Header Image
Footnotes in Gaza
29. Oktober 2011 - Tamara Rennein

Nach seinen bereits 1993 veröffentlichten Einzelcomics und darauf folgenden Graphic-Novels über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien kehrt Joe Sacco mit seinem jüngsten Comic thematisch wieder zurück nach Palästina. Während jedoch Palestine, Saccos erster Nahost-Band, einen umfassenden Überblick zu Entstehung und Fortgang des Konflikts bietet, legt der Comiczeichner in Footnotes in Gaza verstärkt Augenmerk auf die unscheinbaren Begebenheiten im Alltag der in Gaza lebenden palästinensischen Bevölkerung. Es sind die im Weltgeschehen als unbedeutend abgetanen Ereignisse der Vergangenheit, denen Sacco nachgeht und die er im Hinblick auf das aktuelle politische Geschehen in der Region als bedeutsam entlarvt.

Wie in seinen früheren Büchern, so ist auch die Geschichte in Footnotes in Gaza im selben Ausmaß simpel wie schockierend: Ein Journalist bereist im Zuge der Berichterstattung Krisengebiete dieser Welt – aktuell das 360 Quadratkilometer große und knapp 1,5 Millionen Menschen beherbergende palästinensische Autonomiegebiet am Mittelmeer. Was er dort vorfindet, verarbeitet der im Comic wie im wahren Leben als Journalist tätige Joe Sacco in schwarz-weiß gehaltenen Zeichnungen. Neben gewohnten Erzählsträngen werden den Rezipientinnen und Rezipienten auch die Beweggründe des Journalisten Joe geoffenbart. Denn der Beobachter unterzieht sich selbst ständiger Beobachtung und fragt immer wieder nach den persönlichen, hinter der Sensationsgier nach Geschichten liegenden Motiven für seine Reise. Damit übt er indirekt Kritik an einer journalistischen Jagd nach Tragödien.

Footnotes in Gaza liegt ein in der Öffentlichkeit vernachlässigter Massenmord zugrunde: das am 12. November 1956 an palästinensischen Männern verübte Massaker in Khan Younis nahe der palästinensisch-ägyptischen Stadt Rafah. Da in keinem namhaften westlichen Medium Informationen über diese seitens der israelischen Armee verübte Gräueltat gefunden werden konnte, machte sich Joe Sacco im November 2002 auf nach Gaza. In den folgenden vier Monaten sammelte er Augenzeugenberichte über die knapp fünf Jahrzehnte zurückliegenden Morde, wobei er sowohl in Gaza lebende Palästinenserinnen und Palästinenser als auch israelische Soldaten interviewte. (Am Ende des Buches findet sich eine umfassende Auflistung der verwendeten Quellen sowie der mit israelischen Soldaten geführten Gespräche.) Footnotes in Gaza lebt deutlich von Tragödien auf beiden Seiten, wobei klar bleibt, wer Aggressor ist. Allein damit erweist sich Sacco als sensibler Beobachter eines Konfliktes, der zur Langzeittragödie avancierte und dessen Vermittelbarkeit sprachlich eine Herausforderung bleibt – vielleicht ein Grund, warum der 51-jährige maltesisch-amerikanische Journalist vorwiegend in Bildern „schreibt“.

Die im Titel angekündigten Fußnoten prägen den Comic in zweierlei Hinsicht: Als historische Fakten und als persönlich Erlebtes der Protagonistinnen und Protagonisten. In beiden Fällen bestimmt das Geschehene die Gegenwart mit – sowohl im politisch-gesamtgesellschaftlichen Kontext als auch im Alltag der jeweiligen Personen und beeinflusst den aktuellen Konflikt nicht unwesentlich. „History can do without this footnotes. Footnotes are inessential at best; at worst they trip up the greater narrative.“ Für Joe Sacco erweisen sich die kleinen Fußnoten der Geschichte als nicht vernachlässigbare Größe hinsichtlich des Verstehens großer Erzählungen – wobei im Falle der schmerzlichen Historie Palästinas sofort die Frage auftaucht, inwieweit im Sinne eines ganzheitlichen Erfassens der Wirklichkeit verstanden werden kann .

Literatur:

Joe Sacco: Footnotes in Gaza. New York: Metropolitan Books 2009. [ISBN: 978-0-8050-7347-8]

Von Joe Sacco außerdem erschienen (Auswahl): Palestine (2001) [1993–1995 bereits als Einzelcomics publiziert]), The Fixer: A Story from Sarajevo (2003), Notes from a Defeatist (2003), But I Like it (2006).