Kritiker befürchten, dass mit dieser Gesetzesnovelle die Möglichkeit eröffnet wird, politischen Aktivismus durch extensive Auslegung des Gesetzes unter Strafe zu stellen.
Nicht zuletzt der sogenannte „Tierschützerprozess“, der derzeit im Landesgericht Wiener Neustadt verhandelt wird, gibt dieser Angst ihre Begründung. In diesem Verfahren werden 13 Aktivisten von verschiedenen Tierrechtsorganisationen wegen ihrer Mitgliedschaft in einer „kriminellen Organisation“ angeklagt. Mit Terrorismus hat dieser Tatbestand zwar auf den ersten Blick nichts zu tun, doch liegt die Befürchtung eines Missbrauchs trotzdem nahe, da die derzeit bestehende Anti-Terror-Bestimmung in ihrer Funktionsweise der in diesem Fall angewendeten „Anti-Mafia-Bestimmung“ sehr ähnlich ist. Beide sind sogenannte Organisationsdelikte und stellen bereits die bloße Mitgliedschaft in einer solchen Organisation (ohne Begehung von konkreten strafbaren Handlungen) unter Strafe.
Zweck und Tatbestand des § 278a StGB
Die Bestimmung des § 278a wurde mit der StGNov 1993 in das österreichische Strafgesetzbuch eingeführt. Zweck dieser Bestimmung war es, der Bekämpfung der organisierten Kriminalität die Möglichkeit zu verschaffen, Mitglieder dieser Organisationen schon aufgrund dieser Mitgliedschaft anzuklagen.[fn]Plöchl in Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch § 278a StGB [Rz 1].[/fn] Oft ist es so, dass Mitglieder die Ziele der Organisation bewusst fördern, allerdings ohne selbst eine strafbare Handlung zu setzen. Mit § 278a StGB wird deren Verfolgung erst ermöglicht.
Zwei Merkmale sind für die Erfüllung des Tatbestandes ausschlaggebend. Der objektive Tatbestand wird durch äußere Merkmale erfüllt: Organisationsstruktur, kriminelle Zielsetzung und Setzen einer Tathandlung durch Beteiligung als Mitglied. Weiters muss der sogenannte subjektive Tatbestand (die innere Tatseite) erfüllt werden. § 278a StGB ist ein Vorsatzdelikt: Der Täter muss wissen, dass er durch sein Handeln eine kriminelle Organisation fördert.[fn]Plöchl in Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch § 278 StGB [Rz 29].[/fn]
Für das Tatbestandsmerkmal der Beteiligung verweist § 278a StGB auf § 278 Abs. 3 StGB. Dieser qualifiziert jede Art der Förderung der Vereinigung als Mitgliedschaft in dieser.
Der „Tierschützerprozess“
Im „Tierschützerprozess“ wurde die eben geschilderte Bestimmung verwendet, um 13 Aktivisten von verschiedenen Tierrechtsorganisationen anzuklagen (unter anderm den VGT).
Zur Klarstellung: Eine kriminelle Organisation im Sinne des § 278a StGB wird durch eine Willenseinigung im Hinblick auf den Zusammenschluss und die kriminelle Zielsetzung gegründet. Dies kann auch dadurch geschehen, dass das Verhalten der Beteiligten darauf schließen lässt. Es ist auch nicht notwendig, dass die Vereinbarung zwischen allen Mitgliedern zustande kommt.[fn]Plöchl in Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch § 278a StGB [Rz 4].[/fn] Im Tierschützerprozess stehen die Angeklagten wegen ihrer angeblichen Mitgliedschaft in einer – nicht notwendigerweise bewusst von all ihren „Mitgliedern“ gegründeten – Organisation vor Gericht. Handlungen der Tierschützer können mittels einer weiten Auslegung von § 278a StGB so interpretiert werden, dass sie die Ziele der Organisation oder deren strafbare Handlungen fördern. So wurde einem der Angeklagten beispielsweise vorgehalten, dass er vor einigen Jahren Tierfabriken aufgesucht und gefilmt hat. Da die kriminelle Organisation gegen solche Tierfabriken schon mehrmals kriminelle Handlungen wie Sachbeschädigung und Brandstiftung gesetzt hat, könnten, so die Anklage, diese Aufnahmen der Organisation zugespielt werden und für weitere kriminelle Handlungen verwendet werden (man könnte beispielsweise am Video Sicherheitseinrichtungen, Ein- und Ausgänge etc. erkennen).
