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Sudan: Bruchlinie im Weltsystem
5. Juni 2009 - Sebastian Baryli

Konkret wurde die Gründung einer internationalen Plattform beschlossen, auf deren Grundlage Solidaritätsarbeit in Zukunft geleistet werden kann. Gleichzeitig wurde damit ein Netzwerk geschaffen, das Afrika, den arabischen Raum und Europa umspannt.

An dem Forum nahmen Delegationen der Hamas, der Hisbollah, der PFLP sowie Vertreter von Jugendorganisationen aus Uganda, Somalia, Südafrika, Zentralafrika, Dschibuti, Marokko, Libyen, Syrien und Ägypten teil. Auch die Antiimperialistische Koordination nahm mit einer Delegation an dem Forum teil.

An der Zusammensetzung der Teilnahme lässt sich die strategische Bedeutung der Sudan-Frage ermessen. Das Land bildet gewissermaßen eine Drehscheibe zwischen der arabischen Welt und Afrika. Diese strategische Bedeutung des Landes könnte sich auch in der Solidaritätsarbeit widerspiegeln. Die Herausbildung eines Netzwerkes etwa zur Frage des ICC-Haftbefehls könnte eine Brücke schlagen zwischen Afrika, dem arabischen Raum und Europa.

Im Rahmen des Forums wurden Treffen mit der politischen Führung des Landes organisiert. Höhepunkt bildete dabei ein kurzes Zusammentreffen mit dem Präsidenten Omar al-Bashir. Außerdem gab es im Rahmen des Forums die Möglichkeit zur Debatte mit Ibrahim Ghandour (Parteisekretär der Nationalen Kongress-Partei, Mitglied der Nationalversammlung und Vorsitzender der sudanesischen Arbeiter-Gewerkschafts-Föderation), Amin Hassan Omar (Minister für Kultur, Jugend und Sport), Gazi Salahedin (Minister für Information), Osman Khalid Madawi (Sekretär für auswärtige Beziehungen der Nationalversammlung) sowie Gazi Suleiman (Sudanesische Kommunistische Partei).

Inhaltlicher Dreh- und Angelpunkt des Solidaritätsforums bildete der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Präsident al-Bashir. Nachdem der Chefankläger Luis Moreno-Ocampo im Juli einen Antrag gestellt hatte, wurde dieser vom Gericht bestätigt. Zur Anklage stehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die ursprünglich von Moreno-Ocampo beantragte Anklage auf Genozid wurde damals vom Gericht aber nicht aufgenommen. Dennoch löste der Haftbefehl einen Sturm der Entrüstung aus. Es war das erste Mal, dass gegen einen amtierenden Präsidenten ein Haftbefehl erlassen wurde. Sowohl die Afrikanische Union als auch die Arabische Liga wiesen den Haftbefehl entschieden zurück.

Imperialistischer Angriff
Diese jüngste politische Attacke reiht sich ein in eine Serie von Angriffen auf verschiedenen Ebenen: politisch, ökonomisch und militärisch. Der Sudan steht schon seit längerer Zeit im Kreuzfeuer imperialistischer Interessen. „Es handelt sich hierbei um einen Stellvertreter-Krieg um ökonomische Interessen“, wie Ibrahim Ghandour ausführte. Zwischen China und den USA ist ein neues „Spiel um Afrika“ ausgebrochen, wobei die Ausbeute der Erdölreserven im Sudan einen wichtigen Stellenwert hat. Das Erdöl wird zurzeit von einem sudanesisch-chinesischem Konsortium gefördert. Die USA erhoffen sich mit einem politischen Wandel Zugang zum Erdöl.

Aber nicht nur auf einer ökonomischen Ebene steht der Sudan im Widerspruch zu den USA. Auch einige politische Elemente bilden wesentliche Bruchpunkte mit der amerikanischen Weltordnung. „Die unerschütterliche Haltung des Sudans zur Palästina-Frage ist den USA ein Dorn im Auge“, bringt das Parlamentsmitglied Osman Khalid Madawi die Problemstellung auf den Punkt. Sudan war eines der wenigen Länder, die den Oslo-Friedensprozess zunächst nicht unterstützt hatten.

