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Einigung auf Nichteinigung
28. August 2010 - Mohammad Aburous

Während dieser Artikel geschrieben wird, dauert die vor Wochen begonnene Stimmenauszählung der sudanesischen Parlamentswahlen von Mitte April 2010 noch an. Die Ergebnisse der gleichzeitig stattfindenden Präsidentschaftswahlen überraschen kaum: In Abwesenheit eines ernstzunehmenden Gegenkandidaten wurde Präsident Omar Baschir mit großer Mehrheit in seinem Amt bestätigt. Sein Partner Salvakiir im Süden des Landes gewann ebenfalls mit einer Mehrheit von 93 Prozent gegen das Bündnis der südlichen Opposition und wurde zum ersten Präsidenten des Südsudans gewählt. Wenn auch das offizielle Ergebnis der Parlamentswahlen noch ausbleibt, ist ein überwältigender Sieg von Baschirs Nationaler Partei im nördlichen und der Volksbewegung (SPLM) im südlichen Teil des Sudans sicher. Somit wurden in beiden Teilen des Landes die tatsächlichen Machthaber im Amt bestätigt.

Zu gut: Ein Wahlsieg wird zum Verhängnis

Die Opposition in beiden Teilen beklagt „Irregularitäten“. Die Parteien des sogenannten Juba-Abkommens, die wichtigen Oppositionsparteien des Landes, hatten zuvor die Verschiebung der Wahlen gefordert. Als dies von Baschirs Regierung abgelehnt wurde, warfen sie der Regierung im Voraus Wahlfälschung vor. Bis auf die „Volksbewegung“, die den Süden praktisch regiert, boykottierten folglich alle wesentliche Oppositionskräfte den Urnengang bzw. beschränkten sich darauf, „unabhängige“ Kandidaten ins Rennen zu schicken. Die SLPM selbst boykottierte die Wahlen im Norden und kandidierte nur in den Südgebieten.

Die Zählungen zeigten dennoch hohe Wahlbeteiligung und überwältigende Mehrheiten beider Großparteien in den jeweiligen Teilen des Landes.

Die hohe Wahlbeteiligung deutet auf Stabilität des Regimes von Baschir (zumindest in bestimmten Gebieten) hin. Diese ist wiederum dem neuen Wohlstand zu verdanken, der mit dem Erdölexport zusammenhängt. Die Machthaber des Nordens und des Südens teilen sich den Gewinn und sichern somit ihre Stellung in ihren jeweiligen Gebieten. Der Vorwurf der Fälschung reicht demnach nicht, um den flächendeckenden Sieg beider Parteien zu erklären. Vielmehr ist es der Opposition tatsächlich nicht gelungen, die Massen zu überzeugen. Die Forderung nach der Verschiebung der Wahlen beruhte auf dem Wunsch einer bisher untätigen Opposition, Zeit für ihre Wahlkampagne zu gewinnen. Gegen das Beharren Baschirs auf der Einhaltung des Datums konnte die Opposition keine für die Wähler überzeugenden Argumente liefern, die nicht auf die eigene Unfähigkeit hindeuten.

Jedoch darf das nicht als das politische Ende der klassischen Oppositionsparteien betrachtet werden. Diese haben nach wie vor Rückhalt in der Bevölkerung: Der Sieg Baschirs und Salvakiirs ist zu groß, um ihn glaubwürdig zu präsentieren. Übertrieben hohe Wahlergebnisse sind immer angreifbar, nicht nur in westlichen Medien mit selektiver Wahrnehmung in Bezug auf Demokratie.

Andererseits schwächt das Wahlergebnis die Hoffnung auf nationale Versöhnung innerhalb und zwischen beiden Teilen des Landes. Beide Machthaber sehen das Ergebnis als einen Freibrief seitens der Bevölkerung. Die Opposition wird in beiden Teilen des Landes lauter und entsprechend härter unterdrückt. Die Pressezensur ist nach den Wahlen verschärft worden. Journalisten werden täglich bedroht. Das Ausbleiben einer echten politischen Beteiligung behindert die Integration beider Landesteile, sie beschleunigt im Gegenteil den Separationsprozess.