Der „Terrorprozess“
Diese Art von Konstruktion kann auch im Zusammenhang mit Terrorismus veranschaulicht werden. Im sogenannten „Wiener Terrorprozess“[fn]Im März 2008 wurden am Landesgericht für Strafsachen in Wien zwei Personen wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt.[/fn] wurde der Zweitangeklagten vorgeworfen, Texte von Terroristen aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt zu haben, eine journalistische Tätigkeit, um die Gesellschaft über Ziele und Methoden einer Organisation zu informieren. Dafür wurde die Angeklagte für ihre Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation verurteilt. Streng genommen könnte jede Übersetzung, jede Veröffentlichung eines Textes mit „terroristischem Inhalt“ zu einer Bestrafung des Veröffentlichers führen, wenn diese die Ziele der terroristischen Vereinigung fördern könnten. Der Unterschied zwischen der für den Terrorprozess relevanten Tat und der Tätigkeit von anderen Journalisten ist die oben genannte „innere Tatseite“, also die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes. Wie auch § 278a StGB kann § 278b StGB dadurch erfüllt sein, dass der Täter die Ziele der Organisation durch sein Handeln fördert und dies auch beabsichtigt. Er muss es „für gewiss halten, dass er durch die Bereitstellung von Informationen oder Vermögenswerten die terroristische Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert“.[fn]Plöchl in Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch § 278b [Rz 13].[/fn]
Bedenkliche Anwendung
An diesem Punkt entsteht die Problematik dieser beiden Bestimmungen bzw. ihrer Anwendung. Um die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes zu beweisen ist es notwendig, die Einstellung der Angeklagten zu Zielen und Tätigkeiten der kriminellen Organisation oder terroristischen Vereinigung festzustellen. Aus diesem Grund wird in der Urteilsbegründung des Wiener Terrorprozesses auch auf die Geisteshaltung der Angeklagten und ihre Eigenschaft als Überzeugungstäterin eingegangen.[fn]Urteil des LG für Strafsachen Wien, GZ 443 Hv 1/08h.[/fn] Ohne diese Einstellung der Angeklagten zu Themen wie dem Irakkrieg oder dem politischen Islam wäre ihre Tat identisch mit dem täglichen Handeln eines Journalisten, der über diese Themen berichtet.
Ähnlich ist es im Tierschützerprozess: Die Fragen an die Angeklagten nach ihrer Einstellung zu Tierbefreiungsaktionen oder Jagdstörungen sollen ein Indiz für die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes sein. Ohne diesen könnte man wohl kaum behaupten, dass das Filmen von Tierfabriken oder das Drucken von Flyern als Förderung einer kriminellen Organisation zu qualifizieren ist. Der subjektive Tatbestand wird aufgrund einer politischen Einstellung angenommen. Man muss sich vor Augen führen, dass die Untersuchungshaft im Tierschützerfall so gesehen aufgrund dieser politischen Einstellung verhängt worden ist: Ohne die subjektive Tatseite – die aufgrund der politischen Einstellung der Tierschützer angenommen wird – gibt es kein Delikt, kein Verfahren und keine Untersuchungshaft. Es lag keine konkrete Tat vor, dennoch wurden die Beschuldigten aufgrund der angeblichen Mitgliedschaft in dieser kriminellen Organisation verhaftet, die aufgrund ihrer Weltanschauung angenommen wird.