Der Haftbefehl gegen Präsidenten al-Bashir wurde in den Gesprächen mit den sudanesischen Vertretern allgemein als politischer Angriff auf den Sudan gewertet. „Es gibt direkte und indirekte Formen der imperialistischen Dominanz. Während etwa Palästina, Afghanistan und der Irak unter direkter Fremdherrschaft stehen wird der Sudan mit politischen Mittel – wie etwa dem Haftbefehl – unter Druck gesetzt“, analysierte Madawi die Situation.

Krise in Darfur
Die Krise in Darfur gilt dem ICC als wesentlicher Vorwand für die Attacke gegen al-Bashir. Dabei wird dieser Konflikt – in klassischer Weise – instrumentalisiert, um den imperialistischen Großmächten, insbesondere den USA, ein Einfallstor zu öffnen. „Die Krise in Darfur ist ein ernst zu nehmender Konflikt“, meinte dazu Ghandour. „Doch wir haben in einem Akt der nationalen Anstrengung einen Friedensprozess in Gang gebracht, der durch den ICC nun gefährdet ist.“ Diese Analyse teilten auch die Arabische Liga und die Afrikanische Union. Sogar UN Generalsekretär Ban Ki-Moon äußerte sich kritisch zum Haftbefehl.

Die SPLA wurde 2005 in die Regierung integriert und stellt seither den Vizepräsidenten. In der Ministerverteilung der Regierung der nationalen Einheit erhielt sie jedoch bloß das Außenministerium. Dennoch wurde damit ein wesentlicher Schritt unternommen, um eine nationale Integration zu vollziehen. Die Frage der Haltung zum ICC bildet jedoch einen neuerlichen Punkt der Desintegration. Während sich große Teile des Sudans hinter den Präsidenten stellen, wittert die SPLM eine Möglichkeit, die Karten neu zu mischen. So äußerte der Generalsekretär der SPLM, Pagan Amum Okiech, jüngst in einem Interview mit der Sudan Tribune die Forderung, al-Bashir solle mit dem ICC kooperieren.

Auch die Kommunistische Partei äußerte sich in einer Stellungnahme positiv zum ICC. Aufgrund ihrer oppositionellen Haltung gegenüber den Präsidenten begrüßt die Partei in gewisser Weise den Druck, der nun auf al-Bashir ausgeübt wird. Dennoch gibt es auch kommunistische Kräfte, die sich nun um den Präsidenten scharen. Dies ist eine typische Spaltungstendenz, wie man sie aus anderen Regionen kennt.

Insgesamt war in den Gesprächen nur eine sehr untergeordnete Tendenz bemerkbar, den Konflikt in Darfur zu leugnen. Der Konflikt wird tatsächlich als Problem wahrgenommen, das jedoch im nationalen Rahmen gelöst werden muss. Die Intervention von außen wird hingegen als Gefahr wahrgenommen. Obwohl sich die USA und der ICC selbst als Friedensstifter in der Darfur-Frage sehen, stellen sie die eigentlichen Brandstifter dar.
Jüngst wurde von den USA die Ausweisung von NGOs aus Darfur kritisiert. Die Auswirkung auf die humanitäre Situation in Darfur bleibt jedoch von diesem Schritt unberührt. Tatsächlich wurden von 118 in der Region operierenden NGOs lediglich 13 ausgewiesen. Grund dafür waren politische Einflussnahmen, die von den NGOs ausgegangen sind.