Militärische Auseinandersetzungen

Im Süden, wo die SPLM etwa 93 Prozent der Stimmen erhielt, brachen Mitte Mai im Bezirk Jonglei militärische Auseinandersetzungen mit den Truppen des Wahlverlierers, General George Ator, aus, der seinem Gegner Salvakiir Wahlbetrug vorwirft. Ator ist einer der historischen Anführer der SPLM, der sich nach dem Tod des Gründers John Garang abspaltete. Er kandidierte als Unabhängiger und verlor in seinem Gebiet gegen den Kandidaten der SPLM. Nun droht Salvakiir, die Rebellion durch Einsätze seiner neugegründeten Luftwaffe zu beenden. Laut dem US-Sondergesandten Scott Gration, Berater der südsudanesischen Regierung für die Phase nach dem Referendum, ist eine Ausbreitung der militärischen Auseinandersetzungen im Südsudan zu erwarten.

In Khartum wurde Hasan Turabi, Anführer der größten Oppositionspartei „Volkskongress“, gemeinsam mit dem Chefredakteur einer ihm nahe stehenden Zeitung verhaftet. Als Grund gab die Regierung die „Veröffentlichung von Informationen, welche die nationale Sicherheit gefährden“ an. In einem Interview soll Turabi festgestellt haben: „iranische Revolutionsgarden sind in Khartum anwesend und arbeiten an der Entwicklung neuer Waffen, die an Hamas in Gaza geliefert werden“. Handelt es sich hier um eine reine Behauptung der Regierung, dann zeigt dies ihre Nervosität. Stimmt sie jedoch, so ist das ein Indiz dafür, wie weit Turabi gehen würde, um außenpolitischen Druck auf Baschirs Regime herbeizuführen. Turabi war zwischen 1989 und 1999 Verbündeter Omar Baschirs und der Theoretiker der „Rettungsrevolution“, wie Baschirs Militärputsch von 1999 offiziell hieß. Damals predigte Turabi einen modernen islamischen Staat und eskalierte durch seinen Aufruf für den Jihad den Krieg im Süden. Turabis „zivilisatorisches Projekt“ wurde durch den internen Putsch Baschirs aufgehalten. Turabi schloss sich 2001 den Oppositionskräften im Süden an und unterschrieb ein Abkommen mit John Garang. Neben der traditionellen Umma-Partei von Al-Mahdi, der Demokratischen Unionspartei der Familie Merghani und der Kommunistischen Partei Sudans zählt Turabis Volkskongresspartei zu den wichtigsten Oppositionsparteien des Landes. Traditionell haben diese Parteien ihre regionalen Hochburgen, die auf Stammes- und Klanstrukturen beruhen.

Gescheiterte Verhandlungen

Gleichzeitig kollabierten die Verhandlungen in Doha zwischen der Regierung und den Darfur-Rebellen und damit auch der Waffenstillstand. Die wichtigste Rebellentruppe, die Turabi-nahe „Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit“ zog sich aus den Verhandlungen zurück. Auf seinem Rückweg nach Darfur wurde ihr Anführer Khalil Ibrahim von den tschadischen Behörden verhaftet. Er musste das Land in Richtung Tripolis (Libyen) verlassen. Im Mai kam es erneut zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Truppen der Bewegung und der Regierungsarmee.

Auch im Süddarfur brachen Ende April in Bahr-El-Ghasal militärische Auseinandersetzungen zwischen arabischen Stämmen und der südsudanesischen „Volksarmee“ aus.

Letztlich haben die Wahlen die problematische Situation für das Regime nicht gelöst oder auch nur gemildert. Die Nachhaltigkeit des Wahlsieges der Regierung hängt von ihrer Lesart der Wahlergebnisse ab. Eine Weiterführung der bisherigen Politik kann die zentrifugalen Kräfte zuspitzen und so der Regierung zum Verhängnis werden.

