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Unbeendeter Krieg, unvollkommener Sieg
30. Mai 2009 - Mohammad Aburous

Israel stellte plötzlich den offiziellen Angriff ein, und die palästinensischen Organisationen verkündeten aus Damaskus eine “einwöchige Einstellung der militärischen Aktionen”. Beide Seiten gaben sich daheim als Sieger: Die israelische Regierung definiert ihren Sieg über die angeblichen Tötungen von vielen Hamas-Aktivisten und über die tatsächliche Einstellung des Raketenbeschusses aus Gaza. Hamas sieht ihren Sieg im Standhalten der Widerstandskräfte gegen einen wuchtigen israelischen Angriff. Die Regierung von Hamas konnte nicht gestürzt werden. Im Gegenteil: ihre Herrschaft über Gaza und ihr Rückhalt in der Bevölkerung wurden durch den Angriff gefestigt.

Was das Kriegsziel Israels betrifft, nämlich den Raketenbeschuss zu stoppen und die Hamas zu vernichten bzw. substantiell zu schwächen, so konnte Israel weder den Raketenbeschuss aufhalten, noch konnte man der Hamas bedeutende Verluste zufügen (abgesehen vom ersten Überraschungsangriff auf die Polizeischule, wobei es sich hier bei den Toten um neue Rekruten für die Polizei handelte). Auf der anderen Seite konnte Hamas der israelischen Armee ebenfalls keine sichtbaren Verluste zufügen. Weder ließ die israelische Militärzensur Informationen durch, noch konnte Hamas die eigenen Angaben über hohe Verluste bei den Angriffen beweisen. Einen Sieg wie den von Hizbullah im Libanon-Krieg, wo die israelische Armee eine Militärblamage erleben und eingestehen musste, konnte die Hamas nicht vorweisen. Somit war der Krieg für die israelische Regierung vertretbar in der israelischen Öffentlichkeit, die traditionell mehrheitlich hinter der Armee steht und erst gegen diese protestiert, wenn die Verluste zu hoch sind.

Ein wackeliger Waffenstillstand

Der angekündigte Waffenstillstand wurde durch ägyptische, türkische, dann wieder ägyptische Vermittlung verlängert und offiziell gemacht. Er wurde auch von den palästinensischen Organisationen eingehalten. Gestört wird der Waffenstillstand durch israelische Bombenangriffe, die manchmal von den Palästinensern erwidert werden. Auf der palästinensischen Seite sieht man deutlich ernsthaften Willen, einen Waffenstillstand aufrecht zu erhalten. Dies nützt Israel aus, um die Angriffe mit niedrigerer Intensität fortzusetzen. Die Blockade des Gazastreifens wurde kaum gelockert.

Die Blockade, die von Israel über den Gazastreifen verhängt wurde, machte schon den sechsmonatigen Waffenstillstand zunichte, den die Hamas letztes Jahr akzeptiert hatte. Damals hatte Hamas auch die Forderung bekräftigt, dass dieser künftig auf das Westjordanland ausgedehnt und die politische und physische Blockade durch diplomatische Bemühungen aufgehoben wird. Hingegen benützte die israelische Regierung ihre Verfügungsgewalt über alle (Über-)lebensmittel (Nahrung, Wasser und Energie), um mehr Druck auf Gaza auszuüben. Das Ergebnis dieser Blockade war eine humanitäre Katastrophe, die schon lange vor dem intensiven israelischen Angriff begonnen hatte. Das war der Grund, warum Hamas im Dezember eine Verlängerung des Waffenstillstands ablehnte. Dieser Eskalation folgte der Krieg.

In der jetzigen Version des Waffenstillstands, die von der ägyptischen Regierung ausgehandelt wurde, bleibt die Blockade praktisch aufrecht: Israel kontrolliert indirekt über ägyptische und eventuell internationale Sicherheitsapparate den Personen- und Güterverkehr über die Grenzen und behält die Kontrolle über Luft und Wasser. Die ägyptische Regierung garantiert die Zufuhr von lebenswichtigen Gütern in den Gazastreifen (Hamas machte den Fehler, darauf einzugehen und über die Kapazitäten zu verhandeln, für die die Grenzübergänge für Güter und Personen geöffnet werden).

Hamas akzeptierte diese Rahmenbedingungen als Verhandlungsbasis und verzichtete praktisch auf die bedingungslose Totalaufhebung der Blockade. Gleich wurde der israelische Ton härter und die Regierung Ehud Olmerts versuchte den Waffenstillstand mit der Freilassung des gefangenen israelischen Soldaten zu verknüpfen.

Wie auch immer die Waffenstillstandsverhandlungen ausgehen, wird sich Hamas erneut verpflichten müssen, die eigenen militärischen Aktionen einzustellen und jene der anderen Organisationen zu verhindern.

Wiederaufbau als Schleichweg für Oslo

Die “Palästinensische Behörde” in Ramallah (PNA), hatte zum Beginn des israelischen Angriffes Schwierigkeiten gehabt, den israelischen Angriff scharf genug zu verurteilen. Sie machte auch Hamas und die Aktionen des Widerstands für den israelischen Angriff schuldig. Einer der Regierungssprecher beglückwünschte sogar die Bevölkerung von Gaza zur “baldigen Rückkehr der legitimen Regierung”. Diesmal wurden nicht nur in den arabischen Hauptstädten, sondern auch in den Städten im Westjordanland die Protestdemonstrationen brutal niedergeschlagen. Die Polizei der PNA schloss sich bei der Unterdrückung der Proteste praktisch der israelischen Armee an. Es wurde auf Demonstranten geschossen. Alle Symbole von Hamas wurden von der PNA verboten. Die Rolle von Abbas und seiner Behörde war bei diesem Krieg deutlicher erkennbar denn je zuvor.

