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Vierzig Jahre Schwarzer September
9. Juni 2011 - Ali Nasser

Der Schwarze September endete mit dem Abzug der Fedayin aus Amman. Dies war der Auftakt zur sukzessiven Liquidierung der gesamten palästinensischen militärischen Präsenz in Jordanien, die mit dem Massaker in Ajlun im Juli 1971 endgültig vollzogen wurde. Insgesamt schätzt man zwischen 15 000 und 20 000 Opfer. Die politischen, organisatorischen und identitären Auswirkungen dieser ersten militärischen Niederlage wirken bis heute auf die palästinensische Bewegung nach.

1967: Niederlage und Umbruch

Die Niederlage der arabischen Regime im Krieg von Juni 1967 war nicht nur eine militärische der Armeen in einem schlecht geführten Krieg, sondern auch eine politische der „progressiven“ arabischen Regime, vertreten durch Ägypten, Syrien und den Irak. Bis zu diesem Punkt waren der ägyptische Präsident Nasser und die Panarabisten die Träger der Forderungen und Träume der arabischen Massen gewesen.

Für die Palästinenser bedeutete diese Niederlage den Verlust der übrigen Teile Palästinas (Westjordanland und Gaza). Nach 19 Jahren des Wartens nach der Nakba, der Vertreibung aus Palästina im Jahr 1948, waren die Hoffnungen auf eine Befreiung Palästinas durch die arabischen Brüder zunichte gemacht worden. Die „Rückkehr nach Palästina“ war weiter weg als zuvor. Das hatte eine direkte Konsequenz: Eine neue Generation beschloss, auf eine gesamtarabische Emanzipation nicht mehr zu warten, sondern die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Auch wenn die ersten bewaffneten palästinensischen Aktionen schon unmittelbar nach der Nakba stattgefunden hatten und in unterschiedlicher Intensität über die fünfziger und sechziger Jahre andauerten, gilt 1967 als das Geburtsjahr der modernen palästinensischen Befreiungsbewegung. Der bewaffnete Kampf erhielt den politischen Charakter eines Volkskrieges, der die palästinensische Identität als eine Antithese zum zionistischen Staat betonte.

So entstand, neben anderen kleineren Organisationen, aus den Reihen der Nasser-nahen Bewegung der Panarabisten (Al-Qaumiyun), die einen Palästina-Flügel gehabt hatte, der bald die gesamte Bewegung ersetzen sollte, die Volksfront zur Befreiung Palästina (PFLP). Aus dem Umfeld der Moslemischen Brüder entstand die Fatah, die dem Panarabismus ferngeblieben war und den konservativen Golfstaaten nahe stand. Diese baute ebenfalls ihren Militärflügel aus.

Der militärische Zusammenbruch und die politische Pleite der repressiven arabischen Regime ermöglichten den Palästinensern einen bisher unmöglich gewesenen Bewegungsrahmen. Die progressiven Kräfte in Syrien, Jordanien und im Libanon schlossen sich dem palästinensischen Widerstand an.

Am östlichen Ufer des Jordans, im Flüchtlingslager Karama, wurde trotz anfänglicher Ablehnung des geschwächten jordanischen Regimes die erste Ausbildungsbasis der Fedayin gegründet. Für die arabische Welt drückten die Fedayin den Widerstandswillen der geschlagenen Nation aus. Zusätzlich ermöglichte ihr Entstehen dem Regime, das Entsetzen über die Niederlage von 1967 in eine positive Richtung zu lenken und die Verantwortlichen in ihren Positionen zu belassen. Auf dem arabischen Gipfeltreffen von Khartum im August 1967 versöhnte sich der „progressive“ Block um Nasser mit dem „reaktionären“ Block um Saudi Arabien. Diese Annäherung setzte im Voraus die Grenzen, die vom palästinensischen Widerstand nicht überschritten werden durften.