Historische de-facto-Teilung des Landes

Parallel zu den Wahlen begann das offizielle Komitee zur Grenzziehung im ethnisch gemischten (und erdölreichen) Abye-Gebiet seine Arbeiten. Das ist der letzte formale Schritt zur Offizialisierung einer de-facto Trennung des Landes, die es seit der britischen Kolonialherrschaft gab und welche durch das Friedensabkommen von Nifascha im Jahr 2003 tragend wurde. Schon zu den Zeiten der britischen Herrschaft (1877-1956) wurde der Süden vom Rest des Landes strukturell getrennt und unter dem Vorwand, die Naturvölker zu beschützen, für die Bevölkerung des Nordens abgeriegelt. Die Kolonialbehörde bemühte sich, jeden Kontakt beider Landesteile zu verhindern. Die Ausbreitung des Islam wurde bekämpft, während die christlichen Missionen freie Hand hatten. Die politische Elite des Südens wurde in Uganda ausgebildet, im Gegensatz zur Elite aus dem Norden, die damals entweder in London oder in Kairo studierte. England hatte sich das Ziel gesetzt, den Sudan von Ägypten zu trennen und den Südsudan vom Norden abzuspalten. Dadurch musste sich der Süden relativ auf Zentralafrika (vor allem Uganda) orientieren, um die britische Herrschaft im Zentralafrika im Rahmen des Commonwealth zu sichern. Wenn auch England dabei erfolgreich war, den Sudan von Ägypten abzutrennen, so scheiterte damals der Versuch, einen unabhängigen Staat im Südsudan zu kreieren, am Widerstand der politischen Kräfte in beiden Teilen des Landes.

Nach der Unabhängigkeit änderte sich nur wenig an der strukturellen Trennung und der Marginalisierung des Südens (wie auch anderer Teile des Landes). Den unterschiedlichen Regierungen in Khartum war eine zentralistische Tendenz gemein, wo es keinen Platz für die Beteiligungen der Regionen an der Macht gab. Im christlich geprägten und ethnisch unterschiedlich zusammengesetzten Süden war es daher nur eine Frage der Zeit, bis sich lokale Kräfte dazu entschließen würden, das Problem mit Waffengewalt lösen zu wollen. Es kam nach der Unabhängigkeit häufig zu Auseinandersetzungen, wobei die Regierung glaubte, diese militärisch beendet zu haben. Die Bewegung des ehemaligen Armeeoffiziers John Garang entstand auf dem Höhepunkt der Konflikte. Mit einer militärisch erfahrenen Bewegung mit ausreichender Unterstützung aus dem Ausland konnte die Regierung nicht militärisch abrechnen. Über zwanzig Jahre dauerte der Bürgerkrieg. Die wesentlichen Kräfte der sudanesischen Opposition schlossen sich John Garang und seiner SPLM an.

Friedensabkommen von Nifascha

Der Krieg endete im Jahr 2003 mit dem Friedensabkommen von Nifascha zwischen Omar Baschir und John Garang, in dem die Forderungen der rebellischen Volksbewegung nach Autonomie, Machtbeteiligung und Volksabstimmung im Süden erfüllt wurden. Das Regime Baschirs wurde zudem gezwungen, freie Wahlen in Aussicht zu stellen. Auch wenn das Abkommen die Einheit des Landes als die erste Option vorsieht, so blieb die de-facto Trennung dennoch aufrecht. Trotz einer gemeinsamen Regierung wurden die Streitkräfte nicht vereinigt. John Garang, selbst sekulär und Befürworter eines föderalen Systems im Rahmen einer Nationaleinheit, starb vier Monate nach Unterzeichnung des Abkommens. Sein Nachfolger Salvakiir, ein fanatischer Christ und Befürworter der Separation, hält sich nur mit Mühe zurück, die Bevölkerung dazu aufzurufen, bei der Volksabstimmung im Januar 2011 für die Separation zu stimmen.