ICC und Doppelstandards
Die juristische Grundlage des Strafgerichtshofes wurde in den Gesprächen allgemein in Frage gestellt. „Die völkerrechtliche Grundlage des ICC ist das Abkommen von Rom“, legte Amin Hassan Omar die Situation dar. „Der Sudan ist diesem Abkommen jedoch nicht beigetreten und im Wiener Übereinkommen ist deutlich festgelegt, dass nur unterzeichnende Staaten zur Erfüllung von Verträgen verpflichtet sind.“

Die völkerrechtliche Grundlage des ICC steht somit auf tönernen Füßen. Denn seiner Ausgestaltung nach ist er eine gewöhnliche Internationale Organisation, die jedoch Anspruch auf universelle, strafrechtliche Verfolgung erhebt. Der ICC ist auch kein Teil der UNO, obwohl ein Kooperationsabkommen vorliegt. Die Verfolgung al-Bashirs durch den ICC entbehrt daher jeglicher völkerrechtlicher Grundlage. Diese Ansicht teilen auch die Afrikanische Union und die Arabische Liga. Mit seinen Auslandsbesuchen und vor allem seiner Teilnahme in Doha hat Präsident al-Bashir versucht, diese Staaten als Verbündete in der ICC Frage zu gewinnen.

Doch nicht nur das Gericht selbst, sondern auch die Anklage entbehrt seriöser Grundlagen. Die Vorwürfe, die darin formuliert wurden, stützen sich auf dubiose Quellen. Die UNO ist 2005 in einer Untersuchung zu der Erkenntnis gekommen, dass zwar Menschenrechtsverletzungen in Darfur stattgefunden hatten. Diese wurden jedoch von beiden Seiten begangen und ethnische Säuberungen konnten nicht nachgewiesen werden. Nichts desto trotz wurde 2006 vom damaligen US-Präsidenten Bush ein Darfur-Gesetz unterzeichnet, in dem der Vorwurf des Völkermords festgeschrieben wurde. Somit wurde diese Behauptung für die Weltöffentlichkeit in Blei gegossen und auch der ICC orientierte sich daran.

Von besonderem Interesse ist auch die Tatsache, dass die USA selbst gar nicht Teil des ICC sind. Zwar waren sie maßgeblich an der Initiierung beteiligt, doch haben sie im letzten Moment die Ratifizierung zurückgezogen. „Es ist ein typisches Phänomen imperialistischer Weltordnung, dass doppelte Standards für mächtige und unterdrückte Länder eingeführt werden“, meinte Amin Hassan Omar. „Jene Bestimmungen, die für uns gelten sollen, werden von den mächtigen Staaten übergangen.“ Nicht Darfur sollte vor dem ICC verhandelt werden, sondern die Verbrechen der Besatzungsmächte in Afghanistan, Irak und Palästina.

Gerade dieser Doppelstandard verdeutlicht, wie sehr es hier nicht um juristische Fragen geht, die ja alle in gleicher Weise betreffen würden, sondern um politische. Der ICC ist ein probates Mittel der Vereinigten Staaten, um nach eigenem Ermessen in verschiedenen Regionen zu intervenieren. Die größten Kriegsverbrecher jedoch, die Vereinigten Staaten und Israel, müssen eine Verfolgung durch den ICC keinesfalls fürchten.

Antiimperialismus
Die politischen Angriffe gegen den Sudan vonseiten der USA haben den Kampf um die nationale Souveränität auf die Tagesordnung gesetzt. Der antiimperialistische Kampf des Sudan reiht sich ein in die Serie militärischer Widerstandspole weltweit: Afghanistan, Irak und Palästina. Diese Front wird auch von der politischen Führung des Landes – zumindest teilweise – reflektiert.

Aus europäischer Perspektive ist dieser Kampf des Sudans um nationale Souveränität jedenfalls zu unterstützen. Die Solidarität hier kann dazu dienen, einen wesentlichen Bruchpunkt in der amerikanischen Weltordnung zu verstärken. Dennoch muss man eingestehen, dass die Bedingungen für eine Solidaritätskampagne schwierig sind. Das Bild des Sudans, das in den westlichen Medien ständig produziert wird, entspricht der Propaganda der US-Regierung. Außerdem hat die Solidaritätsbewegung mit diesem Land keinerlei Tradition, wie etwa mit Palästina. Schließlich gibt es auch kaum Kräfte, die aus einer europäisch-säkularen Tradition das Regime in Khartum unterstützen wollen. Auch hier ist die Stellung zur Islam-Frage ein bedeutendes Hindernis.