In Assisi, einer malerischen, mittelalterlichen Stadt, die symbolisch für die Suche nach Frieden und Freundschaft zwischen dem Islam und dem Christentum steht, trafen die Tahrir-Bewegungen, gegen die US-amerikanische Ordnung in der arabischen Welt, mit dem Volksprotest in Südeuropa, gegen die Aushungerungsprogramme der EU-Oligarchie, zusammen. Es war ein einzigartiges Zusammentreffen, das die überwältigenden Herausforderungen für die revolutionäre Bewegung ins Bewusstsein der Aktivisten rückte.
Ausweg für Syrien
Die Hauptdebatte in Assisi, ebenso wie in der antiimperialistischen Bewegung als Ganzes, war zu Syrien. Wir fanden eine überwältigende Übereinstimmung darin, dass ein Weg gefunden werden muss, die legitimen demokratischen Rechte der Volksmassen zu verwirklichen, während die Unterstützung für den Widerstand gegen den Imperialismus und Zionismus fortgesetzt wird. Der einzige mögliche Weg die Repression gegen die demokratische Volksbewegung zu beenden, einen religiösen Bürgerkrieg abzuwenden, die ausländische Einmischung zu beenden und eine ausländische, militärische Intervention zu verhindern, ist eine politische Lösung durch Verhandlungen. Diese Tendenz fand ihren Ausdruck in der Anwesenheit von zwei herausragenden Persönlichkeiten, nämlich Haitham Manna, vom National Co-ordination Body for Democratic Change (NCB), die wichtigste antiimperialistische Oppositionskoalition innerhalb Syriens, und Ali Fayyad, Parlamentsabgeordneter der Hisbollah aus dem Libanon.
Das Antiimperialistische Lager und seine Partner und Freunde fühlen sich verpflichtet, international aktiv zu sein, um für eine politische Lösung, in der Volksdemokratie und Widerstand vereint werden –die Quintessenz des revolutionären Antiimperialismus – einzutreten, und – wo immer möglich – dieser den Weg zu bereiten.
Damit soll bezweckt werden, die gegenwärtige Lähmung der weltweiten Bewegung zu überwinden, die durch die Pattsituation, in der sich beide Seiten befinden, geschaffen wird, und die den Boden für einen religiösen Bürgerkrieg bereitet. Wir sind davon überzeugt, dass es massive Unterstützung in der Friedens- und antiimperialistischen Bewegung für eine Verhandlungslösung gibt, die den demokratischen Prozess eröffnet und den Widerstand weiterführt. Es kommt nicht von ungefähr, dass selbst der Bischof von Assisi eine Grußbotschaft gesendet hat, in der er Demokratie und Frieden ohne ausländische Intervention unterstützt.
Tahrir und Islam
Eine andere brennende Frage – auch die Debatte in der breiteren Bewegung reflektierend – behandelte die Rolle der islamischen und islamistischen Bewegung, deren Repräsentanten von Tunesien, über Palästina, Libanon bis zum Iran anwesend waren.
Es gibt laute Stimmen in der arabischen Welt, genauso wie in der europäischen Linken, dass die islamischen Strömungen, geführt von der Muslimbruderschaft, dabei seien, die alten Regime in der Region zu ersetzen und dabei im Grunde dieselbe Marionettenrolle für den Imperialismus spielen würden wie ihre Vorgänger. Sie würden den vom offenen Markt abhängigen Kapitalismus aufrechterhalten, den repressiven Staat jetzt unter dem Deckmantel des Islam weiterführen, die sektiererische Mobilisierung gegen die Schiiten und den iranischen geopolitischen Block anfeuern und Israel ungeschoren lassen. Die Tahrir-Bewegung würde in einen Kampf auf Leben und Tod gezwungen werden, um nicht in den Status quo ante zurückzufallen.
