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Intervention zerstört Revolution
14. Januar 2013 - Abdelhalim Qandil

Geht die Krise in Syrien den Pfad eines libyschen Szenarios? Und bis zu welchem Grad bereiten die Sturheit und Gewalttätigkeit des Regimes ein offenes Tor für eine bewaffnete ausländische Intervention, welche die syrische Revolution in eine Tragödie verwandeln und das Überleben des syrischen Staates selbst gefährden würde?

Die Gefahr ist gegenwärtig, wenn auch unwahrscheinlich, da in Syrien das Öl fehlt – die Beute, welche die westliche Gier im Falle von Libyen und zuvor im Irak angezogen hatte.

Amerika und seine Satelliten agieren sehr pragmatisch. Die zehntausenden Verwundeten und Märtyrer kümmern sie nicht. Sie würden die Situation, so wie sie jetzt ist, sogar noch begrüßen: Die Arabische Syrische Armee reibt sich in einem blutigen Krieg gegen das Volk auf. Und das syrische Regime wird provoziert und untergraben, aber nicht gestürzt, denn der Westen weiß nicht genau, wo Syrien nach Bashar stehen würde. Sie trauen Burhan Ghaliouns Zusicherung nicht, dass er Frieden mit Israel machen würde, was erklärt, warum Washington und andere westliche Regime zögern, Ghaliouns oppositionellen Syrischen Nationalrat (SNC) anzuerkennen.

Der SNC schließt einerseits die Muslimbruderschaft ein, einen der Hauptsektoren der Opposition, auf der anderen Seite sind die meisten seiner anderen Mitglieder von zweifelhafter politischer Ausrichtung und von fragwürdigem Hintergrund – teils nahe an Geheimdienstkreisen (inklusive syrischen) – teils einfach Opportunisten, illegitime Glücksritter, die auf das aus den Golfstaaten hereinfließende Geld aus sind.
Es gibt wenige andere, die für die Damaskus-Erklärung stehen und nicht in Versuchung geraten, mit Washington zu kollaborieren. Und dann gibt es noch ein ständiges Kommen und Gehen syrischer Gruppen, die für sich in Anspruch nehmen, die Revolution zu vertreten, aber gleichzeitig syrisches Blut verkaufen wie Händler, deren Ware ihnen nicht gehört, und bereitwillig Vorauszahlungen akzeptieren.

Das sind die Leute, die um eine ausländische Militärintervention betteln, um die Einrichtung einer Flugverbotszone, damit vorgeblich Zivilisten geschützt und dem Blutvergießen ein Ende bereitet werden soll, obwohl in Wirklichkeit jede ausländische Militärintervention noch mehr Blutvergießen und die Zerstörung Syriens, des Landes und des Volkes, bedeuten würde, sowie die Transformation der Revolution in einen offenen Bürgerkrieg. Syrien könnte – Gott bewahre – zerstückelt werden. Eine ausländische Intervention ist nicht das Heilmittel für die Krankheit, sondern würde uns vom Regen in die Traufe bringen.

Nationale Souveränität und die Befreiung vom Personenkult sind essentielle Ziele jeder großen nationalen Revolution, inklusive der syrischen, die noch nicht zu Ende ist, jedoch in Randregionen stecken geblieben zu sein scheint, ohne Zugang zum Herz von Syrien – Damaskus und Aleppo – wo die Hälfte der Bevölkerung lebt und wo das Regime sich mit seinem grausamen Apparat verbarrikadiert hat.

Erst vor einigen Wochen hat das Koordinationskomitee und Ghaliouns Nationalrat eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Das Koordinationskomitee umfasst die grundlegenden oppositionellen Gruppen, die innerhalb Syriens aktiv sind, und beinahe jede einflussreiche Gruppe nimmt an ihm teil, außer der Muslimbruderschaft. Das Koordinationskomitee und der Nationalrat kamen überein, eine ausländische Intervention jedweder Form und unter jeglichem Deckmantel abzulehnen. Sie vereinbarten auch, eine Intervention anderer arabischer Kräfte nicht als ausländische Intervention zu betrachten, aber eine arabische Intervention scheint nicht plausibel. Die arabische Beobachtermission ist ins Stocken geraten, und das Blutvergießen in Syrien geht weiter. Die herrschende Familie, der Klan des Diktators, scheint nicht bereit zu irgendeiner Form von Kompromiss, wodurch eine Stimmung dafür geschaffen wurde, eine ausländische Intervention zu fordern, und den Boden für die größte Sünde zu bereiten, nämlich nicht nur Assads Regime zu zerstören, sondern Syrien selbst.

