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Chávez und die V. Internationale
7. März 2010 - Margarethe Berger

Was ist dran an Chávez’ Vorschlag, um den bereits jetzt die Wogen hochgehen? Mehr als seine mündlichen Ausführungen ist derzeit an Informationen nicht zu haben. Zwar nimmt ihn das Abschlussdokument der Konferenz, die „Verpflichtung von Caracas“ Compromiso de Caracas, auf www.psuv.org.ve., in einer sehr vage gehaltenen Form an, doch ist daraus nicht erkenntlich, was der Präsident mit der V. Internationalen eigentlich meint. So bleiben Chávez’ kurze Aussagen: Die V. Internationale solle aus Parteien, sozialistischen Regierungen bzw. lokalen Verwaltungen und Bewegungen bestehen. Discurso de Clausura del Presidente Hugo Chávez, auf www.psuv.org.ve. Es ginge um wirklich linke Kräfte, und die Kriterien zu deren Beurteilung liefere die globale Realität: Gefragt ist die Haltung zu Imperialismus und Kapitalismus. Die V. Internationale müsse unterschiedliche Räume eröffnen, in denen konkrete Initiativen umgesetzt werden könnten, etwa einen Raum für profunde theoretische und strategische Debatten, globale Kampagnen gegen den Krieg oder Versuche, alternative Wirtschafts- und Handelsmodelle umzusetzen. Die V. Internationale müsse dem Imperialismus die Stirn bieten und den Sozialismus propagieren.

Konkret ruft Chávez die teilnehmenden Organisationen dazu auf, ein Vorbereitungskomitee zu bilden, um ein erstes Treffen der V. Internationalen im April 2010 zu organisieren.

Verwirrung oder auch strategische Kühnheit?
Zweifellos ist Chávez’ Vorschlag alles andere als systematisch durchdacht und theoretisch untermauert, zumal aus orthodox marxistischer Sicht. Doch viel interessanter, als ihn von diesem inhaltlich-theoretischen Standpunkt zu kritisieren, ist es sich seine politisch-strategische Bedeutung zu überlegen. Der Vorschlag entspricht voll und ganz Chávez’ politischem Stil. Auf einer Konferenz, deren Teilnehmer in manchen Fällen in den Salons der globalen Elite aus- und eingehen (z. B. die mexikanische PRI, die argentinische Partido Justicialista oder die palästinensische Fatah), in anderen Fällen durch jahrzehntelangen Mangel an politischer Initiative oder gar Mitverwaltung des Kapitalismus glänzen (wie der Reigen der globalen Organisationen aus der KP-Familie), also insgesamt alles andere als die weltweite Crème de la Crème des antikapitalistischen Kampfes darstellen, prescht Chávez unerwartet mit einer Idee vor, die zuallererst die Notwendigkeit betont, endlich konkrete Veränderungen im globalen Machtgefüge zu bewerkstelligen, und die kraft Chavez’ Autorität zum Handeln zwingt. Man fühlt sich an seine Rede zum Abschluss des Weltsozialforums 2006 in Caracas erinnert, als er den teilnehmenden Organisationen vorwarf, nichts Konkretes auf die Beine gestellt zu haben und die Bildung einer globalen antiimperialistischen Front forderte, damit eine andere Welt tatsächlich möglich werden könne. Campo Antiimperialista: Für eine Antiimperialistische Front: Setzen wir den Vorschlag des Präsidenten um! Auf www.antiimperialista.org.

So scheint Chávez in erster Linie auf das abzuzielen, was seine Außenpolitik insgesamt kennzeichnet: die monopolare Weltordnung unter Führung des US-Imperialismus durch Verschiebung der globalen Kräftekonstellation zu durchbrechen. Dass hierzu globale und regionale Bündnisse notwendig sind, ist offensichtlich. Chávez’ geht es darum, einen realen Machtblock zu schaffen, der bereit ist, sich dem Imperialismus entgegen zu stellen und der politisch so weit links wie möglich steht. Er nennt dies V. Sozialistische Internationale und es scheint ihm in erster Instanz egal zu sein, ob dafür die Bedingungen tatsächlich vorhanden sind. Vielmehr geht es darum, konkret zu sein und das bedeutet: politisch wirksam. Doch es wäre verkürzt, Chávez kurzsichtige Machtpolitik vorzuwerfen, obwohl ihm ein voluntaristischer Zug nicht abzusprechen ist. Die zehn Jahre seiner Regierungszeit zeigen eine eindeutige Linksentwicklung, die von bemerkenswerten Versuchen gekennzeichnet ist, ein demokratisch- sozialistisches Gesellschaftsmodell unter den gegebenen Bedingungen aufzubauen. Insofern ist Chávez globale Machtverschiebung nicht genug. Es geht ihm darum, Bedingungen zu schaffen, welche die Erarbeitung von Alternativen erst ermöglichen. Und diese bedürfen der theoretisch-programmatischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. … den Imperialismus bekämpfen und den Sozialismus proklamieren.
So viel zu den Stärken.

… und die Schwächen?
Es ist offensichtlich, wie unausgegoren Chávez’ Vorschlag ist. Er vermischt richtige Elemente, etwa eine Analyse der Vergangenheit, wie die Kritik am orthodox-marxistischen Determinismus und an der Stalinschen Doktrin vom Sozialismus in einem Lande, mit naiven Vorstellungen, durch alternative Handelsmodelle den Kapitalismus überwinden zu können – was letztlich an der umfassenden analytischen Klarheit, die eine solche Internationale benötigen würde, zweifeln lässt.

Bedeutsamer ist die fehlende Klarheit auf Adressatenebene: Regierungen, Lokalverwaltungen, Parteien, Bewegungen. Zweifellos bedarf es eines Bündnisses all dieser Kräfte, aber auf welchen Ebenen und wie sollen die Machtverhältnisse zwischen sozialen Bewegungen und Staaten aussehen? Abgesehen von den unterschiedlichen und oft inkompatiblen politischen Zugehörigkeiten der angesprochenen Parteien: Soll eine solche Internationale tatsächlich in antiimperialistischen Termini wirksam sein, so wird sie dem politischen Islam als heutigem Hauptträger des Widerstandes die Hand hinstrecken müssen – ob da nicht viele sozialistische Strömungen Angst bekommen werden, sich die Finger schmutzig zu machen?

Fraglich ist auch, ob die Anknüpfung an die trotzkistische Tradition – offensichtlich durch die Namensgebung – taktisch klug ist. Soll tatsächlich eine Internationale mit einer gewissen programmatischen Kohäsion entstehen, so bedarf dies eines Raums für offene theoretische und politische Auseinandersetzung, der nicht im Vorhinein eingeschränkt werden sollte. Zudem ist dies sicher kein kurzfristiger Prozess.

Die Kraft des Impulses
In der Praxis scheint es mit der Umsetzung von Chávez’ Idee schwierig zu werden, so wie überhaupt vieles in Venezuela in der Realität nicht so ganz den Ideen entsprechen will. Dennoch ist der bolivarianische Prozess zum wichtigsten Motor eines dynamischen politischen Prozesses in Lateinamerika und darüber hinaus geworden und gleiches bleibt für die Idee der V. Sozialistischen Internationale zu hoffen. Was bedeutet, dass bei allem Recht, den Vorschlag kritisch zu prüfen, letztendlich die politische Pflicht bleibt, ihn aktiv zu unterstützen.