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Syrien: Der Antiimperialismus bedarf des Volkes
1. August 2011 - Wilhelm Langthaler

Die imperialistische Architektur der arabischen Welt, einem neuralgischen Punkt der globalen Ordnung, ist im Begriff unter den Stößen der Massen in sich zusammenzubrechen. Um erfolgreich zu sein, reicht es für linke Kräfte jedoch definitiv nicht, die Errungenschaften der Vergangenheit zu verteidigen, die überdies schal geworden sind. Sie sind verloren, wenn sie ihr Schicksal an jenes von Figuren wie Assad binden, ganz zu schweigen von Ghaddhafi, der anders als Asad nur sich selbst verteidigt.

Grundlose Angst der Linken

Der Kontext der allgemeinen arabischen Volksbewegung sollte der Linken die Angst vor einer Mobilisierung in Syrien nehmen. Nur durch demokratische Freiheiten und die Bewegung der Massen wird es auf lange Sicht möglich sein, dem Imperialismus die Stirn zu bieten. Dies wird hingegen nicht durch einen verkrusteten, bürokratischen und autokratischen Antiimperialismus gelingen, der nur zu oft schneller als man sich dessen gewahr werden kann kapitulierte. Um sich zu befreien, werden die arabischen Massen Volksaufstände mit einem Volkskrieg führen müssen, zu dessen Führung die alten staatlichen Eliten – auch jene, die mit dem Antiimperialismus spielen – gänzlich unqualifiziert sind. Anders ausgedrückt: Die Zukunft liegt bei der Hisbollah, nicht bei Assad.

Klar, dass dieser Gegensatz heute nicht so deutlich erscheint. Assad unterstützt die Hisbollah und das ist entschieden zu verteidigen. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, wie wenig Zustimmung das Regime von unten hat, wie hohl und auch wie konfessionell organisiert es ist. Assad führte eine ganze Reihe von liberalistischen Reformen mit Privatisierungen und Abbau staatlicher Leistungen für die Armen durch. Die sozialen Gegensätze haben sich verschärft. Arbeitslosigkeit und extreme Armut sind allgegenwärtig. Die Forderung der Massen nach demokratischen Rechten und sozialer Gerechtigkeit ist absolut legitim und kann nur durch Druck von unten, durch Demonstrationen und Massenproteste durchgesetzt werden, selbst wenn es dabei zu Gewalt kommen mag. Assad begeht einen unverzeihlichen Fehler, wenn er glaubt, Katz und Maus spielen zu können, indem er die Aufhebung des Ausnahmezustands in Aussicht stellt, ohne von einem Zeitpunkt zu sprechen. Will er die Zugeständnisse etwa erst dann machen, wenn die Bewegung abgeebbt ist? Für die Baath sind die Volksmassen die größere Gefahr als der Imperialismus.

Ein kurzer Blick auf die Geschichte ist aufschlussreich. Da ist nicht nur der paradigmatische Verrat des Panarabismus durch Sadat nach Nassers Tod und die Niederlage von 1967. Doch was da von der historischen Bühne abtrat, war hohler, rhetorisch aufgeplusterter Antiimperialismus einer Elite, die weder fähig noch gewillt war, die Volksmassen zu mobilisieren und sich auf sie zu stützen. Die Assad-Dynastie spielt seit Jahrzehnten virtuos diese Geige, weil sie die Golan-Höhen nicht zurückbekommt – im Gegensatz zum Sinai, den Kairo mit beschränkter Souveränität zurückerhielt. Aus der Not eine Tugend machend, schmückt sich das Regime gegenüber den arabischen Massen mit seiner Standhaftigkeit gegen Israel.

Es darf nicht vergessen werden, wie Syrien in den 1970er Jahren militärisch in den libanesischen Bürgerkrieg gegen die Linke und die Palästinenser eingriff, denn Syrien fürchtete nichts mehr als deren Sieg. Genausowenig ist die syrische Unterstützung für die westliche Aggression gegen den Irak 1991 zu vergessen, die Damaskus die US-Duldung für seine militärische Präsenz im Libanon einbrachte.

Es ist nicht reiner Zufall, dass Assad nach dem mit Gewalt begegneten ersten Ausbruch der Proteste mit der vorsichtigen Unterstützung der imperialen Hierarchie aufwarten konnte. Während die mit Israel verbundenen Neocons ihre ständigen Aufrufe zum regime change nochmals intensivierten, ehrte US-Außenministerin Hillary Clinton Assad mit dem Prädikat „Reformer“. Auch der Saudi-König Abdallah sprang für ihn in die Bresche – trotz des Faktums, dass Assad mit dem Erzfeind Iran verbündet ist. Der Grund ist einfach: Auch sie fürchten sich vor einem Volksaufstand in einem der zentralen arabischen Staaten, der ordentlich Öl ins arabische Feuer gießen würde und schwer zu ersticken wäre. Da tut Assad allemal weniger weh.

