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Kasinokapitalismus am Wörthersee
6. März 2010 - Stefan Hirsch, Reinhard Loidl

Das Wochenende vom 11. bis 13. Dezember 2009 und der darauffolgende Montag bescherten uns ein Lehrstück in der realen Verfasstheit der österreichischen Politik. Auf der Agenda stand die Entscheidung über die Zukunft der Hypo-Alpe-Adria (HAA) und unbestritten war, dass die Kärntner Großbank per Jahresende Konkurs anmelden müsse, sofern die Eigentümer die massiven Verluste nicht durch neues Kapital abdecken oder der österreichische Staat die Bank auffangen würden.

Das Ergebnis der von Finanzminister Pröll, der Kärntner Landesregierung und den (bisherigen) Eigentümern Bayrische Landesbank und Grazer Wechselseitige Versicherung geführten Verhandlungen ist bekannt – die Republik Österreich übernimmt die Hypo Alpe Adria und damit all ihre Verluste.

Dieses Ergebnis mag nicht überraschen, auch wenn es den vollmundigen Aussagen der Spitzenpolitiker in den Wochen davor diametral widerspricht:
„Es besteht nicht die geringste Absicht, den Steuerzahler für die HAA zur Kasse zu bieten“ (Pröll Ende November im Kurier).

„Die sollen sich nicht spielen. Es gibt kein Szenario, in dem der Bund mir nichts dir nichts die Probleme anderer löst.“ (Finanzstaatssekretär Schieder, SPÖ, in Richtung BayernLB)

„Es kann nicht angehen, dass alles privat sei, so lange es gut gehe, und wenn es schlecht laufe, der Staat dran sei. Die Eigentümer sind am Zug… Dass uns einfach etwas herübergeschoben wird, kann es nicht sein!“ (Bundeskanzler Faymann noch am 9. 12. 2009)

Wie anders klang das bereits fünf Tage später: „Die von Finanzminister Josef Pröll ausverhandelte Lösung hat unabsehbare Schäden vom Land Kärnten und von der Republik Österreich abgewendet… Die Funktionsfähigkeit der Kärntner Wirtschaft konnte erhalten werden.“ (Faymann am 14. 12. 2009)

Dass den Mündern der Machtelite lediglich Lügen entspringen, ist uns bekannt und die Entscheidung zur HAA kann im Kern deshalb nicht überraschen, weil klar ist und war, dass für die Machtelite der Schutz des Kapitals die alles überragende Leitschnur darstellt. Die Details dieses Wahnsinns sind dennoch wert, genauer betrachtet zu werden, weil sie einen neuen Tiefpunkt der österreichischen Politik markieren.

Hauptgewinner der Entscheidung ist eindeutig das Land Kärnten bzw. dessen Landesregierung. Da das Land für Ausfälle bis zu einer Höhe von 13 Mrd. Euro im Fall der HAA bürgte, wäre Kärnten im Falle einer Insolvenz weitestgehend zur Kasse gebeten worden. Die weiteren Profiteure sind die großen Gläubiger der HAA, die bei einer Insolvenz viel verloren hätten und die bei der jetzigen Lösung nicht einen Cent zu der Sanierung beitragen müssen. (Eine Reduktion von Schulden – so genannte „haircuts“ – waren früher einmal üblich, bevor der Staat zu einem Selbstbedienungsladen der Oligarchie wurde.) Diese Gläubiger muss man im Bereich der heimischen Großbanken suchen, auch wenn Details nicht bekannt sind.

Welche Verlusthöhe sich der österreichische Staat hat umhängen lassen, ist zumindest in der Größenordnung inzwischen bekannt: ca. drei Milliarden Euro. Daraus könnten aber auch mehr werden – mehr dazu später.
In der Folge die am 14. Dezember 2009 verlautbarte Lösung (die ein Lügengebäude darstellt – dazu im Weiteren): Das Land Kärnten, so die offizielle Darstellung, würde 200 Mio. Euro bis Mai 2010 einbringen, die BayernLB 825 Mio. Euro und die Grazer Wechselseitige 30 Mio. Euro.