Die alternative Interpretation verneint nicht die Existenz dieser Tendenzen. Aber sie setzt die Gewichtung anders und ist gegen den frontalen Angriff der sich logisch aus solch einer Einschätzung ergibt. Nach dieser Sicht der Dinge drücken die arabischen Volksrebellionen ein tiefe historische Veränderung aus: Die US-amerikanische Ordnung ist ernsthaft geschwächt worden, auch dank des entschiedenen Volkswiderstands in der ganzen Region. Um einen weiteren Kontrollverlust und im Raum stehende, umfassende Revolutionen zu verhindern, müssen bedeutende Zugeständnisse gegenüber den Volksmassen gemacht werden.
Das Streben des Volkes nach Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und nationaler Selbstbestimmung ist nicht notwendigerweise in Widerspruch zum Bekenntnis zum Islam, als einem Symbol des fortgesetzten Widerstands gegen die imperialistische und zionistische Herrschaft. Aber die gegenwärtige historische Wende auf ein „islamisches Wiedererwachen“ zu reduzieren, wie es der iranische Gast nannte, ist ebenso unpassend wie darin nur die liberale Demokratie sprießen zu sehen. Dieses Muster lässt sich leicht in den „islamischen Winter“ umkehren, eine Einschätzung, die wir bereits von westlichen Ideologen und deren Medienablegern gehört haben.
Die Veränderungen haben gerade erst begonnen und die Forderungen der Volksbewegung sind weit davon entfernt, erfüllt zu sein. Die Überreste des alten Regimes müssen abgebaut, demokratische und soziale Rechte müssen realisiert, der erhoffte Bruch mit dem Imperialismus vertieft werden. Die neuen Regime mit starken islamischen Komponenten zögern, springen zwischen Volksmassen und den Eliten hin und her und balancieren die Beziehungen zum Imperialismus aus. Sie wünschen, dem türkischen Modell zu folgen, einer schrittweisen Veränderung ohne Brüche. Aber sie können definitiv nicht zum alten Regime zurückkehren, ohne eine Explosion im Volk zu riskieren.
Wir müssen die Volksbewegung, die Tahrir-Bewegung, mit ganzer Kraft darin unterstützen, weiter vorwärts zu kommen und den Druck aufrechtzuerhalten, damit die Forderungen des Volkes, vor allem bezüglich der demokratischen Rechte, umgesetzt werden. Gleichzeitig müssen wir in Rechnung stellen, dass die islamischen Kräfte starke, tiefe und historische Wurzeln in den Volksmassen, Sektoren der Bewegung selbst mit eingeschlossen, haben. Diese brauchen Zeit, um ihre Erfahrungen mit den islamischen Kräften an der Macht zu machen. Aber Konflikte und Kämpfe mit den neuen Regimes sind unvermeidlich, auch innerhalb des islamischen Spektrums selbst.
Nicht mit zweierlei Maß messen
Bahrain ist ein kleines Land, aber seine politische Wichtigkeit ist riesig. Bahrain zeigt, dass die Tahrir-Bewegung tatsächlich über den Konfessionen steht und die politisch fortschrittlichen Kräfte lehnen doppelte Maßstäbe und Sektierertum ab. Wenn demokratische Rechte und Rebellion legitim in Ägypten und Tunesien sind, warum nicht auch in Bahrain? Diejenigen, die zu Bahrain schweigen zeigen, dass sie einer versteckten Agenda folgen. Das gilt im Übrigen auch für Syrien.
Raus aus dem Euro
Nicht zuletzt gab es Foren zu Griechenland und Italien, über den Kampf gegen die Aushungerungsprogramme, die vom EU-Zentrum auferlegt werden. Die starke griechische Teilnahme mit mehreren politischen Tendenzen zeigte Interesse und das Bedürfnis nach Debatte und Austausch.