Die Schlacht von Karama: die Geburt des Volkskriegsmythos

Die Aktionen der Fedayin intensivierten sich entlang der jordanischen Grenze, auf dem Golan und im Südlibanon und riefen israelische Vergeltungsangriffe hervor. Am frühen Morgen des 21. März 1968 griff die israelische Armee die jordanische Ortschaft Al-Karama und das gleichnamige Flüchtlingslager an. Etwa 250 schlecht bewaffnete Fedayin verteidigten mit allen Mitteln die Ortschaft, bis die Munition ausging. Gegen Mittag brachten die Israelis die Ortschaft unter Kontrolle und verbrachten den Nachmittag damit, die Ortschaft und das Lager systematisch dem Erdboden gleichzumachen. Die jordanische Armee, die sich anfänglich (offensichtlich auf königlichen Befehl) neutral verhielt, intervenierte zum Schluss und überraschte die israelischen Angreifer mit Artilleriebeschuss von den umliegenden Hügeln. Diese „Meuterei“ jordanischer Offiziere änderte die Situation und zwang die Israelis zu einem ungeordneten Abzug, wobei israelische Verletzte und schwere Waffen am Schlachtfeld hinterlassen wurden. Israel gab etwa dreißig Tote, neunzig Verletzte, neun zerstörte Panzer bzw. Panzerwagen und ein abgestürztes Kampfflugzeug zu. Auf palästinensischer und jordanischer Seite waren die Verluste vergleichbar und entsprachen eigentlich der Hälfte der damals vorhandenen Vollzeitaktivisten der Fatah. Jedoch konnte der Vorfall als relativer Erfolg betrachtet werden. Die Araber hatten sich diesmal tapfer geschlagen.

Dieser isolierte militärische Erfolg wurde zum Geburtsmythos der Fedayin: Nur neun Monaten nach der Totalniederlage waren arabische Kämpfer in der Lage, die israelische Armee zu besiegen. Da sich die Linke aus taktischen Gründen aus Karama zurückgezogen hatte, war es die Fatah, die als Sieger dastand.

Die Karama-Schlacht hatte wichtige Konsequenzen für die Entwicklung der palästinensischen Bewegung:

1. Politische Anerkennung der Fatah-Führung seitens der arabischen Staaten. Fatah erhielt den größten Anteil an politischer, finanzieller und militärischer Unterstützung, wuchs schneller als die Linke und ebnete sich den Weg, die PLO zu kontrollieren.

2. Der Ansturm der Freiwilligen war größer als die Kapazität der Organisationen, diese politisch und militärisch auszubilden. Binnen kürzester Zeit vervielfachte sich die Anzahl der Fedayin in Jordanien auf etwa 3000 freigestellte Kämpfer und 12000 Anhänger. Diese führte jedoch zu einem Mangel an Disziplin und politischem Bewusstsein.

3. Die Huldigung des „Volkskriegs“ verursachte eine schnelle Militarisierung der Bewegung auf Kosten der palästinensischen und jordanischen zivilen Basisorganisationen. Um Anhänger zu gewinnen, musste sich jede Organisation militärisch beweisen. Dies wurde mit keiner ernsthaften Militärstrategie verknüpft und machte die Aktionen zum Selbstzweck.

4. Um weiteren israelischen Angriffe zu entgehen, wurden die Basen der Fedayin vom Jordantal an sicherere Orte in der Nähe der Städte und Lager verlegt. Die starke Präsenz der Fedayin in den Städten steigerte die alltäglichen Reibungen mit dem Staat.

5. Die gestärkte palästinensische Identität mündete in einen palästinensischen Nationalismus, der die Beziehung mit den Jordaniern und sogar den arabischen Freiwilligen graduell verschlechterte.

6. Verbitterung in der jordanischen Armee, deren wichtiger Beitrag in Karama verschwiegen wurde. Das Regime sollte später auf dieser Verbitterung seine Gegenstrategie aufbauen.

Flut und Ebbe

In den Monaten nach Karama verdreifachte sich die Anzahl der Guerillaaktionen entlang dem Jordan auf neunzig im Monat. Israel antwortete mit massivem Beschuss der Ortschaften am Ostufer, was zu einer weitgehenden Lähmung der Wirtschaft im Jordantal und zu einer Fluchtwelle von etwa hunderttausend Zivilisten nach Osten führte. Die Verschärfung der israelischen Sicherheitsmaßnahmen und die schlechte Bewaffnung der Partisanen beschränkten die militärische Effektivität dieser Aktionen. Das jordanische Regime verminderte graduell die Effektivität der Aktionen, indem in großen Abschnitten der Front die Infiltrationsmöglichkeiten durch Minen verhindert wurden. Bald durften die Fedayin nicht mehr im Gebiet südlich des Toten Meeres operieren.

