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Zwischen Hammer und Amboss
7. März 2010 - Mohammad Aburous

Die von Israel verhängte Blockade hat bisher etwa fünfhundert Menschen das Leben gekostet, die in direktem Zusammenhang mit dem Mangel an medizinischer Versorgung starben. Der Gazastreifen liegt großteils noch in Trümmern, weil Israel unter anderem die Zufuhr von Baumaterialien verhindert. Die lebenswichtigsten Materialien erreichen Gaza über Tunnel, die unter der ägyptischen Grenze verlaufen. Nun will Ägypten eine Stahlmauer entlang der Grenzen mit dem Gazastreifen bauen, die tief in den Boden hineinreicht, um die Untertunnelung zu verhindern.

Die inner-palästinensische Versöhnung
Nach dem Scheitern des so genannten palästinensischen Versöhnungsprozesses, bei dem die ägyptische Regierung der Hauptvermittler zwischen Fatah und Hamas war, hat sich die ägyptische Position hin zu offenem Druck auf die Hamas-Regierung in Gaza verschoben. Es ging um die Eingliederung von Hamas in die PLO, neue Wahlen in den palästinensischen Gebieten und um die Zukunft der Militärformationen der palästinensischen Organisationen. Im September 2009 legte die ägyptische Regierung das palästinensische „Versöhnungsabkommen“ vor, das die ägyptische Position widerspiegelte.

Fatah begrüßte den ägyptischen Vorschlag und unterzeichnete das Papier. Dies ist verständlich, da das Abkommen dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA), Mahmoud Abbas, während der vorgesehenen Übergangsperiode viel Macht einräumt, für Hamas jedoch keine Garantien auf demokratische Reformen vorsieht. Das Abkommen möchte auch alle palästinensischen Militärstrukturen in der PNA auflösen. Diese Kräfte unterstünden allein dem Präsidenten, was praktisch das Ende des bewaffneten Widerstands bedeuten würde. Trotzdem drückten die USA der ägyptischen Regierung ihr Missfallen aus, da das Abkommen die Anerkennung Israels seitens der Hamas nicht als Bedingung vorsieht. Das bedeutet, dass auf die PNA amerikanischer Druck ausgeübt wurde, keine ernsthaften Schritte zur Beendigung der internen Konfrontation mit Hamas zu unternehmen.

Die Unfähigkeit von Abbas, amerikanischem und israelischem Druck zu widerstehen, macht eine ernsthafte Ausführung eines solchen Abkommens unwahrscheinlich. Die Macht mit Hamas zu teilen würde die Rückkehr zu den Umständen unmittelbar nach den Wahlen von 2005 bedeuten, die zum inner-palästinensischen Machtkampf geführt hatten.

Die anderen palästinensischen Organisationen, wie etwa der Islamische Jihad und die PFLP kritisierten den Verlauf der Verhandlungen, in denen es praktisch mehr um eine Teilung der Macht zwischen den beiden großen Organisationen ging als um eine Reform der palästinensischen Politik und Institutionen. Zum Beispiel waren aus unterschiedlichen Gründen weder Fatah noch Hamas wirklich daran interessiert, die PLO zu reformieren.

Hamas teilte den Ägyptern ihre Vorbehalte zu diesem Abkommen mit, betonte jedoch gleichzeitig ihre Bereitschaft, es zu unterschreiben. Die ägyptische Regierung stellte der Hamas indes ein Ultimatum: Unterschreibt sie nicht, endet die ägyptische Vermittlung. Kairo weigerte sich, die Vorbehalte zu diskutieren.

Was die Unterzeichnung des Abkommens jedoch tatsächlich zu Fall brachte, war das Verhalten der PNA bezüglich des Goldstone-Berichts in der UNO. Abbas und die Ramallah-Regierung gerieten unter Beschuss aller politischen Kräfte in Palästina und im arabischen Raum. Die Unterzeichnung des Abkommens just in diesem Moment und unter diesen Umständen hätte auch Hamas ihre Glaubwürdigkeit als Widerstandskraft gekostet. Unter lauten Hochverratsvorwürfen an die PNA wünschte sie eine „Verschiebung“ der Unterzeichnung. Diese Entscheidung mag populistisch sein, sie ermöglichte jedoch Hamas dem ägyptischen Druck auszuweichen, wenigstens für einige Zeit.

Dadurch wurden die für den 24. Januar 2010 vorgesehenen palästinensischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen auf ein unbekanntes Datum verschoben. Abbas kündigte zwar aus Protest gegen das Scheitern der Verhandlungen mit Israel an, er würde bei den nächsten Wahlen nicht kandidieren. Er umschiffte jedoch durch die formal unglöste Situation aufgrund seiner abgelaufenen Amtsperiode als Präsident der PNA eine Klärung der Machtverhältnisse.

