast totale Verlust der Bildungsschichten ist auf Dauer für das Regime eine Katastrophe. Kurz gesagt, Ahmadinedschad handelt allen von Gramsci aufgestellten Regeln zur Erlangung der Hegemonie entgegen.

Seine Stärke bleibt die Verbindung von sozialen Interessen der Unterklassen (wenn auch populistisch) mit dem Antiimperialismus und Nationalismus, die im Iran konsensfähig bleiben. Darum auch der Hass, mit dem er vom Westen verfolgt wird.

Ansatz einer sozialrevolutionären Linken kann es nicht sein, dem fatalen Beispiel der iranischen Linken folgend, das repressive Regime im Namen der Demokratie auf antiislamisch-säkularistischer Basis anzugreifen – sei es gar mit der Hilfe des Imperialismus. Vielmehr muss am antiimperialistischen und auch sozialen Element angeknüpft werden, die nun einmal aus historischen Gründen mit dem Islam verheiratet wurden. Hier muss angetrieben und die Umsetzung eingefordert werden, die Unzulänglichkeiten und Halbheiten aufgezeigt und schließlich auch Demokratie und kulturelle Freiheiten (nicht zuletzt auch für die nationalen Minderheiten) verlangt werden. Statt ausschließend muss auf eine einschließende und tolerante Formulierung des Islam hingewirkt werden. Ali Shariati würde sich da als Traditionsstrang anbieten.

Einzige Eintrittskarte bleibt aber der Antiimperialismus. Unser Vorschlag ist das antiimperialistische Moment des Regimes als (schwierigen) Bündnispartner zu verstehen. Diese eindeutige Positionierung würde die Voraussetzung für offene Kritik und letztlich auch eine echte sozialrevolutionäre Opposition schaffen.

Obama und Krieg

Unmittelbar besteht keine Kriegsgefahr. Obamas Signal an die Welt war, die Aggression zu stoppen. Unseres Erachtens kann diese Ankündigung, so sehr sie unmittelbar wirkt, nur rhetorisch, substanzlos bleiben, denn es gibt eine innere Logik der imperialen Macht, der unter Strafe des Machtverlusts zu folgen ist.

Vorerst hat der Iran im langjährigen Ringkampf zwei Punkte gemacht, einerseits der schrittweise aber unaufhaltsame Ausbau des Einflusses im Irak, andererseits die Widerwahl Ahmadinedschads, die den regionalen und antiimperialistischen Anspruch Persiens festschreibt.

All das bleibt für die USA letztlich inakzeptabel, insbesondere das Atomprogramm, auch wenn sie gegenwärtig unmittelbar nicht dagegen einschreiten kann. Obama wird die Karten im Verhandlungspoker neu verteilen, aber der Einsatz bleibt der gleiche. Nach und nach wird er den Strick enger ziehen und – sollte der Iran nicht nachgeben, was unter Ahmadinedschad unwahrscheinlich ist – die Eskalationsspirale treiben. Die Mittel sind wohlbekannt: wirtschaftliche Sanktionen und letztlich militärische Macht. Denn ein potentiell mit Atomwaffen ausgestatteter Iran wäre vermutlich der Todesstoß für die bereits schwer gebeutelte monopolare Weltordnung. Den Anwärtern in den Startlöchern für die Positionen regionaler Zentren kann der iranische Vorstoß nur recht sein, solange sie es nicht selbst tun müssen. Daher unterstützten sie allesamt Ahmadinedschad, selbst Brasiliens Lula.

Dabei kommt auch für Obama ein weiterer, schwer berechenbarer Störfaktor dazu: Israel und die zionistische Lobby im US-Regime selbst. Diese wollen unter allen Umständen eine baldige militärische Ausschaltung des iranischen Nuklearprogramms. Diesbezügliche militärische Muskelspiele führt Israel immer wieder durch. Wohlplatzierten Medienberichten zur Folge erlangte es auch die Genehmigung Ägyptens zur Nutzung des Suezkanals und Saudiarabiens zum Überflug seines Territoriums. Rein militärisch scheint Israel für so einen begrenzten Militärschlag fähig zu sein. Sie könnten dies auch ohne direkte Zustimmung der USA tun, wohl wissend, dass sie damit ihren Großen Bruder unter Zugzwang setzen.

Die Implikationen für das iranische Regime und die daraus abzuleitenden Maßnahmen können aus heutiger Sicht nur schwer abgeschätzt werden. Man könnte zu dem Schluss kommen, dass man Zeit habe und die Behauptung der Fortsetzung des Nuklearprogramms ausreiche. Um keine Blöße zu zeigen und der antiimperialistischen Rhetorik Genüge zu tun, könnte man aber auch zu einem in der ganzen islamischen Welt populären Raketenangriff auf Israel greifen. Ein Eingreifen der USA auf viel höherer Stufenleiter wäre wahrscheinlich, denn Israel bleibt unantastbar.

Trotz gegenteiliger Versprechungen kann der Wahlmonarch Obama sein Reich nur erhalten, wenn er Krieg führt, zumal in der Wirtschaftskrise, die alle globalen Konflikte verschärft. Denn die militärische Überlegenheit bleibt der letzte und stärkste Trumpf Amerikas.

Der imperialistische Krieg bietet aber gleichzeitig die einfachste Arena für den Eintritt der subalternen Massen in eine aktive Rolle in der Geschichte, wie man zuletzt im Irak sah. Die Islamische Republik wird ihrer jedenfalls bedürfen, um sich zu verteidigen.