Pläne, den Widerstand unter der Bevölkerung im besetzten Westjordanland zu verbreiten, scheiterten aus mehreren Gründen. Einerseits waren die meisten politischen Organisationen schon vor der israelischen Besetzung vom jordanischen Regime zerlegt und entwaffnet worden, andererseits verlangsamten die israelische Repression, die Verhaftung und Deportation von dreitausend politischen Aktivisten aus dem Westjordanland den Wiederaufbau der Bewegung. Hingegen spitzte sich der bewaffnete Widerstand im Gazasteifen, wo bessere Bedingungen herrschten, zu. „In Gaza regiert die israelische Armee am Tag und die PFLP in der Nacht“, gab der israelische Verteidigungsminister zu.

Die Entwicklung des „Volkskriegs“, der sich Kuba, Algerien und Vietnam zum Vorbild machte, führte zu einer Radikalisierung der panarabischen Teile der Bewegung, die sich nun als Teil einer Weltrevolution sahen. Die palästinensische Linke (vertreten durch PFLP und ihre Spaltung PDFLP) betrachtete eine Revolutionierung der arabischen Verhältnisse im marxistischen Sinn als Bedingung für den Sieg gegen Israel und proklamierte somit mehr oder weniger die Notwendigkeit des Sturzes des jordanischen Regimes. Die Fatah, die als größte Fraktion ausschlaggebend für diese Konfrontation war, hielt an der Doktrin der Nichteinmischung gegenüber den arabischen Regimen fest. Die Führung der Fatah glaubte, einen Status Quo mit den Regimen behalten und dieses unter Druck setzen zu können. Fatah übernahm das Erscheinungsbild der antikolonialen Bewegung, beschränkte sich ideologisch und politisch auf Guerillaaktionen zu Palästina und weigerte sich programmatisch, sich in die internen Angelegenheiten des Landes einzumischen.

Die Aktionen behielten ihren mobilisierenden Effekt bei den Massen. Die Partisanenaktivität beschäftigte auch mehrere Einheiten der israelischen Armee und entlastete dadurch die
ägyptische Armee am Suezkanal und den neuentstandenen bewaffneten Widerstand im Gazastreifen. Nasser sah die Fedayin als Teil seiner Militärstrategie im Kampf gegen Israel.

Hussein bereitet den Gegenangriff vor

Wissend, dass die Kraft der palästinensischen Bewegung nicht in ihrem militärischen Gewicht, sondern in ihrer Popularität und der Verbindung zu den Massen steckt, suchte sich König Hussein zuerst Verbündete in der Bevölkerung. Genau wie die Massen der palästinensischen Flüchtlinge und die städtische jordanische Bevölkerung die soziale Grundlage der palästinensischen Bewegung und der jordanischen Opposition darstellten, boten die jordanischen Flüchtlinge aus dem Jordantal dem König die soziale Grundlage seiner Gegenstrategie.

In ihrer Selbstherrlichkeit vergaß die palästinensische Bewegung die Jordanier, die durch die Militäraktionen am Jordan ihre Lebensgrundlage verloren. Das Regime bot genau diesen Leuten eine neue Beschäftigung in seiner nach dem Krieg von 1967 erneuerten und professionalisierten Armee an. Der Staat war nach wie vor der größte Arbeitgeber für die Ostjordanier.

Sowohl die palästinensische Bourgeoisie in Amman als auch die Fedayin verabsäumten die Möglichkeit, eine Alternative anzubieten. Vielmehr kostete das neuentstandene Palästinensertum die Bewegung die letzten Sympathien der Ostjordanier. Die Forderung der Linken nach einer patriotischen Regierung (und später nach dem Sturz der Monarchie und der Errichtung einer progressiven Republik) wurde seitens der Ostjordanier mit einer Machtübernahme der Palästinenser gleichgestellt. Die palästinensische Bourgeoisie fand sich zwar im neuen palästinensischen Patriotismus wieder, blieb gegenüber einer „Volksmacht“ aber skeptisch.