Boykott der Wahlen

Wie erwähnt kandidierte die SPLM nur in den südlichen Gebieten, Baschirs Nationale Partei nur im Norden. Die SPLM teilte zwar die Kritik der Opposition und boykottierte schließlich die Wahlen im Norden, erkannte jedoch den Ausgang der Präsidentschaftswahlen an. Die Separation des Südens als Resultat der Volksabstimmung Anfang 2011 ist heute mehr als wahrscheinlich, ebenso die Tatsache, dass die Regierung in Khartum dieses Ergebnis akzeptieren würde. Dies erklärt die „Einigkeit“ der beiden Machthaber: Jeder sichert seine Macht in seinem Landesteil. Sowohl im Norden als auch im Süden werfen die anderen politischen Kräfte beiden Machthabern vor, ähnliche Methoden bei der Unterdrückung der Opposition anzuwenden.

Letztendlich haben die Wahlen im April 2010 die strukturelle Trennung auf Ebene von Verwaltung, Armee und Auslandsverbindungen vertieft. Beim feierlichen Antritt der Regierung des Südens beteuerte Selvakiir zwar seine Zustimmung zur Einheit des Sudan. Er bedauerte jedoch, dass der Versuch, diese aufrechtzuerhalten, zu spät gekommen sei. Der nördliche Partner sei für eine mögliche Separation verantwortlich.

Auch wenn sich beide Seiten gegenseitig vorwerfen, die Opposition im anderen Teil zu unterstützen, tendiert das Verhalten beider Machthaber angesichts der derzeitigen Lage zur Deeskalation.

Weitere Teilungen des Sudan?

Dem Wunsch des Westens zum Trotz bestätigten die Wahlen Omar Baschir in seinem Präsidentenamt. Sein darauffolgender Besuch in der Türkei stellt eine Herausforderung gegenüber dem internationalen Haftbefehl dar. Baschir, dessen Amtszeit die längste eines sudanesischen Präsidenten ist, scheint gefestigt an der Macht zu sein. Bis zum Referendum vom Januar 2011 kann er mit außenpolitischer Entspannung rechnen.

Aus Sicht des Westens hängt das weitere Vorgehen im Sudan von der Stabilität ab, die potenzielle neue Staatsgebilde und deren Regierungen garantieren könnten. Die Option, den Sudan in kleinere Einheiten zu zerlegen, wird derzeit an den Erfolgschancen eines neuen Staates im Südsudan geprüft – dies wäre die erste Veränderung von Kolonialgrenzen in Afrika. Kein Interesse hat der Westen an der Entstehung mehrerer kleiner „failed states“, die nicht nur die reibungslose Ausbeutung der Ressourcen erschweren, sondern auch potenzielle Unruheherde, Fluchtorte für „Terrorgruppen“ und Zonen illegalen Handels darstellen würden.

Für die Zentralregierung in Khartum stellt sich die Sache anders dar. Wenn die bevorstehende Trennung des Südens eine Folge ihrer Schwäche ist, die große Ausdehnung und ausgeprägte Vielfältigkeit des Landes unter Kontrolle zu halten, dann wiederholt sich heute das Trennungs-Szenario in Darfur und ist auch im Osten des Landes nicht auszuschließen. Ohne Beteiligung der Regionen und deren politische Kräften an der Macht und am neuen Wohlstand wird die Zentralregierung das Problem des latenten Separatismus nicht lösen. Gelingt es der Regierung nicht, glaubwürdige Reformen einzuleiten, so suchen die Oppositionskräfte den Schutz der regionalen Bewegungen. Somit werden regionale zu separatistischen Protestbewegungen, mit denen Omar Baschir zu Kompromissen in Bezug auf die Souveränität gezwungen wird, um die Macht in Khartum zu behalten. Nicht zu Unrecht schrieb der sudanesische Schriftsteller Abdelwahab Aafandi: „Im Sudan ist es leichter, die Regierung auszuwechseln als die Führer der Oppositionsparteien“.