Das Terrorismuspräventionsgesetz 2010
In diesem Zusammenhang ist das geplante Terrorismuspräventionsgesetz interessant. Deklariertes Ziel dieser Bestimmungen ist es, den internationalen Terrorismus durch strafrechtliche Möglichkeiten für den Staat zu bekämpfen. Verschiedene neue Straftatbestände werden dadurch in das StGB aufgenommen.
Interessant für Menschen, die in Österreich einem politischen Aktivismus nachgehen, ist in diesem Zusammenhang die Bestimmung des § 282a StGB, insbesondere deren zweiter Absatz: „Ebenso [also wie in Abs. 1 mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe] ist zu bestrafen, wer auf die im Abs. 1 bezeichnete Weise eine terroristische Straftat (§ 278c) in einer Art gutheißt, die geeignet ist, das allgemeine Rechtsempfinden zu empören oder zur Begehung einer solchen Handlung aufzureizen.“
Strafbar war das Gutheißen von strafbaren Handlungen schon durch den seit 1975 gültigen § 282 StGB. Die besondere Hervorhebung der terroristischen Straftaten durch den neuen § 282a StGB gibt Anlass zur Sorge: Es wurde in Reaktionen auf das kommende Gesetz bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass damit Protestaktionen der Zivilgesellschaft leicht als terroristische Straftaten definiert werden könnten. Ein Beispiel: Wenn während der Besetzung von Hörsälen schwere Sachbeschädigungen „in großem Ausmaß“ (noch ist unklar was ein großes Ausmaß ist) begangen werden und die Besetzungsaktion insgesamt „eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens“ (im Sinne des § 278c Abs 1 StGB) zur Folge hat, so könnte diese Aktion bei extensiver Auslegung als terroristische Straftat angesehen werden. Ein solches Szenario ist bereits nach geltendem Recht als terroristische Straftat interpretierbar. Die Neuheit liegt aber darin, dass nun auch das Gutheißen dieser Straftat, beispielsweise durch eine Solidaritätskundgebung oder das Verfassen eines den Protesten positiv gesinnten Artikels, im Sinne des neuen § 282a StGB mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe strafbar sein soll.
Der neue § 282a StGB hat eine weitere beunruhigende Wirkung: Die Frage, ob eine Handlung ein Akt des Terrors oder des Freiheitskampfes ist, wird nun in die Hand der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte gelegt. Unterstützt jemand in Österreich die anhaltenden Proteste gegen die Wahlergebnisse im Iran, wird er wohl kaum wegen Gutheißung terroristischer Straftaten verfolgt werden, obwohl auch diese Proteste (wie immer: bei extensiver Auslegung) als Akte des Terrors angesehen werden könnten (wenn man dies politisch so will). Andererseits: Der bewaffnete Kampf gegen die Besatzungstruppen im Irak kann – oder eben nicht – ebenfalls als Terror angesehen werden. Es ist eine politische Frage. Die Diskussion über Terrorismus und Freiheitskampf wird nun nicht mehr nur in politischen Auseinandersetzungen, sondern bald auch im Gerichtssaal beantwortet werden müssen. Ein Staatsanwalt könnte nach dem neuen § 282a StGB sowohl die Befürworter der Proteste im Iran als auch die Befürworter des irakischen Widerstands wegen „Gutheißung terroristischer Straftaten“ verfolgen. Die Entscheidung, welche er letztendlich verfolgen wird, ist in Wirklichkeit eine politische.
Wer es für unrealistisch hält, dass solche Aussagen strafrechtlich verfolgt werden, hat wahrscheinlich Recht. Jedenfalls fürs Erste. So wie die heutigen Anti-Terror-Bestimmungen dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus gewidmet sind, war auch § 278a StGB bei seiner Einführung im Jahr 1993 dem Kampf gegen die Mafia gewidmet. Wie die Bestimmung heute angewandt wird, sieht man im „Tierschützerprozess“.