intifada: Welche Eindrücke haben Sie von der europäischen Solidaritätsbewegung?
Maryam Abu Dagga: Die Menschen in Europa haben sich verändert, ihre Meinung zu Palästina hat sich positiv gewandelt. Früher war die israelische Propaganda überwältigend, die Realität wurde der westlichen Öffentlichkeit vorenthalten. Doch im letzten Krieg und im Angriff auf die Mavi Marmara offenbarten der Imperialismus und der Zionismus ihr wahres Gesicht und das hilft meinem Volk.
intifada: Wie sind die Beziehungen der PFLP zur Fatah und Hamas?
Maryam Abu Dagga: Ich schlage der Führung der Hamas und Fatah die Erfahrung der palästinensischen Gefangenen als Beispiel vor und sage ihnen auf Demonstrationen und Konferenzen, dass wir palästinensische Revolutionäre sind, die gegen Israel kämpfen und unser Leben für Palästina geben und nicht für eine Partei. Die Einheit ist es, was für das palästinensische Volk notwendig ist. Wenn wir Palästina endlich befreit haben, können wir diskutieren, wie wichtig welche Partei für die Regierung ist, doch jetzt ist das ganze Volk besetzt und wir brauchen die Einheit aller gegen Israel als einzigen Feind. Der Zwist zwischen Parteien nützt nur Israel, niemals dem palästinensischen Volk.
intifada: Denken Sie, dass es möglich ist, die Fatah zurück in das Lager des Widerstandes zu holen?
Maryam Abu Dagga: Der Punkt ist nicht Fatah oder Hamas. Unsere Partei kämpft dafür, neue Richtlinien festzulegen, sodass jede Partei proportional vertreten ist. Dann kann keine Partei oder Bewegung die ganze Regierung kontrollieren und sich wie ein Diktator verhalten, denn wenn die Macht in der Hand einer einzigen Partei liegt, wird sie sich verändern und autoritär werden.
intifada: Ihr habt eure PLO-Mitgliedschaft ausgesetzt, weil die Verhandlungen nicht länger demokratisch legitimiert waren…
Maryam Abu Dagga: Unsere Partei ist mit Verhandlungen mit Israel nicht einverstanden, weil sie uns nirgendwohin führen – wir haben mit Israel geredet und nichts dafür erhalten, gleichzeitig raubt Israel weiterhin unser Land und baut Siedlungen. Das ist die erste Krise. Die zweite Krise betrifft Hamas: Sie spricht vom Widerstand, in der Praxis haben sie ihn aber eingestellt. Sie sind gegenüber Israel sehr still geworden, sie wollen einen Waffenstillstand, was ebenfalls gefährlich ist. Wir glauben, ohne Widerstand werden wir nichts erreichen, erst recht nicht, wenn wir gegeneinander kämpfen. Wir könnten ein Grundsatzprogramm des Widerstandes haben, ein nationales Programm, das den Parteien trotz ihrer Unterschiede zusagt. Die Verhandlungen müssen indes aufhören, denn es bringt unserem Volk nichts, Israel wird uns nichts geben. Israel ist eine Besatzungsmacht und das internationale Recht spricht uns das Recht auf einen Befreiungskampf zu. Warum sollen wir aufhören?
intifada: Denken Sie, dass die PLO reformiert werden kann?
Maryam Abu Dagga: Wir müssen versuchen, sie zu reformieren, denn in der PLO ist unser Platz, das ist unsere Geschichte. Sie ist nicht Eigentum der Fatah. Also arbeiten wir mit anderen, um die PLO wie früher als Plattform für alle palästinensischen Organisationen zu öffnen. Die PLO ist nicht vom Himmel gefallen, sie hat viele Opfer, viele Tote gekostet, und sie ist die Geschichte und das Zuhause des palästinensischen Volkes.
intifada: Wie sehen Sie die zukünftigen Entwicklungen? Wird es einen neuen Krieg geben? Provoziert Israel eine dritte Intifada?
Maryam Abu Dagga: Israel bereitet sich seit längerem auf einen neuen Krieg gegen Gaza vor, seine Propaganda arbeitet ebenfalls in diese Richtung. Wir haben nichts: keine Flugzeuge, keine Armee, keine Panzer. Israel auf der andern Seite versucht, so viele Palästinenser wie möglich zu ermorden. Doch wir haben nichts, womit wir uns verteidigen können.
Unser Volk ist seit dem letzten Krieg ohne Arbeit, Gesundheitsversorgung, sogar ohne Häuser, weil Israel den Wiederaufbau nicht erlaubt und kein Baumaterial nach Gaza lässt. Das ist unsere Tragödie und die ganze Welt ist taub. Darum ist es eure Pflicht als Internationalisten, darüber zu sprechen, das faschistische Gesicht Israels zu entblößen und zu versuchen, einen zweiten Krieg gegen unser Volk zu verhindern.
intifada: Also ist Ihr Aufruf an die Menschen in Europa, über die Besatzung aufzuklären und die Boykott-Bewegung zu unterstützen?
Maryam Abu Dagga: Das wäre gut, ist aber noch nicht genug. Wir brauchen viele Gruppen, die immer und immer wieder die Wahrheit erklären und der Öffentlichkeit die wahre Geschichte Palästinas vermitteln. Amerika und Europa haben ihre Türen geschlossen, nur Palästina hieß jüdische Siedler Willkommen. Doch sie begannen ihr kolonialistisches Projekt, töteten unser Volk und nahmen das ganze Land für sich selbst. Wir haben sie zu Beginn aufgenommen. Wir Palästinenser sind keine Antisemiten, die arabische Welt war toleranter als Europa und Amerika. Auch heute sind wir nicht gegen Juden oder irgendjemanden sonst. Wir sind gegen den Zionismus, die Speerspitze des Imperialismus. Wären die Juden in Palästina keine Zionisten, würden sie einem palästinensischen demokratischen Staat mit einer demokratischen Regierung zustimmen, sodass alle Menschen mit gleichen Rechten miteinander leben könnten, ohne religiöse, geschlechtsspezifische oder ethnische Diskriminierung. Doch die Israelis sind Zionisten, sie wollen die Palästinenser auslöschen und das ganze Land für sich.
intifada: Die Einstaaten-Lösung war immer eine Position der PFLP. Mit welcher Strategie wollt ihr sie erreichen?
Maryam Abu Dagga: Wir haben das Recht auf ganz Palästina. Doch im Augenblick sind wir mit einem nationalen Programm einverstanden, das den Palästinensern in den ´67-Gebieten Selbstbestimmung garantiert. Ganz Palästina ist unsere historische Heimat, doch auf dieser Grundlage wollen wir mit allen palästinensischen Kräften die Einheit erreichen. Wir erklären uns damit einverstanden, doch als einen ersten Schritt. Unser strategisches Ziel ist ein demokratischer Staat für alle Menschen.