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Ein Verlust für die arabische Kultur
30. Januar 2011 - Mohammad Aburous

Wattar schloss sich 1956 der algerischen Revolution an und war Mitglied in der Nationalen Befreiungsfront (FLN), die ihn 1984 wegen der Veröffentlichung der kritischen Kurzgeschichte „Die Negerin und der Offizier“ in Frühpension schickte. In der FLN galt er als Kommunist und zählte zur linken Opposition. Als Algerien die Unabhängigkeit erlangte, gründete er mehrere linke Zeitschriften für Politik und Kultur, die sukzessive als „kommunistische Medien“ verboten wurden. Er opponierte gegen den Putsch von Houari Boumedienne, gegen Ahmad Ben Bella und trat für Demokratie ein. Auch 1990 war Wattar einer der wenigen nicht-religiösen Intellektuellen, die den Militärputsch ablehnten und die Anerkennung des Wahlergebnisses, d. h. des Sieges der Islamischen Heilsfront (FIS) forderten. Während des algerischen Bürgerkriegs der 1990er Jahre lehnte er den Begriff „Terrorismus“ ab und zog die Definition „Gewalt und Gegengewalt“ vor. Aus Protest gegen das Militärregime trat er von seinem Posten beim staatlichen Rundfunk zurück.

Tahir Wattars frühe Romane reflektieren die Herausforderungen beim Aufbau des modernen Staates und einer modernen Gesellschaft in Algerien sowie das widersprüchliche Verhältnis zur Moderne. In einem seiner Romanen beschrieb er die neuen Regenten folgendermaßen: „Von der Moderne übernahmen sie einzig Waffen, um den Bürger zu tyrannisieren, und das Radio, um ihm Kopfschmerzen zu verursachen. Und bei beiden sind sie nur Konsumenten.“

Schon im seinem ersten Roman (La’az, 1974) gab er ein entmystifiziertes Bild der algerischen Revolution und schilderte die Kinderkrankheiten der Bewegung, die später zu ihren chronischen Schwächen wurden. In der Kurzgeschichtensammlung „Die Märtyrer kehren diese Woche zurück“ nimmt die Kritik einen schärferen, jedoch humoristischen Charakter an. In seinem zweiten Roman „Das Erdbeben“ stellte er den hartnäckigen Widerstand des Bürgertums gegen die Landreform dar. Er kritisierte in mehreren Arbeiten die Korruption des aufgeblähten Staatsapparats und warnte vor einer neuen postkolonialen Elite, die er als Handlanger Frankreichs in Algerien betrachtete. In diesem Kampf war Wattar unerbittlich und neigte zu Übertreibungen: 1993 schockierte er die intellektuelle Elite, als er den Mord am frankophonen Schriftsteller Tahir Jaout mit den Worten kommentierte: „Keiner wird ihn vermissen, außer seine Mutter und Frankreich“.

In seinen späteren Werken tendierte Wattar zu literarischen Experimenten und befasste sich in einer sehr mutigen Art mit dem Niedergang der Linken sowie mit der neuen islamischen Bewegung. Auf kultureller Ebene kämpfte Wattar gegen die Frankophonie in Algerien und plädierte für eine Rearabisierung des Landes, die auf keinen Fall die kulturellen Besonderheiten der Amazigh (Berber) vernachlässigen dürfe. Er gilt als der Begründer des arabischsprachigen algerischen Romans. 1989 gründete er die Gesellschaft „al-Jahiziyya“. Benannt nach dem arabischen Schriftsteller und Linguisten al-Jahiz (ca. 776–868) aus der Abbasiden-Zeit, widmete sich diese Gesellschaft der Förderung der arabischen Sprache und Literatur in Algerien. Dies erklärt die Vernachlässigung seiner Werke in den westlichen Ländern.

Die Beziehung zwischen dem Intellektuellen und dem Regime blieb sein politisches und literarisches Leben lang ein Hauptanliegen. Diesem Thema widmete er auch seinen letzten Roman „Eine Hymne an das Kriechen“.

Wattar war ein Musterbeispiel des organischen Intellektuellen im Sinne Gramscis. Mit seinem Tod haben die algerische und die gesamtarabische kulturellse Bewegung nicht nur einen hervorragenden Romanschriftsteller und gewitzten Erzähler verloren, sondern auch einen unermüdlichen Kämpfer für die Erhaltung der fortschrittlichen, emanzipatorischen arabischen Kultur.