Verboten ist der vierte Film der ägyptischen Regisseurin und politischen Aktivistin, nach In Beirut gibt es doch Meer (1999), Nur Träume (2005) und Ein Leben (2008).
Der Film ist ein historisches Dokument über die Monate unmittelbar vor dem Aufstand des 25. Jänner in Ägypten. Er zeigt die Verbote auf, die der ägyptische Bürger unter dem Regime von Mubarak erlebte, sowie die aufgestaute Wut, die zum Ausbruch des Aufstands führte. Die Protagonisten des Films sind politische Aktivisten, wie etwa die Regisseurin Arab Lotfi, die politische Aktivistin Salma Shokralla, sowie Mohammad Waked, der am 18. und 19. November 2011 im Rahmen der Vortragsreihe „Arabischer Frühling“ ebenfalls in Wien und Graz zu Gast sein und seine Version der Geschichte erzählen wird.
In Wien, im überfüllten Saal des Top-Kinos, stellte sich Amal Ramsis nach der Vorführung dem Publikum zur Diskussion über den Film und die aktuelle Lage in Ägypten. Sie sprach von den schwierigen Bedingungen, unter welchen der Film gedreht wurde. Sie erzählte, dass der Ausbruch des Aufstandes am selben Abend, an dem sie mit dem Filmschnitt fertig wurde, den Ausgang sowohl für sie als auch für den Film in ein Happy End umwandelte.
Im Rahmen des Abends trafen wir Amal Ramsis zu folgendem Gespräch:
Der Film zeigt eine Reihe von Verboten in der Zeit vor dem Januaraufstand. Welche Verbote wurden nach dem Aufstand aufgehoben?
Amal Ramsis: Zuerst möchte ich darauf hinweisen, dass ich vor dem Ausbruch des Aufstands mit der Filmmontage fertig wurde. Ich habe am Film nichts verändert außer das Ende. Auch die Aufnahmen, welche die Verbrennung von Mubarak-Bildern zeigen, stammen aus der Zeit davor. Würde ich theoretisch etwas am Film verändern, würde ich auch nur den Satz am Ende „Das ägyptische Volk hat das Regime gestürzt“ anders schreiben. Das Regime ist nämlich nicht gestürzt worden. Gestürzt ist nur der Kopf des Monsters. Sein Körper ist immer noch aktiv in allen Bereichen des Staates.
Alles, was nach dem Aufstand erlaubt wurde, ist nur de facto erlaubt, jedoch nicht durch Gesetzesänderungen abgesichert. Letzteres würde ein neues Parlament nötig machen. Das wichtigste ist auf jeden Fall die Freiheit des politischen Ausdrucks. Für uns als Filmemacher ist es die Freiheit, auf den Straßen zu filmen. Das war früher strengstens verboten und benötigte komplizierte Genehmigungen seitens der Sicherheitskräfte. Das ist heute de facto erlaubt. Außerdem haben Filmemacher wie alle anderen Ägypter das Recht auf unabhängige Gewerkschaften. Diese sind heute noch nicht offiziell anerkannt, vertreten jedoch die arbeitenden Menschen bei allen Verhandlungen. Auch das Streikrecht wurde von den arbeitenden Menschen in die Hand genommen. Heute streiken 70 % der ägyptischen Arbeitskräfte trotz des Streikverbots, das vom regierenden Militärrat verordnet wurde. Fassbar ist auch die Veränderung zwischen Bürgern und Sicherheitsapparaten. Die Ära der Willkür der Sicherheitsapparate ist vorbei. Dem Aufstand ist es gelungen, die gefürchtete und repressive Polizei zu zerlegen. Diese tauchte erst Monate nach dem Aufstand wieder auf und nur um den Verkehr zu regeln. Das entstandene Bewusstsein der Menschen wird diesen Apparaten nie wieder erlauben, die alte Rolle zu übernehmen. In diesem Zusammenhang möchte ich über einen Vorfall erzählen, der vor meinen Augen stattfand: Ein Polizist befiehlt einem Mann auf der Straße: „Du, komm her!“. Der Mann antwortet: „Komm du doch her! Ich bin das Volk!“
War das Drehen von so einem Film unter Mubaraks Regime keine Gefahr für die beteiligten Personen?
Tatsächlich riskierten Menschen, die sich politisch so deutlich artikulierten ihre Freiheit, wenn nicht ihr Leben. Daher wurden die Personen aus einem bekannten Kreis politischer Aktivisten, die täglich solche Risiken eingingen, ausgewählt. Für sie war die Teilnahme an diesem Film ein Teil ihres alltäglichen Kampfes gegen das Regime.
Haben Sie während der Dreharbeiten davon geträumt, den Film Verboten in Ägypten vorzuführen? Wie war die erste Reaktion nach der Uraufführung in Kairo?
