Als ganzes betrachtet ziehen wir eine positive Bilanz. Die GMJ-Initiative erfüllte ihre Aufgabe, nämlich die andauernde Vertreibung der Palästinenser von ihrem Land und die fortgesetzte koloniale Expansion ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Das wurde durch die internationale Mobilisierung am Tag des Bodens, dem 30. März, erreicht. Schwerpunkt dabei war das besetzte Palästina selbst: Jerusalem, Gaza, das Westjordanland und auch die 1948 besetzten Gebiete, die heute Israel bilden – nicht zu vergessen die palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien und dem Libanon.
Sehr wichtig war auch die Asiatische Karawane von rund 150 Menschen, die durch mehr als ein halbes Dutzend westasiatischer Länder zog. In zahllosen öffentlichen Auftritten erzielten sie eine enorme politische Wirkung.
In dutzenden Städten in der arabisch-islamischen Welt, Asien, Europa, Amerika und selbst in Australien fanden Mobilisierungen statt – insgesamt ein beeindruckendes Ergebnis.
Erste Schritte eines antizionistischen Bündnisses
Auf der politischen Ebene erachten wir die Konsolidierung einer globalen antizionistischen Allianz als den wichtigsten Ausdruck des Erfolgs des GMJ.
Es ist einfach, die extremistische und offen rassistische Politik Netanjahus zu verurteilen. Selbst Israels westliche Verbündete äußern ab und an Kritik. Für den öffentlichen Konsum bestehen sie auf die Zwei-Staaten-Lösung, während sie realpolitisch Israels systematische Bemühungen, die Palästinenser aus ihrem Land zu vertreiben und ganz Palästina unter Kontrolle zu nehmen, tolerieren und sogar unterstützen.
Weite Teile der westlichen Solidaritätsbewegung halten indes an der Zwei-Staaten-Lösung fest. Dabei handelt es sich nicht nur um eine indirekte Rechtfertigung Israels. Die bittere Realität von zwei Jahrzehnten „Friedensverhandlungen“ belegt, dass Israel jedes Zugeständnis verweigert und keinerlei Interesse an einem Kompromiss hat. Die Zwei-Staaten-Formel ist nichts mehr als eine Deckung für die Weigerung, die demokratischen Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung anzuerkennen.
Im Gegensatz dazu hat das GMJ-Bündnis zum Zionismus eine klare und eindeutige Position – auch Dank der starken arabischen und asiatischen Beteiligung. Es lehnt einen exklusiven jüdischen Kolonialstaat ab und tritt für das Recht auf Selbstbestimmung ein, was das Rückkehrrecht für alle Vertriebenen einschließt.
Das ist keine Kleinigkeit, sondern ein politischer Schritt von großer Bedeutung. Eigentlich ist es das erste Mal seit 1989/91, dass im Westen eine breitere Koalition auf der Basis der Charta der palästinensischen Befreiungsbewegung möglich war. Daher ist es sekundär wie viele Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen tatsächlich teilgenommen haben. Wichtig ist vielmehr, dass sich die Allianz bildete und dass ihre Aktion stattfand. Auf dieser Basis kann nun die Koalition fortgesetzt, weitergetrieben und verbreitert werden.
In diesem Zusammenhang ist es von besonderer Bedeutung, dass die Initiative mehrere Kontinente umfasst und ihren Fokus in der arabischen Welt selbst hat. Das bringt auch die Fähigkeit der Kooperation zwischen säkularen und islamischen Kräften mit sich. Diese setzt gleichzeitig ein starkes Zeichen gegen die westliche Islamophobie, die zum wichtigsten ideologischen Schild der globalen Herrschaft gegen den antiimperialistischen Widerstand von unten avanciert ist.
Fallstricke der Geopolitik
Keine politische Initiative in der arabischen Welt oder eine sich auf diese beziehende kommt am wichtigsten politischen Ereignis seit der palästinensischen Intifada vorbei, namentlich der arabischen Intifada für demokratische und soziale Rechte gegen die vom Imperialismus beherrschte regionale Ordnung. In einem gewissen Sinn ist die arabische Volksrevolte von heute die späte Fortsetzung und Verbreiterung des palästinensischen Aufstands.
Auf der einen Seite war es der revolutionären Bewegung immer klar, dass die Befreiung Palästinas nur über die Befreiung der arabischen Kernländer von der imperialistischen Beherrschung möglich sein wird. Auf der anderen Seite waren die palästinensischen Organisationen angesichts eines überlegenen Feindes immer versucht, als Überlebensstrategie die Kooperation mit den verschiedenen arabischen Regimes zu suchen, die Teil der imperialen Ordnung bilden.
