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„Es gab einen Befehl, uns etwas anzutun“
6. März 2010 - Stefan Kainz

intifada: Wie viele Seiten umfasst die Akte zu eurem Prozess?

Balluch: Wir liegen bei 200.000 Seiten, also doppelt so viel wie beim BAWAG-Prozess.

intifada: Wieso findet das Verfahren in Wiener Neustadt statt und nicht, wie von euch gefordert, in Wien?

Balluch: Ein Wiener Neustädter Staatsanwalt hat sich der Sache angenommen, ein Mitglied des Cartellverbands (CV) und darüber hinaus Jäger und gegen den Tierschutz eingestellt. Er hat sich offenbar besonders engagiert und das Ganze nach Wiener Neustadt verschleppt. Das funktionierte so: Bei einem Gumpoldskirchner Gemeinderat der Grünen gab es eine Hausdurchsuchung, die von demselben Staatsanwalt angeordnet wurde. Weil man diesen Gemeinderat verdächtigt hatte, auf die Wand eines Gasthauses gesprayt zu haben, in dem ein Nazitreffen stattfand. Gefunden wurde bei der Hausdurchsuchung nichts, der Verdacht stellte sich als falsch heraus. Seitdem wurde diese Person, die nichts mit unserem Fall oder dem Tierschutz zu tun hat, an der Spitze des Aktes geführt. Und dadurch fällt das Verfahren in diesen Bezirk, obwohl dieser spezielle Fall aus dem Akt entfernt wurde und sogar die damalige Justizministerin Berger von einem Versehen gesprochen hat.

intifada: Aber der nämliche Staatsanwalt war schon immer eine treibende Kraft hinter den Ermittlungen gegen euch?

Balluch: Ja, seit November 2006.

intifada: Und wie entstand die Sonderkommission, die euch bespitzelt und verfolgt hat?

Balluch: Die wurde im April 2007 gegründet, vom Innenministerium und den höheren Polizeirängen. Dazu kommen noch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, das Landesamt für Verfassungsschutz und die Mordkommission. Der Sitz der Sonderkommission ist in Wien, nicht in Niederösterreich.

intifada: Also behörden- und länderübergreifend?

Balluch: Sehr erhellend sind die E-Mails, die zwischen den einzelnen Behörden vor Gründung der Sonderkommission hin- und hergegangen sind, und die man zum Teil auf der Webseite von Peter Pilz nachlesen kann. Da schreiben die Beteiligten sinngemäß davon, man muss was gegen den Verein gegen Tierfabriken (VGT) unternehmen, obwohl der VGT nichts Kriminelles gemacht hat. Aber wenn man eine Sonderkommission gründet, dann muss eben am Ende auch was herausschauen. Es gab einen Marschbefehl, uns etwas anzutun.

intifada: Hast du Einsicht in alle Ermittlungsergebnisse der Sonderkommission?

Balluch: Nein. Wir haben von Anfang an Anträge gestellt auf Einsicht in die polizeilichen Ermittlungsakten, die wesentlich mehr umfassen als die gerichtlichen. Wir haben sie aber nie vollständig bekommen. Ich weiß beispielsweise aus dem Gerichtsakt, dass mein Auto acht Wochen lang mit einem Peilsender versehen wurde. Doch ich habe bislang keinen Satz dazu lesen dürfen – übrigens auch nicht zu dem Lauschangriff auf unser Büro, der mittels eines versteckten Mikrofons durchgeführt wurde. Auch die sogenannten verdeckten Ermittler, die sehr wahrscheinlich noch immer im VGT aktiv sind, wurden nie aufgedeckt.

Vor meiner Festnahme hat mich die Sonderkommission fünf Monate lang andauernd observiert, auch hierzu weiß ich nur sehr wenig. Und die Telefonüberwachung dauerte ja eineinhalb Jahre. Aber offenbar werden entlastende Ergebnisse der Ermittlungen aus dem Gerichtsakt herausgehalten.

intifada: Wie sahen die weiteren Methoden der Polizei aus?

Balluch: Es gibt unzählige Beispiele, aber um vielleicht ein besonders drastisches zu nennen: Die Beamten haben Flaschen von unseren Infotischen gestohlen, um die DNA von Aktivisten zu bekommen.

intifada: Wie gelang es eigentlich, dich so lange in Untersuchungshaft zu halten? Schließlich müssen regelmäßig Haftprüfungen durchgeführt werden, noch dazu von verschiedenen Richtern.

