Dabei könnte man nicht behaupten, dass die Weltwirtschaft vor der Finanzkrise funktioniert hat. Etwa 1,4 Milliarden Beschäftigte mussten mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen. Mit Familien ist das praktisch die halbe Menschheit. Für weniger als zwei Dollar gibt es keine ausgewogene Ernährung – die halbe Menschheit kann also nicht ordentlich essen. Für die Ärmsten geht es sich gar nicht mehr aus, die verhungern. Je nachdem, wie man die Toten zählt, wie viele der an Krankheiten Erlegenen man dem Hunger zurechnet, wären das zwischen 6 und 40 Millionen Menschen im Jahr. In den USA brauchen heute über 30 Millionen Menschen Lebensmittelhilfe. Jeder Zehnte. Vor der Finanzkrise waren es weniger, aber auch nicht wenige. Jeder Zwölfte.
Mit den Worten von Deng Xiaoping: „Einige werden zuerst reich, die anderen später“ hat die Oligarchie der Welt versprochen, dass die Segnungen des globalen Kapitalismus allen zugute kommen würden. Jetzt kann man umformulieren: „Die meisten waren schon immer arm, die anderen werden bald folgen.“ Die Oligarchie, die die Erträge des Wirtschaftswachstums der letzten Jahre allein eingesackt hat, können wir aber beruhigen: Einige werden weiterhin reich bleiben.
Gleichzeitig hat der Kapitalismus die Welt auf einen Entwicklungspfad geschickt, der mittelfristig in die totale Katastrophe führt: Treibhauseffekt, Ressourcenverbrauch, die Probleme der Nahrungsmittelproduktion… Das sind Auswirkungen eines Modells des Wachstums um jeden Preis, Wachstum, das wenigen zu gute kommt und die Lebensgrundlagen aller zerschlägt.
Wir brauchen jetzt Antworten auf die Krise. Antworten auf die Finanzkrise, die es der Welt erlauben, sich aus dem unmittelbaren Schlammassel wieder herauszuziehen. Aber das reicht nicht. Die Finanzkrise hat ein ganzes Modell des Kapitalismus zerstört, den Glauben, dass der globale und deregulierte Markt unter Führung der USA die zentralen Probleme der Menschheit lösen könne. Eine Lösung der aktuellen Krise darf nicht bedeuten, dass man zum Elend der Situation davor zurückkehrt. Die Antworten auf die Krise müssen so konkret wie möglich sein. Es gilt eine Alternative zu entwickeln, die an den aktuellen Problemen ansetzt, aber darüber hinausgeht. Sonst geht alles wieder von vorne los.
1. Staatliche Kontrolle über das Bankwesen
Das ist sogar in bester liberaler Tradition: Wer Pleite macht, hat sein Eigentum verwirkt. Der Finanzsektor kann nur mit staatlichen Hilfen überleben, in der Folge muss er der Allgemeinheit gehören. Die jetzigen Bankenhilfspakete dienen dazu, die Verluste der internationalen Finanzkonzerne auf die Steuerzahler abzuwälzen, während man sich die zuvor angehäuften Gewinne natürlich bereitwillig eingesteckt hat. Ein Bankenhilfspaket wie das österreichische, wo die extremen Risiken, die die Bankenlenker in Osteuropa eingegangen sind, damit belohnt werden, dass ihnen noch einmal Unsummen in den Hintern geschoben werden, ist zu bekämpfen. (Zum Größenvergleich: Jährliche Einnahmen durch die Studiengebühren: 250 Millionen. Umfang des Bankenpakets: 100.000 Millionen.) Der Zusammenbruch der Banken ist keine Alternative, die Verstaatlichung sehr wohl.
Hier stellt sich aber die Frage: Banken wofür? Neue Kredite, damit Hedge-Fonds mit Lebensmitteln spekulieren können? Neue Kredite, um wieder mehr Autos zu kaufen? Natürlich kann man die Beschäftigten bei Opel nicht hängen lassen, aber ist es tatsächlich sinnvoll, die Verwerfungen der vollmotorisierten Gesellschaft am Tropf staatlicher Beihilfen überleben zu lassen? Die Auto-Stadt, vor der die Menschen in das Stadtumland flüchten und erst recht an das Auto gekettet sind? Die Klimakatastrophe? Die Verschwendung des Öls? Daher:
2. Investitionslenkung nach politischen Kriterien
Heute fließen Kapital und Ressourcen nach Profiterwägungen, aber auch nach dem Einfluss, den unterschiedliche Gruppen der Oligarchie nehmen können. Dass das keine optimalen Resultate bringt ist jetzt offensichtlich.
Investitionen (und die dafür benötigten Kredite) müssen nach politischen Prioritäten fließen, die von einer breiten Mehrheit diskutiert und festgelegt werden und die dieser Mehrheit dienen. Ansatzpunkte dafür werden heute entwickelt – in Lateinamerika etwa entstehen Modelle partizipativer Demokratie oder einer Volksmacht. Es gibt Überlegungen zur Demokratisierung der Medien, der Produktion oder der Bildung.
Einige Knotenpunkte der Wirtschaft müssen verstaatlicht, Kredite an gesellschaftliche Auflagen gebunden und Kreditzinsen nicht nur nach Kreditwürdigkeit, sondern auch nach der Bedeutung der Investition festgelegt werden. Das bedeutet nicht automatisch ein Ende des Marktes (auch wenn das der Debatte offen steht), wohl aber dessen Zügelung. „Gezügelt“ ist der Markt im jetzigen System übrigens genauso, nur nicht nach den Kriterien der Mehrheit, sondern nach den politischen Interessen jener, die heute die Macht monopolisieren. Wenn etwas schief geht, stehen die großen Manager, die Apologeten der Deregulierung und die „der Staat kann nicht wirtschaften“-Theoretiker vor dem Finanzamt und halten die Hand auf. Die jetzige Marktideologie ist nur die Fassade der reinen Raffgier.