Verboten in Kairo vorzuführen, davon habe ich vor dem Aufstand nicht geträumt. Die ägyptische Zensur, die nach dem Aufstand ebenfalls eine „revolutionäre“ Phase erlebte, erlaubte im Mai eine einzige Vorführung in einem großen Kino. Alle Protagonisten des Films waren dabei und beteiligten sich an der Diskussion. Ich kann mich erinnern, wie alle Anwesenden von Tränen überwältigt waren, obwohl der Film nicht traurig ist. Sie erinnerten sich an die Zeiten vor dem Aufstand. Heute kommt es uns vor, als ob es Jahrzehnte her wäre.
Der Film behandelt neben den politischen Verboten auch soziale Verbote, welche vor allem die Frauen treffen. Beim Aufstand war die wichtige Rolle der Frauen offensichtlich. Nach dem Aufstand wurde jedoch die Frauenkundgebung am 8. März angegriffen und heute werden konservative frauenfeindliche Stimmen lauter.
Die Muslimischen Brüder verbinden Frauenrechte mit Maßnahmen, die vom Regime auf Wunsch von Suzanne Mubarak, der Ehefrau des Diktators, angeordnet wurden. Wie sehen Sie die Zukunft der Frauenfrage in Ägypten?
Was am 8. März geschah, war ein Angriff von regime-nahen Schlägern und kann im Kontext des allgemeinen Angriffes des Militärrats auf Demonstranten am Tahrir-Platz interpretiert werden. In Ägypten spielen die Frauen eine wichtige Rolle in der politischen Szene, sei es bei der Teilnahme an Demonstrationen oder bei der Besetzung führender Positionen in vielen politischen Gruppen. Diese Präsenz ist so selbstverständlich, dass sie uns selbst nicht auffällt. Was jedoch die Frauenfrage betrifft, so ist diese ein Teil der allgemeinen sozialen und nationalen Frage. Die Situation der Frauen kann sich nicht bessern, während alle anderen politischen und sozialen Fragen hängen. Die Muslimbrüder haben nie eine fortschrittliche Position zur Frauenfrage gehabt und tun ihr Bestes, um noch die wenigen erkämpften Rechte der Frauen abzuschaffen. Was jedoch nach dem Aufstand auffällt, ist der Rückgang der sexuellen Belästigung der Frauen auf den Straßen. Das war dieses Jahr zu den Feiertagen im Ramadan auffällig, weil zu diesem Anlass sonst die Belästigungen am häufigsten waren.
Ist die Opposition nach dem Fall von Mubarak darin einig, was „verboten“ bleiben und was „erlaubt“ werden soll? Kann von einer geeinten Opposition gesprochen werden?
Die Opposition war im Jänner darin einig, dass Mubarak gestürzt werden musste. Nach seinem Abgang und der Machtübernahme des Militärrates spaltete sich die Opposition in der Haltung zu den Militärs. Während die Linke den Militärrat als einen Teil des Regimes sieht und seinen Abgang fordert, sind die Muslimbrüder in einem Bündnis mit dem Militärrat gegen den Rest. Der Aufstand änderte nichts an den Ideologien der bestehenden Parteien. Das heißt jede Gruppe sieht Reform und Veränderung je nach ihrem Weltbild. Das gilt auch für die konservativen Kräfte, die sich weigerten, am Aufstand teilzunehmen und danach aktiv wurden, um die jetzige Ordnung beizubehalten und Veränderungen zu verhindern. Wie gesagt: Mit Mubarak verlor das Monster nur den Kopf. Der Weg zu wahren Reformen ist noch lang.
Die vom Film angesprochenen Verbote hat Ägypten mit anderen Ländern der Region gemeinsam. Gibt es solche Verbote nicht auch teilweise in den sogenannten westlichen Demokratien?
Natürlich gibt es auch im Westen Verbote und die Auseinandersetzung mit diesen ist auch die Aufgabe der Aktivisten und Künstler der jeweiligen Länder. In Ägypten und im arabischen Raum sind die Verbote direkter und offensichtlicher. In westlichen Staaten gibt es hingegen eine Art Zensur und Selbstzensur. Das macht sich in der medialen Benebelung zur Lage in Ägypten nach dem Aufstand, sowie zur Lage in Jemen und Bahrain bemerkbar.
Was ist dein nächstes Projekt?
Neben der Begleitung der Vorführung von Verboten in mehreren Ländern und der Betreuung des Filmfestivals der arabischen und lateinamerikanischen Frauen „Unter Filmemacherinnen“, hoffe ich, dieses Jahr mein Traumprojekt wiederaufnehmen zu können. Das ist ein Film über die arabischen Kämpfer an der Seite der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg. Es handelt sich hier um hunderte Freiwillige, die von der offiziellen Geschichtsschreibung kaum erwähnt werden.