Der erste Gewinner dieser Forderung nach ausländischer Intervention ist das Regime von Assad. Eine Intervention schadet der Sache der Revolution und befleckt den Ruf ihrer Unterstützer:

• Eine Intervention zu fordern, erleichtert es dem Regime den Plan, die Oppositionellen des Verrats zu bezichtigen und sie als Agenten ausländischer Mächte zu bezeichnen.

• Eine Intervention zu fordern, erleichtert es dem Regime, ein betrügerisches Bild der Ereignisse in Syrien zu zeichnen, und wirft dunkle Schatten über den überwältigenden Wunsch des Volkes, ein unterdrückerisches Regime, welches das eigene Volk ausgeraubt hat, zu beenden.

• Eine Intervention zu fordern, erleichtert es dem Regime, die Revolution so darzustellen, als ob sie eine koloniale Verschwörung gegen das patriotische Regime wäre.

• Eine Intervention zu fordern, stellt das Regime zufrieden, und hilft ihm, Unterstützer zu mobilisieren, die ursprünglich zögerten, sich dem revolutionären Marsch anzuschließen.

Das Regime ist sich dessen bewusst, wie schwierig es für die Amerikaner ist, sich bezüglich einer militärischen Intervention zu entscheiden. Die USA sind zufrieden, insgeheim ihre Kontakte mit dem Regime zu pflegen und gleichzeitig in der Öffentlichkeit feurige Erklärungen gegen Assad abzugeben, jedoch ohne bereit zu sein, ein weiteres Minenfeld im Nahen Osten zu überqueren, das voller Hass gegen die US-Amerikaner ist, die Schirmherren Israels.

Die Vereinigten Staaten zögern, sich komplett gegen Russland zu stellen, das Syrien als seinen verlässlichsten Verbündeten in der Region betrachtet und für das Russland sein Veto im UNO-Sicherheitsrat eingelegt hat. Russland versucht, Syriens Verderben zu stoppen, und bietet sich als Vermittler zwischen dem Regime und der Opposition innerhalb und außerhalb Syriens an.

Alles in allem eskaliert die Krise in Syrien bis jetzt, und das Blutvergießen hört nicht auf. Die revolutionäre Sache steckt in einem Dilemma und wird sich keineswegs daraus befreien, indem sie eine ausländische Intervention fordert; im Gegenteil, sie könnte sich dadurch noch tiefer darin verstricken. Eine ausländische Intervention zu fordern, ist der sichere Weg zur Orientierungslosigkeit und absolutem Verrat an der revolutionären Sache. Die Lösung liegt in Syrien selbst. Die Lösung ist wahre Loyalität zu dem Blut der Tausenden Märtyrer und Verwundeten der Revolution. Die Lösung liegt darin, den Funken der Revolution von den Aufständen in der Peripherie in das Herz Syriens zu tragen, mit dem Durchhaltevermögen und Heldentum von Dar‘a, Idlib, Homs, Hama und Abu-Kamal, wo die revolutionären Unruhen begannen, den Funken in die Vorstädte von Aleppo und Damaskus überspringen zu lassen. Das Bewusstsein unter den Truppen führt in immer höherem Maße zu einer Aufsplitterung der Armee und spielt eine größere Rolle als wir glauben würden.

Der nach außen vermittelte Zusammenhalt des Regimes und das scheinbare Fehlen größerer Brüche innerhalb seiner geschlossenen Strukturen werden nicht mehr lange halten. Der unterdrückerische Sicherheitsapparat des Regimes erschöpft sich auf dem blutgetränkten Terrain. Jedes Massaker, welches das Regime begeht, führt zu größerer Feindschaft, zu weiteren Rissen in der Mauer der Angst und zu einem stärkeren Impuls in Richtung innerer Brüche – vorausgesetzt, dass die Verwirrung durch Rufe nach einer ausländischen Intervention abgewendet werden kann. Solche Forderungen helfen dem Regime, seinen Militär- und Sicherheitsapparat zu mobilisieren, seinen Agenten zu suggerieren, einen patriotischen Kampf zu führen und die Wahrheit des unterdrückerischen Krieges zu verbergen.

Eine ausländische Intervention zu fordern, dient dem Assad-Regime, verrät die revolutionäre Sache und bedroht Syrien mit Desintegration. Es ist nicht notwendig, Syrien zu zerstören, sondern das Regime zu stürzen. Syrien soll sich danach gemäß den Vorstellungen seines Volkes, das sich nach einer arabischen Heimat sehnt, erneut aus seiner Asche erheben.