Bereits am 14. Dezember fiel auf, dass die Medienberichte deutscher Zeitungen im Punkt des Beitrags der BayernLB völlig der Darstellung der österreichischen Regierung (und zu dem Zeitpunkt auch der österreichischen Medien) widersprachen. Die deutschen Medien verneinten, dass die BayernLB weitere 825 Mio. Euro zuschießen würden, sondern berichteten, dass die BayernLB Forderungen an die Tochter HAA in dieser Höhe hätte, auf die sie verzichtet hatte.

Diese konträre Darstellung muss auch österreichische Medien zur Recherche veranlasst haben, denn am Abend des 14. Dezember korrigierte beispielsweise der Standard seine Berichterstattung und schloss sich der deutschen Darstellung an.

Was vielleicht unspektakulär klingt, ist jedoch ein Unterschied wie Tag und Nacht. Im Insolvenz​fall der HAA hätten sich die Forderungen der BayernLB gegen ihre Tochter an die Konkursmasse gerichtet. Das heißt, die BayernLB hätte ohnehin kaum etwas von den 825 Mio. zu Gesicht bekommen. De facto war also der Beitrag der BayernLB null. Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon nahm dies dankbarst zur Kenntnis: „Ich bin der Republik Österreich zu Dank verpflichtet, in Stellvertretung für die Steuerzahler in Bayern.“
Noch abenteuerlicher stellen sich die Lügen Josef Prölls im Falle des Kärntner Beitrags dar. Wer sich die Mühe macht, die Vereinbarung mit Kärnten im Detail anzusehen, stellt fest, dass das Land Kärnten die zugesagten 200 Mio. zum überwiegenden Teil aufbringen will, indem „Risikoprovisionen dafür verwendet werden“.

Der Begriff „Risikoprovisionen“ macht stutzig. Wer bezahlt diese? Anzunehmen wäre für den rechtlich Uneingeweihten, dass derjenige, für den gebürgt wird, Risikoprovisionen an den Bürgen zahlt. Die Recherche ergab Konträres: Das Land Kärnten erhielt laut geltendem Recht im Sinne des Finanzausgleichs diese Risikoprovisionen vom Bund als Abgeltung dafür, diese Bürgschaften übernommen zu haben.
Ergo: Der Beitrag des Landes Kärnten zur Rettung der HAA ist ebenfalls null. Es handelt sich großteils um Beträge, die das Land vom Bund erhielt und jetzt wieder dem Bund zurückgibt.

In schönster Kärntner Art ergoss sich am 14. und 15. Dezember zynische Häme über Restösterreich. Landeshauptmann Dörfler und VP-Finanzlandesrat Martinz feierten, dass sie „wieder eine Abwehrschlacht gegen Wien gewonnen hätten“ (Zitat). Und setzten am Folgetag noch darauf: „Wir sind nicht so neger, wie man glaubt! Experten sagen: Kärnten war zweimal Sieger, einmal beim Verkauf der Hypo und auch jetzt.“ (Zitat Dörfler)

Zumindest eine weitere massive Lüge Josef Prölls muss man klar entlarven: Es wäre nicht machbar gewesen, das Land Kärnten in die Insolvenz schlittern zu lassen. Richtig ist, dass aufgrund der Kärntner Bürgschaft im Falle der Insolvenz der HAA diese mit Sicherheit eine Zahlungsunfähigkeit des Landes nach sich gezogen hätte. Aber eine öffentliche Körperschaft ist kein Privatunternehmen, dessen Bestand einfach gelöscht werden kann. Es waren bereits andere öffentliche Körperschaften insolvent, beispielsweise New York City in den 1970er Jahren. Deshalb sperrt kein Landtag zu, kein Krankenhaus und keine Schule!