Innerhalb der Armee unternahm das Regime eine „Ideologisierungskampagne“ mit dem Ziel, einerseits das Selbstvertrauen der Armee nach der Niederlage von 1967 wiederherzustellen und andererseits diese gegen Einflüsse „schädlicher Ideologien“ zu wappnen. Das Feindbild waren die „Kommunisten“, „Anarchisten“ und „entmannte städtische Intellektuelle“. Koran-Bücher in Taschenformat wurden gedruckt und an die Soldaten verteilt. Diese sollten „als Gegengewicht zu Maos Rotem Buch“ dienen.

Zusätzlich gründete das Regime Ende 1969 partisanenähnlichen Truppen. Diese Milizen mit dem formalen Namen „Volkswiderstand“ und später „Volksarmee“ waren in Wahrheit die paramilitärischen Truppen des Regimes. Ihr Zulauf war ein Erfolgsindikator für die medialen Kampagnen des Regimes.

Durch Ausschreitungen der undisziplinierten Fedayin diskreditierten sich diese selbst. Ohne bewusste Strategie das Regime zu stürzen, verletzten Anhänger der Fedayin täglich die Staatsautorität und gaben dem Regime Vorwände zur Intervention im Namen der Ordnung. Wo sich die Fedayin zurücknahmen, sorgte die „Spezialabteilung“ des jordanischen Geheimdiensts für die Rufschädigung durch Aktionen, die den Fedayin zugeschrieben wurden.

Nachdem das Jahr 1969 ein Rekordjahr für Guerillaaktionen (über 200 Aktionen im Monat) darstellte, fühlte das Regime sich zu Ende des Jahres stark genug, offensiver gegen die Fedayin vorzugehen.

Wenn die Großen reden: der Rogers-Plan

Anfang 1970 vermehrten sich die diplomatischen Initiativen in der Region, um auf der Basis der UNO-Resolution ein Friedensabkommen zwischen den arabischen Staaten auf der einen Seite und Israel auf der anderen zu erreichen. Die Palästinenser fühlten sich zu Recht als die Hauptverlierer in diesem Prozess. Für sie, die gerade drei Jahre davor den Rest Palästinas durch das Scheitern der arabischen Regime verloren hatten, bedeutete die Anerkennung Israels seitens derselben Regime auf 75 Prozent der Fläche Palästinas eine Liquidierung der Palästina-Frage. Die vage erwähnte „faire Lösung der Flüchtlingsfrage“ lieferte den Palästinensern keine Garantie. Sie beantworteten dies mit einer Intensivierung der Guerillaaktionen, der Radikalisierung des politischen Diskurses und zunehmender Machtdemonstration in Amman.

Die erste Konfrontationsrunde fand bereits in Februar 1970 statt, als die jordanische Regierung Beschlüsse zur „Wiederherstellung der Ordnung“ verabschiedete, die unter anderem die Bewegungsfreiheit der Fedayin durch Ausweispflicht für Personen und Wagen einschränkten, Waffentransport innerhalb der Städte, Massendemonstrationen und Parteigründungen verboten und die Pressezensur wieder einführten.

Diese Provokation bedeutete für die Fedayin den Versuch des Regimes, der Bewegung die schützende Unterstützung durch die Massen zu entziehen. Diese traten daher geschlossen dagegen auf und mobilisierten ihre Kräfte in den Städten. Der Versuch der Armee, die Regierungsbeschlüsse durchzusetzen, mündete in eine militärische Auseinandersetzung mit den Partisanen, die erst durch arabische Vermittlung endete. So kurz die Konfrontationen vom Februar waren, stellten diese eine qualitative Wende in der Beziehung zwischen Regime und Fedayin dar. Das Regime wollte offenbar seine Kraft testen. Eine größere Konfrontation wurde erwartet.