Die US-Ordnung in der Region ist heute geschwächt, erschüttert von den Schlägen der Volksmassen, aber sie ist noch nicht am Ende. Insbesondere durch die Petrodollars vom Golf, der geführt durch das Königshaus Saud das zentrale Glied der imperialen Herrschaft darstellt, kommt es zu einer großen Ungleichzeitigkeit des revolutionären Prozesses. Doch selbst dort, wo es gelang, die Diktatoren zu vertreiben, versuchen sich die alten Eliten mit Washingtons Unterstützung zu reorganisieren, während der große Bruder nach neuen Verbündeten unter den tief in den Massen verankerten islamischen Kräften Ausschau hält – was deren Unterstützung für die palästinensische Sache dämpfen wird.
Dann kommt da noch der besondere Fall der syrischen Volksrevolte. Die Gründe und Motive der Volksmassen sind über die gesamte arabische Welt mehr oder weniger dieselben. Tatsächlich ist das Assad-Regime hinsichtlich seiner sozioökonomischen Struktur den offen prowestlichen Regimen recht ähnlich. Sie werden jedenfalls von derselben neoliberalen Elite geführt. Den Unterschied macht die Unterstützung, die das Baath-Regime den verschiedenen Widerstandsorganisationen wie Hisbollah und Hamas zukommen ließ und lässt. Doch trotz dieser Unterstützung und trotz des Bündnisses mit dem Iran, dem wichtigsten staatlichen Gegner der US-Herrschaft, hat das syrische Regime nie das imperiale Gleichgewicht in der Region herausgefordert und angegriffen. Die palästinensische Sache ist ihren eignen Überlebensinteressen untergeordnet.
Bisher gelang es Assad, sich gegen die Volksbewegung an der Macht zu halten, dank der Allianz mit dem Iran, seiner Geschichte der Unterstützung der Widerstandskräfte und auch wegen des konfessionellen Schildes des Regimes. Dieser wird wechselweise durch die anti-schiitische Einmischung der Golfstaaten sowie durch die konfessionellen Untertöne des Milieus der Muslimbrüder gestärkt.
Obwohl der GMJ anstrebte, sich aus diesen Konflikten herauszuhalten, wurde er unweigerlich in diese hineingezogen, denn die palästinensische Frage ist organisch mit der arabischen Revolte verwoben.
In Ägypten gab es überhaupt keine bedeutende Mobilisierung, weil die Muslimbrüder derzeit die Palästinafrage im Hintergrund halten wollen, denn sie könnte den Ausgleich mit den USA behindern. Im Libanon zeigte keine der beteiligten politischen Fraktionen Interesse daran, das instabile Gleichgewicht im Land, das auch mit den syrischen Ereignissen verzahnt ist, zu erschüttern. Sie zogen es daher vor, unauffällig und zeremoniell zu bleiben. Die Flüchtlingslager wurden außen vor gelassen.
Der GMJ hätte diese politischen Rahmenbedingungen stärker in Rechnung stellen müssen. Eine massive Mobilisierung einschließlich der palästinensischen Flüchtlinge setzt jedoch eine größere Unabhängigkeit von den genannten Faktoren voraus.
Daher kam es gerade im besetzten Palästina zu den größten Mobilisierungen, denn dort war man am wenigsten im Netz der Interessen der lokalen Kräfte und Bündnispartner gefangen. Die Palästinenser machten ihre Stimme also selbst hörbar.
Schlussfolgerungen
Wie bereits genannt, streben wir nach der Konsolidierung der weltweiten antizionistischen Allianz. Aber nicht nur die Erfahrungen des GMJ veranlassen uns, die palästinensische Sache nicht von ihrem regionalen und historischen Umfeld herauszulösen. Nur die arabischen Volksmassen können den Zionismus und den Imperialismus besiegen. Die arabischen Regime sind die Wächter und Wärter der imperialen Ordnung und letztlich auch Israels. Auch jene Regime, die den Imperialismus verurteilen aber gleichzeitig ihr eigenes Volk despotisch unterdrücken und jeden Dialog mit der Volksrevolte ausschließen, haben keine Zukunft.
Die antizionistische Bewegung muss verstehen, dass sie nur erfolgreich sein kann, wenn sie antiimperialistisch in einem breiteren Sinn wird. Das bedeutet, dass sie auf die Volksbewegungen und Revolutionen setzen muss, selbst wenn diese Jahre dauern und immer wieder Rückschläge werden hinnehmen müssen. Wir müssen die Volksbewegungen unterstützen und gleichzeitig imperialistische Intervention, Einmischung und Missbrauch auch über regionale Stellvertreter bekämpfen. Unsere Unterstützung ist also nicht blind. Insbesondere gilt unsere Unterstützung den demokratischen und antiimperialistischen Komponenten der Bewegung. Wir verurteilen die antidemokratischen und konfessionellen Kräfte, die einen Bürgerkrieg provozieren, der dem Imperialismus in die Hände spielt.
Die Befreiung Jerusalems geht über Kairo, Damaskus und Algier und letztlich auch über den Golf – was den Kampf gegen den Imperialismus weltweit nötig macht. Was wir brauchen ist also ein revolutionäres antiimperialistisches Bündnis von unten.