Am 2. März fand im ägyptischen Badeort Scharm El Scheikh eine internationale Konferenz von Geldgebern zum “Wiederaufbau” von Gaza statt. Die Konferenz war prominent besetzt, mit niemand Geringerem als der US-amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton, dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und weiteren Staatsoberhäuptern aus Europa und dem Nahen Osten. Eine Summe von etwa drei Milliarden Euro wurde von den USA, Europa und den arabischen Golfstaaten versprochen, die jedoch ausschließlich an die PNA in Ramallah fließen sollen. Die Hamas-Regierung wurde selbstverständlich von allen Geberkonferenzen ausgeschlossen.

Gleichzeitig konfiszierte die ägyptische Regierung jede Geldsumme, die direkt für Gaza bestimmt war und übergab sie der PNA. Auch der Personenverkehr ist weiterhin strikt eingeschränkt und nur in Koordination mit Israel und mit der Behörde von Ramallah möglich.
Nun wird der “Wiederaufbau” von Gaza politisch instrumentalisiert, um die PNA und die Vormundschaft des ägyptischen Regimes über Schleichwege nach Gaza zurück zu bringen. Die katastrophale Situation in Gaza wird von den arabischen Regimes und der PNA benützt, um Hamas politisch in Schach zu halten.

Die Souveränitätsfrage wird in eine humanitäre Frage umgewandelt, bei der es darum geht, Wohnungen, Nahrung und Medikamente für das isolierte Gebiet zu beschaffen.

Israel und Ägypten kontrollieren die Güterzufuhr. Um das Milliardengeschäft des Wiederaufbaus raufen schon die Unternehmer, die großteils palästinensische Politiker aus Ramallah sind.
Um Gaza wiederaufzubauen, muss Hamas mit der PNA und Abbas verhandeln. Abbas wird dadurch seine Legitimität als Präsident bestätigen, nachdem seine Amtszeit und somit in den Augen von Hamas auch seine Akzeptanz als Präsident am 9. Jänner abgelaufen war.

Ende von “Dauerlösungen”

Der israelische Angriff auf Gaza war der Höhepunkt einer Konfrontation, die mit dem Wahlsieg von Hamas begonnen hatte.
Was Israel von den Palästinensern fordert, ist schlicht die totale Kapitulation: Bedingungslose Anerkennung Israels (was für die Palästinenser eine Legitimierung der Katastrophe von 1948 bedeutet, durch welche ihre Lebesgrundlage für Generationen zerstört wurde), Eingliederung in den Oslo-Prozess und Annahme der Kollaborationsrolle, welche der PNA zustehen soll.

Die Hamas fordert hingegen die Aufhebung der Blockade als Basis für einen ernsthaften, beidseitigen Waffenstillstand. Die politische Forderung ist auch die Anerkennung der gewählten Regierung und ihrer Souveränität. Hamas ist auch zu einem dauerhaften Waffenstillstand bereit, falls Israel aus den im Jahr 1967 besetzten Gebieten abzieht.
Israel hat längst seine Vorstellung von einer Dauerlösung der Palästina-Frage aufgegeben, die von einer schwachen palästinensischen Führung diktiert wird. Das Minimum der PLO-Forderungen wäre ein souveräner Staat im Westjordanland und in Gaza. Diese Möglichkeit wurde nach dem Oslo-Abkommen von den israelischen Bulldozern und unter den israelischen Siedlungen und Mauern begraben. Der Tod von Arafat bedeutete auch das Ende dieser Phase.

Die israelische Führung hat sich nun auf eine Dauerkonfontation mit den Palästinensern eingestellt, wo systematisch Tatsachen geschaffen werden, um die Palästinenser dauerhaft in einem minimalen Teil des Landes unter Kontrolle zu halten. Für diesen Zweck wird abwechselnd verhandelt und mit Gewalt verfahren. Die israelische Politik behält dabei denselben Charakter.

Noch keine Sieger, weil der Krieg noch läuft

Das abrupte Ende dieser Offensive kann auf die objektive Unmöglichkeit zurückgeführt werden, eine schnelle militärische Entscheidung (vor dem Amtsantritt Obamas?) zu erreichen. Wo jetzt unter dem neuen US-Präsidenten global eine Deeskalierung erwartet wird, verfolgt Israel nun seine Ziele über andere Wege, zumindest bis das Vorhaben der neuen US-Administration deutlicher wird, und um bis dahin weitere vollendete Tatsachen zu schaffen.

Der Widerstand, der sowohl militärisch als auch politisch unter extrem widrigen Umständen agiert, hat einen Sieg errungen, indem er trotz des gewaltigen Angriffes die von ihm befreite und regierte Zone behalten konnte. Auch da wird der Kampf politisch weiter geführt.

Inwiefern das Ringen um politische Anerkennung politische und vor allem programmatische Entbehrungen mit sich bringt (sprich: wie weit Hamas bereit ist, sich im regionalen Regime zu integrieren) ist noch offen. Auch wenn Hamas dazu bereit wäre, ist es sehr fraglich, ob Israel dies zulassen würde.

Die fragile Autonomiebehörde wird im Westjordanland künstlich am Leben erhalten, um den Widerstand zu unterdrücken. Es ist trotzdem fraglich, wie lange sie dazu in der Lage sein wird.

In Gaza hingegen, wo die hierarchischen Behördenstrukturen durch die israelischen Bombardierungen dem Boden gleich gemacht wurden, steht die Widerstandsbewegung gerade auf diesem Boden, näher zu ihren Massen denn je.