Diese Ereignisse riefen eine heftige Debatte innerhalb der palästinensischen Bewegung hervor. Die organischen Differenzen kamen stark zum Ausdruck und verlangsamten das gemeinsame Handeln: Während die Linke zu Eskalation tendierte und auf Konfrontation zusteuerte, glaubte die Fatah durch Kompromisse mit dem Regime zum einzigen politischen Ansprechpartner werden zu können. Das Regime half der Fatah in dieser Logik, indem es immer seine Kompromissbereitschaft mit moderaten Elementen betonte.

Beide Tendenzen setzten auf die Unterstützung der Massen und übertrieben ihre Rolle. In Wirklichkeit waren keine ausgereiften politischen Massenorganisationen vorhanden. Der Slogan „Die Massen schützen die Revolution“, der nach den Gefechten von Februar 1970 erschien, blieb ein Slogan. In den nächsten Monaten fanden weitere Konfrontationen statt.

Bisher war das moralische Gewicht des nach wie vor beliebten ägyptischen Präsidenten Nasser sowie die Präsenz von irakischen Armeeeinheiten in Jordanien der Garant dafür, dass das jordanische Regime keine Totalliquidierung der Bewegung wagen und sich mit einem Stellungskrieg um seine Autorität begnügen würde. Vielmehr geriet das Regime unter den politischen Druck der Massen und wurde zu Kompromissen mit der Bewegung gezwungen, was das Selbstvertrauen der Fedayin und besonders der Linken stärkte.
Eine qualitative Wende im Konflikt kam erst, als Nasser akzeptierte, sich mit dem Friedensplan des US-amerikanischen Staatssekretärs William Rogers „positiv auseinanderzusetzen“. Der am 19. Juni 1970 ausgerufene Plan Rogers basierte auf der UNO-Resolution 242 und sah daher eine Anerkennung Israels seitens der arabischen Staaten gegen einen israelischen Teilabzug aus den besetzten Gebieten vor. Noch schwerwiegender war, dass Nasser dadurch einen Waffenstillstand akzeptierte und somit alle Militäraktionen entlang des Suezkanals einstellte. Der Zermürbungskrieg war somit offiziell beendet. König Hussein willigte seinerseits ein und erklärte die Einstellung aller militärischen Aktionen entlang der Front, was mit einer Intensivierung der Guerillaaktionen seitens der Palästinenser beantwortet wurde.

Nun richtete sich der Zorn der Palästinenser auf Nasser, gegen den zum ersten Mal palästinensischen Massendemonstrationen stattfanden. Der mediale Angriff auf Nasser hatte verheerende Folgen: Nasser vertrieb Hunderte linker Palästinenser der PFLP und DFLP aus Kairo und stoppte das Senden von Radio Palästina aus Kairo. Er soll auch König Hussein grünes Licht für Repressalien gegeben haben.
Der Schwenk Nassers zwang die Palästinenser zu mehr Aktion. Ahnend was auf sie zukam, setzten sie sich das Ziel, den Waffenstillstand „mit allen Mitteln“ zunichte zu machen. Um die ägyptisch-amerikanische Annäherung zu stören, entführte die PFLP am 5. September 1970 ein Flugzeug der PanAmerican nach Kairo und sprengte es nach Freilassung der Passagiere auf der Landebahn. Drei weitere Flugzeuge wurden zum selbst-errichteten „Revolutionsflughafen“ der PFLP in die jordanischen Wüste entführt. Die PFLP wollte damit „dem internationalen Nervensystem einen Schlag versetzen“ und kündigte weitere Aktionen an, um die „Kräftebalance zu bewegen, auf der die internationale und arabische Verschwörung gegen die Palästina-Frage beruht“. Die Palästinenser sahen sich als die einzige Kraft, die den Rogers Plan torpedieren könnte. Die Aktionen waren zwar ein verzweifelter Schrei einer Bewegung in Krise, jedoch haben die palästinensischen Organisationen ihre Kraft maßlos überschätzt. Keiner glaubte, dass es zum Ausrottungskrieg kommt.

Diese Zuversicht beruhte auf mehreren Elementen:

1. Einer übertriebenen Zuversicht in die Massenunterstützung

2. Explizite Zusicherungen seitens der irakischen Regierung, dass die in Jordanien stationierten Einheiten der irakischen Armee eine Liquidierung des Widerstands in Jordanien verhindern würden

3. Die Erwartung einer Bewegung freier Offiziere in der jordanischen Armee, welche die Situation mit einem Militärputsch retten würde.