Opposition Muslimbrüder

Wie in Ägypten wird auch in Syrien angenommen, dass die stärkste Kraft der Opposition von den Muslimbrüdern gestellt wird. Diese haben noch eine Rechnung für das Massaker von Hama im Jahr 1982 offen, bei dem zehntausende Zivilisten von Assad senior niedergemetzelt wurden. Was ist von den Moslembrüdern zu erwarten, einmal abgesehen davon, dass es legitim ist, die Verantwortlichen für den Massenmord zur Rechenschaft zu ziehen?

Es sei auf die opportunistische Rolle hingewiesen, welche die Muslimbrüder in Ägypten spielten. Sie beteiligten sich erst an der Bewegung gegen Mubarak, als diese nicht mehr aufzuhalten war. Kaum war der Potentat gestürzt, suchten sie schon wieder den Kompromiss mit dem Militärregime, dessen politische Verwaltung sie gerne übertragen bekommen möchten. In diesem Sinn unterstützten sie das Verfassungsreferendum, mit dem die Militärs so viel wie möglich beim Alten belassen wollen, im Abtausch gegen Wahlen, aus denen die Muslimbrüder wahrscheinlich als Sieger hervorgehen werden. Eine Regierung unter Beteiligung der Muslimbrüder wird auf alle Fälle dazu gezwungen sein, sowohl auf die demokratischen Aspirationen des Volkes mehr Rücksicht zu nehmen als auch mehr Distanz zum Imperialismus zu halten. Die Muslimbrüder können sich nicht frontal gegen die Massen wenden, zu sehr sind sie in diesen verankert. Im Gegenteil gibt es schon eine massive demokratische Ansteckung. Die große Mehrheit der Unter- und Mittelklassen sind für Demokratie und verstehen sich gleichzeitig als islamisch. Obwohl eine wirkliche Konterrevolution derzeit unwahrscheinlich ist, weil sie vom Westen nicht offen unterstützt werden könnte, so bliebe deren Zentrum die Armee und die Seilschaften der alten Elite und nicht die Muslimbrüder.

Es wäre Aufgabe der ägyptischen Linken und der globalen antiimperialistischen Bewegung, die Muslimbrüder auf dem demokratischen Weg vorwärtszustoßen und damit die konservativen Elemente, die lange Zeit dominierten, zurückzudrängen. Ein westlich-areligiöses Herangehen würde den Tod der noch schwachen Linken bedeuten und gleichzeitig den Konservativen das politische Feld überlassen. Dabei hat die Linke eine große Rolle zu spielen. Sie brach die Bewegung los und sie kann der Stachel in ihrem Fleisch bleiben. Und nur sie kann den Klassenkampf einbringen, den die Muslimbrüder ablehnen, aber nur schwer abstellen können.

Zurück zu Syrien: Dort stellen sich die Bedingungen insofern anders dar, als Assad scheinbar weiterhin mit der Unterstützung wichtiger Teile der Alawiten und Christen rechnen kann. Nicht umsonst vermochte er Hunderttausende zu mobilisieren, wovon Mubarak und Ben Ali nicht einmal zu träumen wagten. (Mubarak hatte die Unterstützung der Kopten, die er einst genoss, längst verloren.) So sehr sich das syrische Regime auf Konfessionen stützt, so sehr machen das auch die Muslimbrüder – wahrscheinlich noch mehr und vor allem offen. Die Gefahr eines konfessionell überformten Konflikts ist daher durchaus gegeben und muss von den antiimperialistischen Kräften mit allen Mitteln vermieden oder gedämpft werden.

Trotz der langjährigen, engen Zusammenarbeit der syrischen Muslimbrüder mit dem saudisch geführten, prowestlichen sunnitischen Block können sich auch diese nicht frontal gegen die Wünsche der Volksmassen stellen.

Berücksichtigt man diese Besonderheiten Syriens, dann verliert – im Gegensatz zu den West-Diktaturen der Region – die Forderung nach dem Sturz der Assad-Regierung ihre Dringlichkeit. Wesentlicher scheinen heute die Forderungen nach vollen demokratischen Rechten und sozialer Gerechtigkeit. Will Assad überleben, kann er sich nicht weiter taub stellen.