Auswirkung wäre vielmehr gewesen, dass ein insolventes Land Kärnten kommissarisch vom Bund zwangsverwaltet worden wäre. Welch schöne Gelegenheit hätte diese Situation geboten, als Minimalschritt die Einhaltung der Verfassung durch Kärnten durchzusetzen. Warum ging die Entscheidung so eindeutig in die Gegenrichtung? Die Beantwortung dieser Frage macht die Interessenslage der österreichischen Elitenpolitik klar:

Das Land Kärnten in politische Schwierigkeiten zu bringen, ist von der Bundesregierung nicht gewünscht. Besonders die ÖVP bezieht ihre Macht überwiegend aus den Ländern und diese wären gegen eine kommissarische Verwaltung Kärntens Sturm gelaufen. Außerdem, das zeigten die Vorgänge um die Verschmelzung der Scheuch’schen Freiheitlichen Partei Kärntens (FPK) mit Straches FPÖ, will sich die ÖVP das ultrarechte Lager als möglichen Koalitionspartner erhalten. Zumindest will man deren Wählerschaft nicht verprellen.

Eine Insolvenz der HAA hätte das Großkapital in Österreich getroffen. Die Erste Bank und die Raiffeisen waren Hauptkreditgeber der HAA. Die Industriellenvereinigung in Gestalt Veit Sorgers lobbyierte massiv für eine Übernahme der HAA durch die Republik. Ob finanzielle oder politische Interessen dafür stärker ausschlaggebend waren, lässt sich nur vermuten. Immerhin gilt Veit Sorger bereits seit langem als dem BZÖ nahestehend.

Die Grazer Wechselseitige steht unter Kontrolle des Hochadels und der Katholischen Kirche (Aufsichtsratsvorsitzender ist Bruno Hubl, Abt von Stift Admont, Vize Philipp Meran und Franz Harnoncourt-Unverzagt), die wiederum den Schutz der ÖVP genießen.

Man muss kein Schelm sein, um zu vermuten, dass es sehr viel schwieriger werden wird, strafrechtliche Verstöße im Falle der HAA aufzudecken, wenn Eigentümer und Vorgesetzter der Staatsanwaltschaft dieselbe Körperschaft ist – nämlich der Bund.

Und es fanden offenbar massive Gesetzesbrüche statt. Bekannt wurde bislang augenscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. So zahlte die HAA Schmiergelder an den ehemaligen kroatischen Premier Sanader sowie an den Zagreber Bürgermeister Milan Bandic und finanzierte die HDZ (die konservative „Kroatische Demokratische Union“, gegründet von Tudjman).

Die HAA finanzierte die jeder Grundlage entbehrenden Immobiliengeschäfte der Ex-Generäle Vladimir Zagorec und Branimir Glavas mit 260 Mio. Euro. Zagorec sitzt inzwischen ein, Glavas flüchtete nach Bosnien.
Die HAA Tochter Hypo-Consultants wurde Mitte der 2000er mit 1,5 Mrd. Euro bewertet. Die HAA verkaufte diese Firma um 160 Mio. Euro, also zu fast einem Zehntel des Werts, an einen Kroaten (Name bislang unbekannt). Es dürfte zu massiven Geldrückflüssen an Einzelne gekommen sein, die sich bereicherten. Es scheint fast, als wäre die HAA das wesentliche Instrument gewesen, um die Mafiosi, die in den 1990er Jahren die kroatische Unabhängigkeit betrieben haben, zu unterstützen. Bürgerkrieg im Preis inklusive.