Der Schwerpunkt der Debatte ging darum, ob es notwendig ist, im Kampf gegen die Sparprogramme den Euro im Ganzen anzugreifen. In Griechenland lehnt eine überwältigende Mehrheit das brutale Schema der Troika ab, das den Lebensstandard der Volksmassen zu Grunde richtet, aber dennoch gibt es Angst davor, die Eurozone zu verlassen und vor dem darauffolgenden Staatsbankrott (eine Position vertreten durch Sýriza). Aber im Euro zu bleiben bedeutet, die Herrschaft der EU-Oligarchie und die ihrem Programm innewohnende Logik zu akzeptieren. Stattdessen ist ein tiefer Bruch mit den Eliten nötig, was notwendigerweise einen Ausstieg aus der Eurozone und der EU bedeutet, was schlussendlich in Richtung eines Bruches mit dem US-amerikanischen imperialistischen Kapitalismus als Ganzes geht. Das impliziert riesige Opfer (die aber auch zu erbringen sind, wenn man in der Eurozone verbleiben will). In jedem Fall ist der Bruch mit der EU die einzige Möglichkeit für wirkliche Unabhängigkeit, Demokratie für das Volk, soziale Gerechtigkeit und ein alternatives Sozialmodell basierend auf Solidariät.
Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass solche Fragen, wie das globale kapitalistische Regime zu überwinden ist, auf der Ebene der Volksmassen gestellt werden.
Es gab die allgemeine Übereinstimmung, dass eine sehr starke politische Führung notwendig ist, um entscheidende Schritte in solch eine Richtung zu gehen. Alle waren davon überzeugt, dass eine revolutionäre Volksfront aufgebaut werden muss um das politische Vakuum zu füllen, was genauso auf Italien zutrifft, auch wenn hier die Massenkämpfe noch vor ihrem Ausbruch stehen.
Das Antiimperialistische Lager wird versuchen, die Kräfte des südlichen Europa, die dem frontalen Kampf gegen die EU und den Euro verschrieben sind und die mit dem Projekt einer revolutionären Volksfront übereinstimmen, zusammenzubringen.
Ein Schritt nach vorne
Während von einem politischen Standpunkt aus gesehen das Lager in Assisi ein Erfolg war, hofften wir auf eine größere Teilnahme. Trotz der strukturellen Krise des globalen kapitalistischen Systems, der arabischen Volksrevolten und des fortgesetzten Widerstands, müssen wir anerkennen, dass Europa eine politische Wüste bleibt. Wir machten ein Angebot, das nicht auf die Art angenommen wurde, wie wir es uns erhofft hatten, zumindest diesmal. Vielleicht ist ein tieferer Schock notwendig, um die jahrzehntelange Lähmung der Volksmassen und antagonistischen Kräfte zu beenden. Wir waren einen Schritt zu weit vorne und wir halten unser Angebot aufrecht, hoffend, dass es in naher Zukunft angenommen wird. Der Prophet muss zum Berg kommen und nicht umgekehrt: Wir müssen uns an den kommenden Kämpfen gegen die Eliten beteiligen, auch wenn es ihnen an politischem Gedächtnis und Bewusstsein mangelt und sie nicht in die Kriterien der historischen Linken passen. Wenn wir nicht lernen, die Sprache der heraufdämmernden Volksrebellion zu verstehen, wenn wir nicht versuchen, diese gegen die herrschenden Eliten zu richten, wird unsere Botschaft niemals empfangen werden.
Antiimperialistische Front
Unser strategischer Vorschlag an alle antiimperialistischen Kräfte des Volkes ist, sich in einer breiten Front zu vereinigen, um koordinierte globale Aktionen setzen zu können, die eine Brücke zwischen den verschiedenen Revolutionären, Linken, islamischen Tendenzen etc. schlagen können. Bereits ein Jahrzehnt zuvor, mit der zweiten Intifada und dem aufstrebenden Widerstand gegen den US-amerikanischen globalen Krieg haben wir diesen Vorschlag propagiert. Heute sind die Bedingungen wesentlich besser, angesichts der Konsolidierung des Widerstands, der Schwächung der US-amerikanischen globalen Herrschaft und der Krise des kapitalistischen Systems und – als eine Konsequenz – der Rückkehr der volksrevolutionären Bewegungen. Auch die antiimperialistischen Kräfte in aller Welt sind reifer. Ein entscheidender Schritt nach vorne muss gemacht werden.
Antiimperialist_innenen aller Länder, vereinigt euch!