3. Die Schulden zahlen wir nicht
Die Überwindung der jetzigen Krise wird große Teile des staatlichen Budgets verschlingen. Auch wenn die Rettungspakete nicht in den Taschen der Banken und Oligarchen verschwinden, ein solches Ergebnis ist unausweichlich. Und wer staatliche Stützmaßnahmen verweigert (wie die deutsche Bundesregierung) wird das Defizit per Steuerausfall geliefert bekommen. Mit ein paar Jahren Verspätung werden dann die Propheten der Sparsamkeit und des „Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“ wieder die Bühne betreten, es folgt neuer Sozialabbau.
Es sei daher festgestellt: „Wir“ leben keineswegs über unseren Verhältnissen. Der Staat bezahlt die Exzesse des Bankkapitals – und die Zinsen für die Staatsschulden stecken sich dann wiederum die Spitzen der Bourgeoisie ein, die Vermögenden, die dem Staat das Geld vorstrecken. Es ist unerhört, dass die Allgemeinheit den Crash der Reichen bezahlen muss, während deren Vermögen weiterhin geschützt wird. Diese Schulden bezahlen wir nicht.
Die sauberste Möglichkeit ist das einfache Streichen eines Teils der Staatsschuld, mit Ausgleich für die kleinen Sparer aber unter Enteignung der Superreichen, die die meisten Staatsanleihen halten. Wenn das zuviel Aufregung verursacht, kann man die Staatsschulden von der Notenbank finanzieren lassen (das Geld für die Staatsausgaben also praktisch mit der Notenpresse drucken) – eventuelle höhere Inflation muss selbstverständlich durch zusätzliche Lohn- und Rentenerhöhung ausgeglichen werden.
4. Neue Ordnung der internationalen Finanz- und Währungsmärkte
Nach den Finanzkrisen der letzten drei Jahrzehnte (von der Verschuldungskrise Anfang der 80er über die gigantischen Verwerfungen in Lateinamerika, Asien und Russland in den 90er Jahren zum aktuellen Super-GAU) ist es offensichtlich, dass die internationalen Finanzmärkte in dieser Form nicht funktionieren. Notwendig ist zumindest ein Verbot kurzfristiger Kredite, ein Verbot von Verschuldung in Fremdwährung, ein Verbot kurzfristiger Portfolioinvestitionen wie Aktienspekulation.
IWF und Weltbank in ihrer jetzigen Form müssen als Instrumente imperialer Herrschaft geschlossen werden. Was wir benötigen ist ein internationaler Währungsfonds des Volkes, mit Stimmgewichten nach Bevölkerungszahl. Dieser soll der Stabilisierung von Wechselkursen dienen, aber auch dem Ressourcentransfer in die ärmsten Teile der Welt. Teils finanziert aus den Leistungsbilanzüberschüssen des Welthandels, soll er gleichzeitig dazu dienen die einseitige Exportorientierung vieler Länder abzubauen. Demokratische Kontrolle und politisches Eingreifen müssen auch global möglich sein.
5. Ein neues Entwicklungsmodell
Dank der jetzigen einseitigen Orientierung auf Wachstum und Rendite, kommt die Rendite einer kleinen Minderheit zugute, ermöglicht das Wachstum keine menschliche Entwicklung mehr. Wir benötigen eine Orientierung auf Beschäftigung, sozialen Ausgleich, die Verkürzung der Arbeitszeit und die ökologische Tragfähigkeit der Erde. Eine Wiederbelebung regionaler Wirtschaftskreisläufe und der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. In einigen Bereichen benötigen wir eine Deglobalisierung, denn der totale Freihandel dient in erster Linie den Interessen der Oligarchie.
Wir benötigen eine Kulturrevolution, weg von der Kultur des Konsums und der Vergottung des Geldes. Weg von der Kultur des totalen Individualismus. Nicht dass die Mehrheit in Österreich oder Deutschland „zuviel“ hätte, aber die Mythen des Reichtums sind das ideologisch-religiöse Bindemittel zu den Spitzen der Bourgeoisie – die tatsächlich zuviel haben und einer vernünftigen Lösung der Krise im Wege stehen.
6. Gegen die Oligarchie
Wir dürfen uns keinerlei Illusion machen, dass eine Lösung der aktuellen Probleme in Zusammenarbeit mit der globalisierten Oligarchie und ihrem Staat erfolgen kann. Dass die Krise den Weltenlenkern die Augen öffnet. Dass bei irgendeinem G8-Gipfel ein „sozialer Kapitalismus“ geboren wird. Diese Leute sind mit tausend Ketten an das aktuelle Entwicklungsmodell gebunden. Die Chancen stehen gut, dass die Krise nicht zur Umkehr führt, sondern zur Radikalisierung, zur Verteidigung des Bestehenden mit Zähnen und Klauen, mit Flugzeugträgern und taktischen Atomwaffen.
Eine Lösung der Probleme erhalten wir nur gegen die Oligarchie. Wir benötigen eine Wirtschaft nach den Interessen der Mehrheit und einen Staat, der aktiv von dieser gestaltet wird.