Immer dichter werden auch die Anzeichen dafür, dass der Verkauf des Mehrheitseigentums der HAA an die BayernLB mit Betrügereien gespickt war. Vermutlich ist dies auch die Ursache dafür, dass das Land Bayern und die BayernLB jetzt glimpflich aussteigen konnten. Der Verdacht liegt nahe, dass sie strafrechtlich relevante Vorfälle des damaligen Verkaufs kannten und damit Pröll unter Druck setzen konnten.
Insgesamt zeigt sich uns ein Bild, das noch weit über die auch anderswo üblichen Auswirkungen der Finanzkrise hinausgeht. Nicht nur, dass das Großkapital geschützt wird und die Allgemeinheit für die Malversationen aufkommen muss, im Falle Österreichs addieren sich noch dazu:

> Skandale und massive Betrügereien, die alle bisherigen Skandale der Zweiten Republik in den Schatten stellen;

> Eine seit Jahren verantwortungslos und unverschämt agierende politisch Ultrarechte, die von der ÖVP geschützt wird, verknüpft mit dem „Sonderfall Kärnten“, einem seit Jahrzehnten außerhalb der Rechtsstaatlichkeit agierenden Bundesland, das toleriert wird;

> Massive Lügen der Regierenden, die aufgrund der „Verhaberung“ („Haberer“= österreichisch für Freund, Kumpane) der Republik von den Medien nicht bloßgestellt werden und

> Eine SPÖ, die wiederum bestätigt, dass sie zu einem Teil nur mehr eine repräsentative und keinerlei aktiv gestaltende Rolle im Staat spielt oder Verantwortung übernimmt, sondern die ÖVP gewähren lässt. Der andere Teil der SPÖ ist zutiefst in den Filz des Großkapitals verstrickt.

In größerer Perspektive wird die Sache aber noch schlimmer:

Mit der Übernahme der HAA hat die Republik klar gemacht, dass sie das gesamte österreichische Bankensystem abstützen wird – praktisch ohne Bedingungen. Offensichtlich helfen nicht einmal ausländische Eigentümer, denn die Hypo war im Besitz der Bayerischen Landesbank. Nach diesem Präzedenzfall wird der österreichischen Staat wohl auch die italienische Bank Austria retten müssen, sollte es hier zu Problemen kommen.

Tatsächlich unterscheidet sich das Modell anderer österreichischer Banken nicht sehr von der Kärntner Hypo: Schnelles Wachstum in Osteuropa – um jeden Preis. In der Wirtschaftskrise gibt es natürlich Probleme mit den aushaftenden Krediten. Nicht umsonst hat der US-Nobelpreisträger Krugman die österreichischen Banken im Frühjahr für pleite erklärt. Warum ist diese bis jetzt nicht eingetreten? Krugman ein Spinner und Österreich-Vernaderer (vernadern = österreichisch für schlecht machen)? Vielleicht hat er sich einfach geirrt. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die verbesserten Kapitalmarktbedingungen seit März 2009 sowie das ultrabillige Geld, das die Europäische Zentralbank (EZB) zur Verfügung stellt, die heimischen Ost-Banken liquide halten.

Wir haben keinen Einblick in die Bücher der Raiffeisen International. Aber mit dieser Perspektive macht die Rettung der Hypo natürlich Sinn: Bekommen die internationalen Kapitalgeber Zweifel an der Solvenz der österreichischen Banken, erhöhen sich für diese die Zinsen und die Pleite wird tatsächlich ausgelöst. Also rettet man die Hypo, um jede Unruhe zu verhindern. Gegen eine drohende Finanz-Panik wird am besten möglichst weit vorne verteidigt. Österreich scheint wie kaum ein anderes Land Europas von der richtigen Dosis Erholung der Weltwirtschaft abhängig zu sein. Gibt es einen neuen schweren Konjunktureinbruch, könnten Banken und Staat Pleite gehen. Für das Bankensystem könnte übrigens auch das Gegenteil ein Problem werden: Wenn auf Grund von vermuteten Inflationsgefahren (wegen schnellerer Konjunkturerholung) die Zinsen steigen, und die EZB nicht mehr bereit ist, unbegrenzt Geld zu drucken (wie im Augenblick), könnte es ebenfalls eng werden.

Es kann sein, dass wir uns irren. Es kann aber auch sein, dass die Republik Österreich eine gigantische Kapitalmarktwette reitet. Bei Gewinn machen die Banken, deren Eigentümer und Manager das große Geschäft. Bei Verlust springt der Steuerzahler ein und der Staat ist bankrott.