Ende der ägyptischen Vermittlung
Seit November 2009 stocken die inner-palästinensischen Verhandlungen. Ab diesem Zeitpunkt wird die Gaza-Blockade hermetischer. Was durch diplomatischen Druck der Ägypter aus Hamas nicht herauszuholen ist, wird durch die Blockade geholt. Die Sprache des Regimes verschob sich von der eines „Vermittlers“ zu jener einer politischen Partei, welche die Hamas in Gaza für die israelische Blockade verantwortlich macht, da diese nicht auf die israelischen Forderungen eingeht.

Alle Hilfslieferungen und politischen Solidaritätsaktionen werden blockiert. Der Weg auf den Sinai wird streng kontrolliert. Der „Gaza Freedom March“, der Ende Dezember 2009 etwa 1400 Aktivist/innen nach Gaza bringen wollte, war nicht die erste Aktion, die in Kairo gestrandet ist. Die vom britischen Abgeordneten George Galloway angeführte Karawane „Viva Palestina“, die über die Türkei, Syrien, Jordanien und schließlich Ägypten nach Gaza wollte, musste im jordanischen Hafen Aqaba umkehren und wieder von Syrien den ägyptischen Hafen Arish ansteuern, nachdem Ägypten die Einreise zum Hafen Nuwabei am Roten Meer verweigert hatte. In Arish warteten weitere Überraschungen auf die Aktivist/innen. Die Hilfsgüter mussten durch israelische Kontrollen gehen und durften nicht über den „Personengrenzübergang“ Rafah mitgenommen werden. Die am Hafen protestierenden Aktivist/innen wurden von der ägyptischen Polizei brutal angegriffen.

Gleichzeitig werden die Tunnel mit Hilfe US-amerikanischer und israelischer Experten systematisch gesprengt oder mit Wasser geflutet. Eine Stahlmauer wird entlang der Grenzen in den Boden gelassen. Die sprengungsgeprüften Metallnetze sollen mehrere Meter tief unter die Erde reichen, um neue Tunnel zu verhindern. Es ist anzunehmen, dass diese Maßnahme die ohnehin schlechten humanitären Bedingungen in Gaza weiter verschärfen wird, da die Tunnel praktisch der einzige Weg sind, um unabhängig von israelischer Gnade Lebensmittel, Medikamente und andere lebenswichtige Materialien zu erhalten.

Mubaraks Regime: Herbst des Patriarchen
Derzeit ist die prioritäre Frage für das ägyptische Regime die Vererbung der Macht von Mubarak Senior auf Mubarak Junior. Für diesen Schritt, der innenpolitisch von allen abgelehnt wird, ist Mubarak auf die Unterstützung der USA angewiesen. Dafür kooperiert er mit Israel bei der Aufrechterhaltung der Blockade über Gaza und bei der regionalen Mobilisierung gegen den Iran.

Das regionale Prestige Ägyptens, das seit der Unterzeichnung des Camp David-Abkommens mit Israel 1979 schrittweise zurückging, ist in den letzten Jahren auf Sturzflug. Öffentlich definiert das Regime seine neue Feinde: Iran, die Schiiten, Hamas und Algerien (nach dem verlorenen Fußball-WM-Qualifikationsspiel, das aufgrund der darauf folgenden Krawallen zum Politikum zwischen beiden Staaten wurde).

Hingegen nimmt die Bedeutung der Türkei als Vermittler zu. Ankara, selbst einst der wichtigste Verbündete der USA, bietet sich als Stabilisierungsfaktor in der Region an. Während sich die türkischen Militärs zur Iran-Frage eher neutral geben, verweist die Regierung auf die islamische Brüderlichkeit. Im Gegensatz zu Mubaraks Regime, das als willenlose Marionette der USA erscheint, konnte die Türkei das Bild eines „Vermittlers“ bewahren. Im arabischen Raum steigt die Sympathie für Erdogans Regierung, die zumindest der Schein umgibt, den Israelis die Stirn zu bieten.

Tödlicher Stillstand in Gaza
Die langsamen regionalen Veränderungen werden sich auch in Gaza bemerkbar machen. Bis dahin sind die Palästinenser mit der kalten Realität einer uneingeschränkten israelischen Brutalität konfrontiert, die in der Weltgemeinschaft Tag für Tag selbstverständlicher wird. Die Kooperation der arabischen Regime gegen den palästinensischen Widerstand wird ebenfalls Tag für Tag unverschämter.

Der Stillstand in Gaza wird sichtbar in der die Farce der „nationalen Versöhnung“ zwischen Hamas und Fatah, dem praktisch einseitigen Waffenstillstand mit Israel und das Fehlen einer neuen politischen Strategie des palästinensischen Widerstands. Hingegen sind die israelische Blockade und die neue ägyptische Mauer die einzigen harten Tatsachen zu Jahresbeginn 2010.