4. Unerfahrenheit gegenüber dem jordanischen Regime, das die palästinensische Führungen nur in den Phasen seiner Schwäche (1967–69) kannten und dessen Entschlossenheit und Fähigkeit sie völlig unterschätzten.

Der Countdown zum Massaker

Im Gegensatz zum verbreiteten Glauben, der Schwarze September wäre eine Reaktion des Regimes auf die Flugzeugentführungen der PFLP gewesen, begann dieser tatsächlich Wochen davor. Schon in letzen Augusttagen wurden die Basen der Fedayin im Süden belagert und „evakuiert“. Am 31. August bombardierte die Artillerie massiv die Flüchtlingslager um Amman. Weitere Zusammenstöße fanden im Norden statt und hinterließen Hunderte von Toten. Die Gewalt hielt kurz inne, als Offiziere der jordanischen Armee (genau jene, die auch in Karama gekämpft hatten) gegen die Pläne des Königs protestierten. Als dann der König die Armeeführung auswechseln konnte, entließ er auch die Regierung und rief eine Militärregierung aus. Diese verhängte den Ausnahmezustand und forderte alle Fedayin offiziell auf, ihre Waffen abzugeben. Die Totalkonfrontation begann an dem Tag, als die PLO zu einem Generalstreik gegen die neue Regierung aufgerufen hatte, dem 16. September.

Was in diesen zwölf Septembertagen geschah, war ein massiver Angriff der jordanischen Armee, der das Ziel hatte, Amman blitzartig einzunehmen und neue Tatsachen zu schaffen, bevor Nasser sein grünes Licht für „begrenzte Repressalien gegen die radikalen Elemente“ zurücknehmen konnte. Es hat sich gezeigt, dass die Fedayin schlussendlich für diese Konfrontation keine seriösen Vorbereitungen getroffen hatten, weder militärisch noch in der Organisation der Zivilbevölkerung und der Medizin- und Wasserversorgung. Dies führte in mehreren Vierteln der Stadt zu einem schnellen Kollaps der ohnehin schlecht bewaffneten Milizen. An anderen Orten schlugen sich die Fedayin besser und verzögerten den Vormarsch der Armee. Sie kämpften ohne militärischen Gesamtplan, verhielten sich in den meisten Abschnitten defensiv und warteten auf die Angreifer. Beim Waffenstillstand waren noch das Stadtzentrum und den Louibda-Viertel in ihrer Hand.
Zum Erstaunen der Palästinenser weigerte sich die irakische Armee, zu intervenieren. Ganz im Gegenteil zog sich diese aus ihren Positionen im Norden des Landes nach Osten zurück, um der jordanischen Armee nicht in die Quere zu kommen. Die Erwartung, dass eine Bewegung innerhalb der jordanischen Armee dieses Szenario verhindern würde, stellte sich als Illusion heraus. Jedoch liefen Tausende jordanische Soldaten tatsächlich zu den Fedayin über. Dies trug im Norden zur besseren Verteidigung bei. Durch das Fehlen eines Offensivplans konnte dieses Potenzial jedoch nicht genützt werden.

Was niemand erwartet hatte, war am 20. September der Einmarsch der syrischen Armee im Norden. Diese gab den Palästinensern neue Hoffnung und der König kündigte sogar einen einseitigen Waffenstillstand an. Der syrische Einmarsch hatte internationales Echo hervorgerufen: Die USA gaben den Sowjets eine Warnung, die Syrer sollen sich aus Jordanien zurückziehen. Flüge der israelischen Luftwaffe warnten vor einer israelischen Intervention. Am 22. September zog sich die syrische Armee nach massivem Bombardement seitens der jordanischen Luftwaffe zurück: Der Anführer der syrischen Luftwaffe und spätere syrische Präsident Hafez Assad weigerte sich, der eigenen Armee Luftdeckung zu geben. Mit dem Abzug der Syrer schwand die letzte Hoffnung der Palästinenser auf eine Verbesserung der Lage.