Balluch: Das österreichische Justizsystem ist, was die Untersuchungshaft betrifft, absolut menschenrechtswidrig und mittelalterlich. Es gibt schlicht keine Kontrollen und das weiß auch jeder der Beteiligten, weil es die Strafverteidiger täglich sehen. Es steht in der Strafprozessordnung ganz genau, wie die Haftprüfung abzulaufen hat: Man kann als Angeklagter Fragen zu den Vorwürfen stellen und etwa Zeugen aufrufen, um die Anschuldigungen zu entkräften, und man darf ein Schlussplädoyer halten.
In der Realität werden einem diese Rechte verweigert. Das Gesetz ist nur ein Klopapier. Man kommt zur Verhandlung hinein und der Richter sagt: „Verlängert, Wiederschauen“. Eine Sache von 30 Sekunden, unfassbar.

intifada: Wenn man sich diese Maßnahmen vor Augen hält, drängt sich die Frage auf: Hat sich in letzter Zeit die Gangart von Polizei, Justiz und Politik drastisch verändert?

Balluch: Man hat immer die Tendenz zu sagen: Alles wird schlimmer. Aber in diesem Fall ist die Einschätzung richtig. Es gibt eine globale Entwicklung, den Anti-Terrorwahn, den Neoliberalismus, der um jeden Preis den freien Markt schützen muss und die Protestbewegungen dagegen immer brutaler unterdrückt.
Beim Tierschutz haben wir Fortschritte erzielt, die die Wirtschaft eindeutig gestört hat. Etwa ein Legebatterieverbot, womit eine ganze Industrie, mächtige Wirtschaftstreibende und etwa 100 Betriebe, sich umstellen mussten. Die Auseinandersetzung dazu ist sehr intensiv verlaufen, mit Volksbegehren, mit der Mobilisierung der Öffentlichkeit, Besetzungen, Gegenveranstaltungen im Wahlkampf.

intifada: Also einerseits haben eure erfolgreichen Kampagnen das Establishment herausgefordert. Ist das Verfahren gegen euch aber nicht auch ein Testballon für den Paragraphen 278a, der in Zukunft noch breiter angewendet werden könnte?

Balluch: Absolut. Der Paragraph existiert zwar schon länger, als Handhabe gegen „kriminelle Vereinigungen“, aber die Änderungen, damit er auch auf politische Bewegungen angewandt werden kann, passierten erst nach dem 11. September 2001. Seit damals gibt es den Paragraphen in seiner jetzigen Formulierung. Und er wurde bereits bei der „Operation Spring“ und bei dem „Islamisten-Prozess“, gemeinsam mit Paragraph 278b („Terroristische Vereinigung“, Anmk.) angewandt.

intifada: Für euer Verfahren ist die Reaktion der Öffentlichkeit sehr entscheidend. Der Aufschrei war aber, trotz der zahlreichen demokratiebedenklichen Maßnahmen, die passiert sind, recht leise. Die liberalen Medien scheinen wenig interessiert an eurem Fall.

Balluch: Ich habe vor kurzem das Schlussplädoyer von Friedrich Adler bei seinem Prozess wegen dem Attentat auf Ministerpräsidenten Stürgkh (1916, Anm.) gelesen. Er kritisiert Österreich als ein Land, das von einer irrsinnig starken bürgerlichen Obrigkeitshörigkeit geprägt ist.

Und tatsächlich, auch wenn man mit sympathisierenden Journalisten redet, sind sie der Meinung: „Da muss was dran sein, die werden das schon gemacht haben“. Eine Art vorauseilender Gehorsam. Daher sind sie nicht einmal dazu bereit, die elementaren Grundrechte zu verteidigen. Erschütternd.

intifada: Wenn der Prozess überraschenderweise mit einem Freispruch für dich enden sollte, ist politische Arbeit für dich in Zukunft unter diesen Umständen überhaupt möglich?

Balluch: Eigentlich ist das nur bei einem Freispruch denkbar. Sollte ich schuldig gesprochen werden, dann stellt sich mir die Frage: Was soll ich denn anders machen?

Meine Aktivitäten, die in dem Gerichtsakt dokumentiert sind, waren in keiner Weise illegal, sondern ganz normale NGO-Arbeit. Die Vorwürfe gegen mich lauten unter anderem: Ich hätte in Legebatterien und Pelzfarmen gefilmt, Kampagnenstrategien entwickelt, Leserbriefe und Artikel verfasst, Tierrechtskongresse organisiert, ein Internetforum moderiert, Aktivisten geschult, oder etwa Aktionen des zivilen Ungehorsams durchgeführt. Das sind die Anschuldigungen gegen mich – was soll ich davon nicht mehr machen?