Am 24. September brach Nasser sein Schweigen und forderte eine Einstellung der Kämpfe. Ägyptische Diplomaten schmuggelten Arafat nach Kairo, wo ein arabisches Gipfeltreffen ausgerufen wurde. Der beschlossene Waffenstillstand sah einen Abzug der Fedayin aus Amman in Basen im Norden des Landes und eine Neuregulierung der Verhältnisse zwischen Staat und Fedayin vor, womit die uneingeschränkte Autonomie der Fedayin beendet wurde.

Auch wenn das Abkommen den Fedayin politisch mehr bot als sie angesichts des militärischen Kräfteverhältnisses erwarten durften, bedeutete es eine Trennung von den Massen in den Städten, deren Schutz sie genossen. Die Fedayin wurden dadurch auf die Schlachtbank geführt.
Schwarz wurde der Monat mit dem Tod Nassers, der wenige Stunden nach diesem Abkommen einen Herzinfarkt erlitt und starb. Die Palästinenser verloren dadurch den letzten politischen und moralischen Schutz. Bald wurde auch in Syrien die linke Baath-Regierung durch Hafez Assad gestürzt, der für die Fedayin nichts übrig hatte.

Der Schwarze September war weder der Anfang noch das Ende der Liquidierung der palästinensischen Bewegung in Jordanien, sondern der Höhepunkt eines Prozesses. In den kommenden Monaten wurden die Basen der Fedayin in den Städten und am Land sukzessive liquidiert. Die Hilfeschreie der PLO wurden von den arabischen Regimen nicht mehr gehört. Das jordanische Regime ignorierte die leisen Verurteilungen seitens der arabischen Liga und des Waffenstillstandskomitees, das sich bald aus Protest auflöste.
Im Juli 1971 griff die jordanische Armee die letzte Basis der Fedayin bei Ajlun im Norden des Landes an. Hunderte Partisanen kamen dabei um. Die Überlebenden gerieten in Gefangenschaft oder konnten die syrische Grenze erreichen. Mit der Vertreibung aus Jordanien verlor die palästinensische Bewegung ihre wichtigste Basis: die längste Front mit dem besetzten Land und dem größten palästinensischen Bevölkerungsanteil. In den Siebzigern sorgte die Repression des Regimes und die durch Ölphase entspannte Wirtschaft dafür, dass die Bewegung fast vollständig entwurzelt wurde. Wer noch für Palästina kämpfen wollte, zog in den Libanon.

Im Libanon durften die Palästinenser in keinem Grenzabschnitt an Nordpalästina operieren. Der glatte Wechsel in der palästinensischen Literatur von „palästinensischer Revolution“ zum „palästinensischen Widerstand“ war nicht nur ein rhetorischer Schwenk: Er entsprach der politischen Konjunktur in der Region.

Nachhaltiger September

Über die Niederlage in Jordanien wurde in der palästinensischen Literatur relativ wenig geschrieben. Einerseits lebt die Mehrheit der Palästinenser in Jordanien und im Westjordanland und ist somit materiell von einem guten Verhältnis zum jordanischen Regime abhängig. Andererseits blieb die Selbstkritik der Bewegung oberflächlich und hatte keine Konsequenzen. Die geschlagenen Führungen kamen aus Jordanien in den Libanon, verdrängten die lokalen Führungen und reproduzierten die Fehler von Jordanien bis zur israelischen Invasion von 1982.

Was in Jordanien offensichtlich wurde, waren Hauptcharakteristika der palästinensischen Bewegung, die gleichzeitig ihre Stärken und Schwächen und somit ihre Grenzen aufzeigen.

1. Die Vertreibung von 1948 schuf zwar eine palästinensische Identität, die sich von der gesamtarabischen differenziert. Diese Identität verhalf den Palästinensern, sich von der „Trägheit der Masse“ hinsichtlich des gesamtarabischen Befreiungsprojekts zu trennen und schnellere Schritte in Richtung Volkskrieg zur Befreiung Palästinas zu machen. Unfähig, das arabische Befreiungsprojekt fortzuführen, geschweige denn, Palästina zu befreien, begrüßten die arabischen Regime sowohl in ihren progressiven als auch ihren konservativen Exponenten das Entstehen einer separaten palästinensischen Bewegung. Dies hatte mehrere Vorteile: Die Palästina-Frage wurde delegiert und graduell vom Versprechen, Palästina zu befreien, losgelöst. Die eigene Verantwortung für die Niederlage gegenüber Israel konnte vertuscht werden. Die Gefahr, die von einer großen Masse an politisierten Flüchtlingen ausgeht, konnte minimiert und die gesamte Thematik von inländischen Themen getrennt werden. Letztlich wurden die inneren Spannungen kanalisiert, politischer Aktivismus in Richtung Palästina exportiert (in den 1980ern übernahm Afghanistan diese Rolle).

2. Der Rogers-Plan scheiterte schließlich an der israelischen Weigerung, aus den besetzten Gebieten abzuziehen. Jedoch gilt er als die offizielle Wende in der arabischen Position: Die arabischen Staaten gaben das Ziel, Palästina gänzlich zu befreien, endgültig auf. Es folgten weitere US-amerikanische und arabische Initiativen, die für die Palästinenser noch schlechter ausfielen. Die Liquidierung hat mit Rogers begonnen.

3. Die palästinensische Bewegung war nur innerhalb einer bestimmten internationalen und regionalen Konjunktur möglich. Genau so wie die erste Welle dem Rogers-Plan zum Opfer fiel, fiel die zweite Welle im Libanon dem Camp David-Abkommen zwischen Ägypten und Israel zum Opfer. Ebenso endeten die erste und die zweite Intifada mit den regionalen Konjunkturwechseln nach den ersten und zweiten Golfkriegen.

4. Nur die palästinensische Rechtsströmung, verkörpert durch Arafat, konnte das verstehen und sich durch verheerende Kompromisse eine nachhaltige politische Existenz sichern. Die Linke begriff die Notwendigkeit, auf die veränderte globale Konjunktur zu reagieren, blieb jedoch in den palästinensischen Verhältnissen gefangen und war nicht in der Lage, die für eine Veränderung notwendige politische Infrastruktur zu kreieren.

5. Der Anspruch der Palästinenser, Palästina zu befreien, ist auch in seinen minimalistischsten Ausdrücken konfrontativ. Die palästinensische Bewegung verfehlte über ihre ganze Geschichte diesen Anspruch, dem nur durch Widerstandsaktionen Nachdruck verliehen wurde, die jedoch nicht mit einem politischen Programm bzw. einer Militärstrategie verknüpft wurden. Undurchdachte Militarisierung überwog die Versuche, die Gesellschaft für einen langwierigen Kampf zu organisieren. Die somit zu erwartenden Niederlagen dienten dazu, den Opportunismus der Rechten zu rechtfertigen.

Die palästinensischen Verantwortlichen für die Niederlage vom Schwarzen September führte die Bewegung mit demselben Stil in ihre weiteren historischen Niederlagen bis hin zum Oslo-Abkommen. Sie leben heute in Ramallah ihren letzten Akt als Zuständige für Israels Sicherheit in einer palästinensischen Kollaborationsbehörde.

Informationsquellen:

Ziad Sayegh: Armed Struggle and the Search for a State: The Palestinian National Movement, 1949-1993 (1997); ISBN 0198292651

Washington Post, 21.12.1971, Interview mit Colonel Maan Abu Nuwar, Leiter der „Abteilung für Mobilisierung und Moralische Anleitung“ der jordanischen Armee

Al-Hadaf, Zeitschrift der PFLP, 5. und 19. September 1970 (in arabischer Sprache)
Shu’un Filistiniyyah,Nr.2, Mai 1971 (in arabischer Sprache)

Al-Thawra Al-Failastiniya, Zeitschrift der Fatah, Februar 1970 (in arabischer Sprache)

Les révolutionnaires ne meurent jamais : Conversations Georges Habache avec Georges Malbrunot, ISBN 2213630917, 9782213630915 (in französischer Sprache)

Ghassan Kanafani, Interview mit “New Left Review”, Nr. 67, 1971 (in englischer Sprache)